Die Kleinstadt Toropez: am Kreuzweg der Geschichte

Wer bewusst oder gezwungenermaßen auf europäische Reisen verzichtet und stattdessen innerhalb Russlands reist, muss das richtige Ziel wählen. Kleinstädte sind der touristische Trend von heute: schöne Natur, reiche Geschichte. Das gilt auch für Toropez, das am weitesten von der Regionalhauptstadt Twer entfernte Kreiszentrum.

Toropez
Das kaufmännische Toropez: der Anfang der Millionnaja-Straße (Foto: Igor Beresin)

Der Name des Hotels in der von Touristen am stärksten frequentierten Straße in Toropez sagt einem Unkundigen wahrscheinlich nichts. Selbst für das russische Ohr klingt „Krivitesk“ irgendwie fremd, sehr ungewohnt. Das ist verständlich. Nur wenige Menschen wissen heute noch, dass das Land am Oberlauf der Düna das Gebiet der Kriwitschen ist. Dieser ostslawische Stamm hat Spuren in der Geschichte hinterlassen, und die heutigen Bewohner von Toropez betonen dies gelegentlich.

Der Ort, an dem Geschichte geschrieben wurde

Wenn Reisende mit einem Führer durch die Stadt spazieren, wird die erste Bekanntschaft mit Toropez sehr wahrscheinlich auf dem malerischen Hügel beginnen. Von dort aus hat man einen schönen Blick auf den malerischen Solomeno-See. Wenn Swetlana, die Leiterin des lokalen Reisebüros, Besucher hierher bringt, schaut sie unbedingt den Hügel hinunter auf die dünne Linie des Seeufers, die hinter den Gebäuden sichtbar ist. „Sind unsere Schwäne dort? Ja, hier sind sie, zücken Sie sofort Ihre Kameras!“

Toropez Swetlana
Stadtführerin Swetlana auf dem Hügel mit einem Blick auf den Solomeno-See
(Foto: Igor Beresin)

Der Hügel ist in der Tat eine alte Festung, obwohl es derzeit schwer ist zu erraten, wo die Mauern standen. Der Hügel ist zweifelsohne der Traum eines jeden Archäologen. Erstens ist Toropez eine alte Stadt. Zum ersten Mal wird sie in einer Chronik von 1074 erwähnt. Und zweitens sind die von den Archäologen entdeckten Artefakte höchstwahrscheinlich nicht nur Fundstücke irgendwelcher unbekannter Kriwitschs, sondern gehören zu Persönlichkeiten, die die Geschichte Russlands bestimmt haben. Das Siegel des Bruders von Alexander Newski wurde hier gefunden. Und Alexander selber, der Triumphator der berühmten Schlacht mit den Rittern des Livländischen Ordens am Peipussee, hatte einen direkten Bezug zu Toropez. Dies waren die Ländereien seiner Vorfahren, und in dieser Stadt heiratete Alexander Newski 1239 seine Frau Alexandra, woran das Denkmal für den Fürsten und die Fürstin erinnert, das nicht weit von der majestätischen Korsun-Kathedrale steht.

Toropez Fürsten
Das Denkmal für den Fürsten Alexander Newski und seine Ehefrau Alexandra
(Foto: Igor Beresin)

Das orthodoxe Toropez

Die Korsun-Kathedrale ist wirklich schön. Das Einzige, was sie heute trübt, sind die Folgen der schrecklichen Explosion vom 18. September 2024, als eine ukrainische Drohne ein Munitionsdepot traf. Die Explosion war so heftig, dass sie mit einem Erdbeben der Stärke 2,8 vergleichbar war, und die Druckwelle legte eine Strecke von 300 km zurück. Der Vorfall war nicht nur ein Schock für die Bürger von Toropez, sondern zwang auch dazu, die Fensterscheiben in vielen Gebäuden auszutauschen. Die Stadtverwaltung hat die Korsun-Kathedrale noch nicht in Ordnung gebracht.

Toropez Korsun
Noch fehlen in der Korsun-Kathedrale die Fensterscheiben. (Foto: Igor Beresin)

Aber ansonsten ist diese Kirche wunderschön. Es scheint, dass jedes andere Kirchengebäude neben ihr den Kürzeren ziehen wird. Allerdings wird derzeit direkt vor dem roten Gotteshaus ein anderes gebaut. Und es wird sehr gründlich konstruiert: Auf dem massiven Metallgerüst werden Betonwände errichtet. Wie Swetlana, die Reiseleiterin, erklärte, war dies die Forderung des Russischen Museums in St. Petersburg, das bereit ist, die alte Ikone der Gottesmutter von Korsun nach Toropez zu bringen. Sie wurde den Stadtbewohnern bereits von Fürstin Alexandra, der Gattin von Alexander Newski, geschenkt, aber dieses wundertätige Heiligenbild verließ später die Stadt.

Tororpez neue Kathedrale
Die neue Kathedrale für die alte Ikone der Gottesmutter von Korsun befindet sich noch im Bau. (Foto: Igor Beresin)

Wenn man sich mit dem orthodoxen Toropez vertraut macht, kommt man an der wunderschönen Epiphanie-Kirche nicht vorbei. Das Gotteshaus ist nicht mehr in Betrieb, jetzt beherbergt es ein Heimatmuseum. Das Eindrucksvollste ist jedoch außen zu sehen, an der Fassade. Das Gebäude ist ein einzigartiges Beispiel für den Toropetzer Flachbarock. Der lokale Baustil ist einmalig.

