Visafreiheit für Russland – in diesen Zeiten!?

Ab 11. Juni dürfen nun auch die Ukrainer visafrei in den Schengen-Raum einreisen, zuletzt war bereits für Georgier und Moldawier die Visapflicht abgeschafft worden. Ist es naiv, in diesem Zusammenhang mal wieder die Frage zu stellen, wie es Europa eigentlich mit den Russen hält? Wir haben bei deutschen Parteien nachgefragt: Visafreiheit für Russland – jetzt?

Visafreiheit

In Zeiten von Sanktionen wäre die Visafreiheit für Russland ein „asymmetrischer“ Schritt, den die EU nicht gehen zu wollen scheint. / RIA Novosti

Ja

Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik der Grünen-Fraktion im Bundestag

Wir Grüne setzen uns schon seit Jahren für Visafreiheit für die Menschen in Russland ein. Zuletzt haben wir im September 2016 in einem Antrag die Visaliberalisierung gefordert. Die Visafreiheit wäre nicht nur ein wichtiges symbolisches Signal, dass Russland zu Europa gehört. Sie würde vor allem auf persönlicher Ebene Begegnungen und Austausch deutlich erleichtern. Wir wollen, dass die Menschen in Europa zueinander finden. Reisefreiheit ist heute umso notwendiger, weil der Kreml das Land immer stärker abschottet.

Nein

Christoph Bergner, CDU-Bundestagsabgeordneter, ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten

Selbstverständlich wünsche ich den russischen Staatsbürgern, dass sie problemlos die EU besuchen können, und den Bürgern der EU-Mitgliedsstaaten, dass auch sie frei und ungehindert in die Russische Föderation reisen können. Die EU und Russland haben 2003 vereinbart, langfristig visafreies Reisen für ihre Bürger zu ermöglichen. Im Rahmen von Visaerleichterungsabkommen wurden einige Hemmnisse der Visaerteilung abgebaut. Es zeigte sich aber auch eine Diskrepanz der Schwerpunktsetzung. Zuletzt waren für die russische Seite offenbar Erleichterungen nur für Personen mit Dienstreisepässen, also für Staatsbedienstete, von vorrangiger Bedeutung.

Für die EU ist die Visafreiheit ein wichtiger Teil der strategischen Partnerschaft zu Russland. Die Idee einer strategischen Partnerschaft hat infolge der Krimannexion und der militärischen Auseinandersetzung im Donbass aber schweren Schaden genommen. Vertrauen in die Grundsätze russischer Politik wurde zerstört.

Ich nehme an, das Ziel der Visafreiheit wird erst dann wieder konsequent verfolgt werden können, wenn zwischen der EU und Russland wieder eine Vertrauensbasis für partnerschaftliche Beziehungen hergestellt werden kann. Auf diesem Wege gab es in jüngster Zeit leider wenig Fortschritte.

Deutschland versucht trotz aller offensichtlichen Konflikte, Rahmenbedingungen für einen zivilgesellschaftlichen Austausch mit Russland zu schaffen, in dem wir nach dem Kreuzjahr der Sprachen und dem Jahr des Jugendaustauschs nun ein Jahr der kommunalen Partnerschaften anstreben.


„Machen wir die Tore auf“

Jetzt erst recht: Bei einer Aktuellen Stunde des Bundestages im März 2015 waren sich Politiker aller Fraktionen einig, auf die neue Eiszeit zwischen Russland und dem Westen mit einer Charmeoffensive zu reagieren. Die Visafrage müsse zurück auf die Tagesordnung, hieß es. „Machen wir die Tore auf und reißen die jetzige Form der Visapolitik ein“, zitierte n-tv.de den Grünen Jürgen Trittin. „Die Visapflicht passt nicht ins 21. Jahrhundert“, sagte CDU-Außenexperte Karl-Georg Wellmann. Der Kremlpropaganda den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem man die Russen einlädt, sich ihr eigenes Bild von Europa zu machen  – auch das war ein Gedanke. Doch die Vorsätze scheinen im Alltag weitgehend folgenlos geblieben zu sein.


Jein

Christian Lüth, Pressesprecher der AfD 

Generell stehen wir dem Thema Visafreiheit kritisch gegenüber. Vor dem Hintergrund, dass Geor­gien diese jedoch bereits besitzt und sie nun auch der Ukraine gewährt wird, gäbe es keinen Grund, dies nicht auch für Russland zu tun.

Ja

Ulla Jelpke, Innenpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion im Bundestag

Wir sind grundsätzlich für Visa­freiheit. Das galt und gilt auch für Russland. Bei der Ukraine ging das ja jetzt sehr schnell und wir wissen alle, warum. Das hat politisch-ideologische Gründe: Die Ukraine orientiert sich nach Westen, will in die Nato. Damit hat man ein Zeichen gesetzt.

Zu Beginn dieser Legislaturperiode, im Jahr 2013, hat der Bundestag eine Arbeitsgruppe aus Auswärtigem und Innenausschuss gebildet, der dann Fachleute und Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft zum Thema Visafreiheit für Russland gehört hat. Diese Gespräche habe ich begleitet. Die Wirtschafts- und die Tourismuslobby hat sich damals stark für einen Abbau der Visahürden eingesetzt. Denn das Visaverfahren ist tatsächlich schwierig und zeitaufwändig. Die Fachleute haben uns gesagt, es gebe keine Anzeichen dafür, dass mit irregulärer Zuwanderung aus Russland zu rechnen sei. In Deutschland hat man ja immer Angst vor Zuwanderung.

Aber diese ganzen Gespräche haben bekanntlich zu nichts geführt. Dabei gibt es unseres Erachtens keine Veranlassung, Russland in dieser Weise zu sanktionieren.

Zusammengestellt von Tino Künzel

 

 

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