Die Kunst des Zusammenlebens

Im „Haus auf Beinen“ am WDNCh eröffnete zur Museumsnacht die erste Treppenhaus-Galerie.

Zwischen den „Beinen“ heult der Wind. Im Inneren ist es künstlerisch und gemütlich. / Peggy Lohse

Zwischen den „Beinen“ heult der Wind. Im Inneren ist es künstlerisch und gemütlich. / Peggy Lohse

„Diese Kisten hier wollten meine Eltern wegwerfen. Aber da sind überall Notizen drauf. Und dann erzählte mir meine Oma, dass ihnen Verwandte darin damals Früchte aus der Süd-Ukraine geschickt haben.“ Alexandra Kiseljowa hat diese Kisten nun zu einem Kunstobjekt wiederbelebt. Inmitten anderer hauseigener Kunstwerke. „Ist das nicht toll, so viel Aufwand, um ein paar Früchte nach Moskau zu schicken, die ja auf dem Weg auch schlecht werden konnten.“ 

Kiseljowa, Darja Serenko und Olga Maschinez sind die drei Kuratorinnen, die mit „Außergewöhnliche Kommunikation“ erstmals eine Ausstellung in einer Treppenhausgalerie organisiert haben. Sie leben in dem Gebäude, das sie nun gemeinsam mit anderen Bewohnern, Künstlern und sogar der Concierge in einen dicht mit Leben erfüllten Kunstraum verwandelten. Und sie lieben ihr „Haus auf Beinen“ am WDNCh, das in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiert. 

Betonfüße mit „Maniküre“
"Maniküre" für die Beton-V-"Beine" / Peggy Lohse

„Maniküre“ für die Beton-V-„Beine“ / Peggy Lohse

Es ist eines von insgesamt sechs Wohnblöcken dieser Art, die im Sinne des sowjetischen Modernismus der 60er Jahre in Moskau entstanden sind. Sie sollten die eintönigen Chruschtschowkas durch mit geometrischen Rhythmen ansehnlichere verzierte Blocks ablösen. Das Besondere: Sie stehen auf „Hühnerbeinen“. Solche hatte der schweizerisch-französische Architekturtheoretiker Le Corbusier in seine „Fünf Säulen der modernen Architektur“ aufgenommen. So befindet sich das erste der 25 Geschosse auf Höhe der üblichen dritten Etage, um Platz für Parkplätze oder anderes zu schaffen. 

Heute heult durch die „Beine“, die symmetrisch angeordneten Beton-V-Träger zwischen den Eingängen und unter dem Wohnmassiv, stetig der Wind. An einem Ende haben sie gar „Maniküre“ bekommen: Schwarze Grimassen-Zeichnungen winden sich um die Pfosten und flüstern Philosophisches in den Wind, zum Beispiel: „Es scheint mir, als wären alle Leute nur ein Mensch.“ 

Hauskultur, die wachsen durfte
Kuratorinnen Darja Serenko, Olga Maschinez, Alexandra Kiseljowa (v.l.n.r.) / Peggy Lohse

Kuratorinnen Darja Serenko, Olga Maschinez, Alexandra Kiseljowa (v.l.n.r.) / Peggy Lohse

Unter den Bewohnern der 480 Wohnungen sind seit jeher viele Intellektuelle und Künstler. So sammelt ein Mann aus dem 22. Stock alle Bücher, die im Treppeneingang ausgelegt werden. Diese füllen nun die Galeriebibliothek – einen Bücherschrank in Form des „Hauses auf Beinen“. 

Die gemeinsame Gestaltung des Hausflurs begann aber lange vor dem Ausstellungsprojekt. „Wir haben schon länger zusammen mit dem Haus-Aktiv (den besonders engagierten Bewohnern – Anm. d. Red.) Feiertage im Treppenhaus gefeiert. Ich habe dann einen Bücherklub mit Lesungen für die Bewohner organisiert“, erinnert sich Co-Kuratorin Serenko. „Von einer Ausstellung träumte ich praktisch von Anfang an. Es gab einige, die das für unmöglich oder unverständlich hielten. Mit denen habe ich lange gesprochen und ihnen erklärt, wie man so eine Ausstellung aufbaut.“ 

Ein Leben mit „Arbeiter und Kolchosbäuerin“
Collage von Iwan Simonow: Zwei Hausbewohnerinnen stellen das berühmte Denkmal „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ von Wera Muchina nach. / Peggy Lohse

Collage von Iwan Simonow: Zwei Hausbewohnerinnen stellen das berühmte Denkmal „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ von Wera Muchina nach. / Peggy Lohse

Auch der Fotograf Jurij Palmin wohnt in dem Haus am Prospekt Mira 184. Er hat im Jahr 2011, als am WDNCh einige Objekte ihren Denkmalschutzstatus verloren, andere strenger geschützt wurden, eine Bilderserie erarbeitet: „eine Fixierung des Unauffälligen, modernistischen WDNCh“. Diese hängt nun über den alten sowjetischen, grünen Briefkästen. Und an einer Aufzugstür klebt eine Collage von Iwan Simonow: Zwei Hausbewohnerinnen stellen das berühmte Denkmal „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ von Wera Muchina nach. Denn dieses gehört hier praktisch zum Wohnen dazu: Mehr als die Hälfte der Wohnungen haben mindestens ein Fenster mit Blick auf das Denkmal. Es ist Teil ihres Alltags, von morgens bis abends und auch nachts, wenn es im hellen Licht erstrahlt. 

Von Peggy Lohse

Bis 30. Juni 

„Haus auf Beinen“ 

Prospekt Mira 184/2

M WDNCh 

Führungen sonntags

Anmeldung (eng/rus) unter www.facebook.com/galereyavpodezd 

Moskauer Frühling in zehn Akten

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