Der Weg zum neuen Helsinki

Vom Moskauer Vertrag bis zur Deutschen Wiedervereinigung: Welche Lehren lassen sich aus der Neuen Ostpolitik der 70er Jahre ziehen? Und ist es Zeit für eine neue große Konferenz zwischen Ost und West? Um diese Fragen ging es beim jüngsten Durchgang der Moskauer Gespräche.

Vor 50 Jahren: Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) unterschreibt den Moskauer Vertrag und legt so den Grundstein der Neuen Ostpolitik. (Foto: Boris Jelin/ RIA Novosti)

Er leitete die Entspannungspolitik mit der Sowjetunion ein und gilt als Grundstein der neuen Ostpolitik: Am 12. August 1970 unterschrieben Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Außenminister Walter Scheel (FDP) im Katharinensaal des Kreml den Moskauer Vertrag. Mit dem Abkommen verpflichteten sich Bundesrepublik und Sowjetunion zur friedlichen Lösung ihrer Konflikte. Außerdem einigten sich beide Länder auf die Anerkennung der bestehenden europäischen Grenzen.

Vertrauen schaffen – auch gegen den Zeitgeist

Doch was sagt uns der vor einem halben Jahrhundert abgeschlossene Vertrag heute noch? Welche Impulse und Handlungsempfehlungen kann er für das angespannte Verhältnis zu Moskau geben? Um diese Fragen drehte sich das jüngste Moskauer Gespräch, das diesmal von Tamina Kutscher, Chefredakteurin des Russlandportals „dekoder“, moderiert wurde. Die Diskussionsrunde fand wegen der coronabedingten russischen Grenzschließung bereits zum dritten Mal im Online-Format statt. Die Antworten der vier geladenen Experten auf die Eingangsfrage fielen dabei ziemlich unterschiedlich aus. So verwies Gernot Erler (SPD), der frühere Russlandkoordinator der Bundesregierung, auf die zentrale Bedeutung gegenseitigen Vertrauens, welches der Vertragsabschluss erst möglich gemacht habe. Vertrauen sei die Grundlage für alle weiteren Schritte der Entspannungspolitik gewesen. Damals wie heute brauche es daher engagierte Politiker, welche vertrauensbildende Maßnahmen auch gegen einen scheinbar festgefahrenen Zeitgeist vorantreiben. Dabei seien allerdings beide Seiten gefragt. Hackerangriffe und politische Morde im Ausland seien nicht hilfreich, erklärte der Politiker in Richtung Moskau. Aber auch der Westen müsse sich kritische Fragen gefallen lassen. Sanktionen, sogenannte Doppelstandards seien keine Politik auf Augenhöhe und hätten zu einem russischen Entfremdungsprozess geführt, der im Westen lange verschlafen worden sei. Erler schlug daher eine Neuauflage der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) in Helsinki von 1975 vor.

Konsolidierung im Inneren statt Dialog

Der Notwendigkeit eines Dialoges stimmte Sergej Medwedjew prinzipiell zu. Allerdings müsse dieser mehr von Akteuren aus der Zivilgesellschaft, den russischen Regionen, Wissenschaftlern und Journalisten geführt werden, forderte der Geschäftsführer des Berliner Vereins „Dekabristen“. Denn in der offiziellen Politik sei gegenwärtig kein Vertrauen gegeben, eine Perspektive zur Zusammenarbeit nicht erkennbar. Ähnlich sah dies Alena Epifanova von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Aus ihrer Sicht sei die russische Führung vorrangig mit der internen Konsolidierung beschäftigt, erklärte die Wissenschaftlerin mit Verweis auf die Verfassungsreform von diesem Jahr. Vertrauensbildende Maßnahmen mit dem Westen stünden nicht auf der Agenda. Eine Diskussion über ein neues Verhältnis zum Westen sei erst nach tiefgreifenden Änderungen in Russlands Innenpolitik denkbar. Andrej Sagorskij betonte abschließend die Bedeutung eines langen Atems. Trotz Meinungsverschiedenheiten sei der Dialog letztlich alternativlos, erklärte der Wissenschaftler vom Forschungsinstitut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen (IMEMO).

Birger Schütz

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