Die Brücken zwischen den Gesellschaften erhalten

Johann Saathoff ist der neue Russlandkoordinator der Bundesregierung. Im Gespräch mit der MDZ erzählt der SPD-Politiker, der 2018 mit einer humorvollen Bundestagsrede auf Plattdeutsch bekannt wurde, von einem Start in bewegten Zeiten und erläutert seine Pläne zur Kooperation im deutsch-russischen Energiesektor.

Seit August im Amt: Johann Saathoff setzt auf Dialog mit Russland (Foto: spdfraktion.de)

In Belarus wird seit Wochen gegen Machthaber Alexander Lukaschenko demonstriert, der Fall Alexej Nawalny belastet die deutsch-russischen Beziehungen. Der neue Russlandbeauftragte hat sich zu den Vorgängen bisher noch nicht geäußert. Warum?

Ich habe bereits mehrfach die Sorgen deutlich gemacht, mit der wir die Situation betrachten. An erster Stelle steht die Sorge um die Gesundheit von Alexej Nawalny und die Hoffnung, dass er, nachdem er nun wieder ansprechbar ist, auch vollständig genesen wird. Dass mein Amtsantritt aber in eine Zeit fiel, in der der wichtigste russische Oppositionspolitiker nach einem Anschlag auf sein Leben in Berlin im Koma lag, macht mich betroffen. Die Ergebnisse der Analysen, die zeigen, dass er durch einen chemischen Kampfstoff vergiftet wurde, sind erschreckend. Hierzu haben die Bundeskanzlerin und Außenminister Maas bereits deutliche Worte gefunden, die ich nur unterstreichen kann: Die vielen Fragen, die dadurch aufgeworfen werden, kann nur Russland beantworten. Die Entwicklungen in Bela­rus sind leider ebenfalls Anlass für große Sorge, wenn immer mehr Vertreter der Opposition ins Exil gedrängt werden und nun mit Frau Kolesnikowa noch diejenige, die in Belarus geblieben ist, verschwunden ist. Die Gewalt gegen die Proteste, wie wir sie gesehen haben, ist inakzeptabel. Dasselbe gilt für die Verhaftungen und die Strafverfahren gegen Vertreter der Opposition. Die Demonstrationen in Belarus zeigen, dass dort eine große Bewegung entstanden ist, dass sich die Gesellschaft der Demokratie zuwendet. Die Bürgerinnen und Bürger fordern faire und freie Wahlen, die ihnen verwehrt wurden. Dies ist eine Bewegung, die aus Belarus heraus entstanden ist. Deshalb muss es auch einen echten Dialog innerhalb des Landes geben. Hierbei könnte eine Vermittlung durch die OSZE, deren Mitglied Belarus ist, hilfreich sein. Herr Lukaschenko müsste sich darauf aber auch einlassen, statt falsche Behauptungen über eine äußere Einmischung aufzustellen.

Sie sitzen seit 2013 im Bundestag, arbeiteten bisher in den Ausschüssen „Ernährung und Landwirtschaft“ sowie „Wirtschaft und Energie“ – wie kommt man da zu einer Funktion als Russlandkoordinator?

Anknüpfungspunkte zu Russland gibt es durchaus. Schließlich soll das nächste Themen-Jahr der Wirtschaft und nachhaltiger Entwicklung gewidmet sein. Dabei spielen die erneuerbaren Energien natürlich eine große Rolle. Ich habe das Gefühl, dass Russland hier noch viel mehr Potenzial hat, als es sich selbst klarmacht. Meine Aufgabe umfasst zudem den Dialog mit insgesamt zwölf Ländern, und gerade in den Staaten Zentralasiens gibt es ein immenses Potenzial für erneuerbare Energien. Für mich wichtig ist, dass wir bei diesen Themen den gesellschaftlichen Dialog nicht vernachlässigen.