Toropez Baroque
Der Toropezer Flachbarock beeindruckt. (Foto: Igor Beresin)

Das Wertvollste: Menschen

Ein Teil der Kirchengeschichte der Stadt ist das Museum des Patriarchen Tichon, dessen Denkmal daneben steht. Der Patriarch hatte schwierige Prüfungen zu bestehen. Er musste mit den Bolschewiken verhandeln, um die orthodoxe Kirche zu erhalten.

Im Allgemeinen gibt es viele berühmte Einwohner von Toropez. Der wohl renommierteste unter ihnen ist Admiral Pjotr Rikord (siehe Artikel auf der nächsten Seite). Im Dorf Karewo des Kreises Toropez wurde eine noch berühmtere Persönlichkeit geboren, der Komponist Modest Mussorg­ski. Er lebte in Toropez und gab dort Musikunterricht. Mussorgski verewigte das Glockengeläut von Toropez in seiner Oper „Boris Godunow“.

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Das Denkmal für den Patriarchen Tichon, der in Toropez einige Jahre lang lebte.
(Foto: Igor Beresin)

In Toropez erinnert man sich nicht nur an berühmte Namen. Ein sehr wichtiger Teil der Geschichte der Stadt ist mit den Kaufleuten verbunden. Und man muss sagen, dass sie erfolgreich waren. Die Hauptstraße, die heute eine Touristenattraktion ist, hieß früher Millionnaja.  Die Menschen kamen von überall her nach Toropez. Und sie blieben. Zum Beispiel gab es viele Einheimische aus dem Baltikum. In der Stadt waren viele Esten daheim, sagt unsere Stadtführerin, die selbst aus einer estnischen Familie stammt. Sie hatten früher eine Mühle. In Toropez gab es auch eine Kirche. Swetlana erzählte, wie ihre Vorfahren, die verschiedenen christlichen Konfessionen angehörten, gut unter einem Dach auskamen. Am Sonntag verließ das Ehepaar gemeinsam das Haus, und dann ging jeder in seine eigene Kirche. Wenn man sich länger in Toropez aufhält, spürt man, dass dies ein ganz besonderer Ort ist. Hier, im Land der Kriwitschen, ist alles möglich.


Admiral aus Toropez: Pjotr Rikord

Toropez Rikord
Admiral Pjotr Rikord (Bild: Wikipedia)

Das Erstaunlichste im Zusammenhang mit Pjotr Rikord ist, dass der Name dieses Flottenkommandeurs trotz seiner herausragenden Verdienste nicht bei allen Russen bekannt ist. Das sollten sie aber. Admiral Rikord ist nicht der Held einer einzigen Schlacht. Sein ganzes Leben ist ohne Übertreibung heldenhaft.

Seine Vorfahren väterlicherseits hatten europäische Wurzeln: Sein Großvater Ignatius lebte in den 1730er Jahren in Nizza. Sein Sohn Jean-Batiste trat in die österreichische Armee ein. In Österreich heiratete er Maria Metzel, eine gebürtige Danzigerin, und ging mit ihr nach Russland. Hier, in der Kreisstadt Toropez, wurde ihr Erstling geboren, der die Familie Rikord berühmt machte.

Pjotr Rikord wird oft als der friedliebendste Seekommandant bezeichnet. Mehrmals gelang es ihm, Siege ohne Kämpfe und Verluste zu erringen. So auch, als Russland ein Krieg mit Japan drohte, nachdem die Japaner den russischen Gesandten, Kapitänleutnant Wassili Golownin, heimtückisch gefangen genommen hatten. Rikords diplomatisches Geschick half, den russischen Gesandten zu befreien und das Land vor dem Krieg zu bewahren. Als Zeichen des Respekts errichteten die Japaner ein Denkmal für den Russen.

Toropez Stein
Rikord-Denkmal in dessen Heimatstadt (Foto: igor Beresin)

Pjotr Rikord schaffte es auch, sich den Respekt der Griechen zu verdienen. Um ihnen zu helfen, schickte Russland ein Geschwader ins Mittelmeer. Rikord schaffte das, was man zuvor für unmöglich gehalten hatte. Er blockierte die Dardanellenstraße im Winter und hielt die osmanische Flotte ein ganzes Jahr lang vom Mittelmeer fern. Dies trug wesentlich zum Sieg der Griechen im Krieg zur Befreiung von der osmanischen Herrschaft bei. Dafür wählte die griechische Volksversammlung Rikord zum Ehrenbürger des Landes und bot ihm sogar das Präsidentenamt an.

Im Jahr 1854 bedrohte die gemeinsame Armada der Flotten des Osmanischen Reiches, Englands und Frankreichs Russland aus verschiedenen Richtungen. Die Verteidigung des Hauptstützpunkts der russischen Flotte in Kronstadt wurde von Rikord geleitet. Der Feind musste mit leeren Händen.

Rikord war nicht nur ein hervorragender Marinekommandant, sondern auch ein Liebhaber und Unterstützer der Bildung. Er war Mitglied mehrerer wissenschaftlicher und literarischer Vereinigungen. Sein Buch „Rikords Notizen zu den Japanischen Ufern“ hat drei Auflagen erlebt und wurde ins Englische, Französische, Deutsche, Schwedische und Japanische übersetzt. Er war einer der Urheber der Idee, in Russland eine Geografische Gesellschaft zu gründen. Später wurde Rikord ihr Vizepräsident. Eine Insel, ein Kap, eine Meerenge, ein Fluss und ein Unterwasservulkan im Fernen Osten sind nach Rikord benannt.

Igor Beresin

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