Amt mit breitem Profil: Verantwortlich für zwölf Länder

Die Stelle wurde 2003  geschaffen, um die besondere Bedeutung der deutsch-russischen Beziehungen zu unterstreichen. Sie ist im Auswärtigen Amt angesiedelt und wird von Kanzler und Außenminister besetzt. Der Russlandkoordinator soll die Kontakte zwischen der deutschen und russischen Zivilgesellschaft abstimmen und intensivieren. Dementsprechend breit ist sein Aufgabenbereich: So kümmert er sich beispielsweise um den Jugendaustausch, Städtepartnerschaften, die Zusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen und Verbänden sowie den Bildungsbereich – vor allem im Bereich des Spracherwerbs. Außerdem pflegt er die Beziehungen zu Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft.

Erster Russland-Koordinator war ab 2003 der SPD-Politiker Gernot Erler. Der renommierte Russland-Experte und promovierte Slawist pflegte einen wohlwollenden Kurs gegenüber Moskau, der Kritik an Russlands Vorgehen in Tschetschenien oder dem Vorgehen gegen Oppositionelle aber nicht aussparte. Ihm folgte 2006 der studierte Romanist und langjährige Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentariergruppe Andreas Schockenhoff. Der CDU-Politiker machte sich vor allem als Kritiker einen Namen, der auch Missstände in der russischen Politik deutlich ansprach. Für seinen harten Kurs erntete Schockenhoff viel Kritik. Diplomaten und Parteifreunden gingen seine Einlassungen oft zu weit. Nach einer Kritik russischer Gerichte im Jahr 2012 sprach das russische Außenministerium Schockenhoff das Recht ab, sich zu den deutsch-russischen Beziehungen zu äußern. Von 2014 bis 2018 übernahm dann noch einmal Gernot Erler das Amt. Ihm folgte Partei­freund Dirk Wiese, der vor allem auf Visaerleichterungen und den Jugendaustausch setzte.

Über einschlägige Erfahrungen in den Bereichen Russland und Osteuropapolitik verfügen Sie bisher nicht. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

In meinen ersten Tagen habe ich bereits eine Reihe von Gesprächen geführt, aus denen ich sagen kann, dass diese Aufgabe zwar eine Herausforderung ist, aber eine sehr interessante, die ich sehr gerne angenommen habe. Umso bedauerlicher ist es, dass Reisen in die Region vorerst kaum möglich sein werden. Moskau habe ich als Energiepolitiker bereits kennengelernt; aber es gäbe noch viel mehr zu entdecken. Immerhin habe ich bereits erste Kontakte auch mit der rus­sischen Zivilgesellschaft per Videokonferenz knüpfen können. Digitale Technologien sind ein Zukunftsthema für die Wirtschaft, aber gerade jetzt sehen wir auch die Chancen für die zwischengesellschaftlichen Beziehungen. Es ist ja viel leichter, Teilnehmer aus entfernten rus­sischen Regionen zu einer Videokonferenz einzuladen, als sie nach Moskau oder Berlin zu fliegen. Auch ich kann mich so jederzeit zuschalten, ob aus Berlin oder aus meinem Wahlkreis in Ostfriesland.

Ihr Vorgänger hat eine neue Position jenseits der aufgeheizten Diskussion um Putin-Versteher und Kreml-Kritiker gesucht. Wo verorten Sie sich in der Debatte?

Selbstverständlich werde ich mich in meinem Amt bemühen, Russland zu verstehen, und ebenso werde ich offen die Punkte ansprechen, wo wir nun einmal große Probleme mit der russischen Politik haben. Russland ist aber nicht nur Putin, und mir geht es darum, die Brücken zwischen unseren Gesellschaften zu erhalten. Das ist in schwierigen Zeiten umso wichtiger.

Der Russlandkoordinator hat sich zuletzt vor allem für den Jugendaustausch und Visaerleichterungen stark gemacht. Auf welche Bereiche wollen Sie sich in Ihrer neuen Funktion konzentrieren?

Die Möglichkeit, dass Russen und Deutsche, besonders junge Menschen, sich begegnen, bleibt natürlich wichtig. Daher werde ich diese Initiativen, die ja aus der Zivilgesellschaft kommen, weiterhin unterstützen. In der Pandemie sind Reisen zwar aus bekannten Gründen ohnehin schwierig. Das wird sich aber auch wieder ändern, daher bleibt das Thema auf der Agenda. Daneben wird es jetzt darauf ankommen, die digitalen Möglichkeiten des Austausches gezielt zu nutzen und zu fördern. Ich hoffe außerdem sehr, dass ich dazu beitragen kann, die Energiebeziehungen zu Russland, mit denen ich mich ja bereits beschäftigt habe, auf eine breitere Basis zu stellen. Das heißt: Neben zentraler Infrastruktur für fossile Energie eine stärkere Zusammenarbeit bei dezentraler Infrastruktur sowie bei erneuerbaren Energien. Das ist schließlich in unserem gemeinsamen Interesse angesichts des Klimawandels, der auch Russlands Ökologie bedroht. Außerdem erlaubt dies eine stärkere gesellschaftliche Beteiligung zur Berücksichtigung lokaler Interessen.

Die Fragen stellte Birger Schütz.

Kommentar: Ein Koordinator ohne Expertise ist ein Geschenk für Moskau

Weiß jemand, wer das ist? Was hat er mit Russland zu tun? Und was ist seine Osteuropakompetenz? Diese Fragen wurden in der deutschen Osteuropa-Community diskutiert, als Ende August bekannt wurde, dass Johann Saathoff der neue Russlandkoordinator der Bundesregierung wird. Auch bestens vernetzte Russlandkenner taten sich schwer, den 54-Jährigen zuzuordnen oder sich auch nur an eine Aktion des Politikers in Europas Osten zu erinnern. Viele, die sich seit Jahren beruflich mit dem größten Flächenland der Erde beschäftigen, mussten erst mal googeln, wer da nun die deutschen Beziehungen zu Moskau und den postsowjetischen Nachfolgestaaten koordinieren sollte.

Damit wiederholte sich ein Muster, das schon zweieinhalb Jahre zuvor bei der Ernennung von Amtsvorgänger Dirk Wiese zu beobachten war. Auch damals hatte die SPD, welche den Russlandkoordinator seit 2014 stellt, einen in Osteuropa-Belangen völlig unerfahrenen Politiker in Stellung gebracht. Wie 2018 steht die Frage im Raum, wie ein Koordinator ohne entsprechende Expertise, Sprach- und Länderkenntnisse für den Kreml zu einem ernst zu nehmenden Gesprächspartner werden soll. Umso mehr, als Russland oft bestens ausgebildete Deutschlandspezialisten ins Rennen schickt. In der Krise um Belarus und Nawalny konnte Johann Saathoff jedenfalls kaum wahrnehmbare Akzente setzen.

Die gegenwärtige Besetzungspraxis des Amtes verweist auf zwei grundlegende Probleme. Zum einen ist da die bis heute breit klaffende Leerstelle, die nach dem Ausscheiden der einflussreichen Amtsvorgänger Andreas Schockenhoff (CDU) und Gernot Erler (SPD) entstanden ist. Es gibt kaum noch kompetente Osteuropa-Fachleute in der deutschen Politik, welche ähnliche Erfahrungen in die Koordinatorenstelle einbringen könnten. Die Zahl derer, die sich in Russland gut auskennen, ist dramatisch gesunken.

Zum anderen scheinen SPD und Auswärtiges Amt auch nach der Krise um die Krim, dem MH-17-Vorfall und anderen nachhaltigen Störungen des deutsch-russischen Verhältnisses nicht zu unbequemen Diskussionen mit Moskau bereit zu sein. Die Ernennung von osteuropapolitischen Leichtgewichten wie Dirk Wiese und Johann Saathoff garantiert aus dieser Sicht einen behaglichen Status-Quo und vermeidet unangenehme Debatten. Das stärkste Land der EU sollte sich in seiner Russlandpolitik mehr zutrauen.

Birger Schütz

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