Der Rückzug der „Gehörnten“

Die russische Hauptstadt hatte einst das größte Trolleybusnetz der Welt. Doch seit einigen Jahren sind die „Gehörnten“, wie die Moskauer die Fahrzeuge wegen ihrer Stromabnehmer nennen, auf dem Rückzug. Mittelfristig soll komplett auf batteriebetriebene Elektrobusse umgestellt werden.

Fahrerin Nastja ist gerne mit ihrem Trolleybus unterwegs. © Jiří Hönes

Anfang August wurde die einstige Trolleybuslinie T56 vom Weißrussischen Bahnhof zur Korowinskoje Schosse von Elektrobussen übernommen – nach über einem Jahr Diesel-Intermezzo. Wenig später folgte die bisherige Dieselbuslinie 107 im Westen der Stadt. Die neuen Elektrobusse sind kontinuierlich auf dem Vormarsch, ganze 13 Linien haben sie mittlerweile fest in der Hand. Die Trolleybusse dagegen sind auf dem Rückzug. Im Stadtzentrum verschwanden die Oberleitungen schon weitgehend. Die wütenden Proteste, die es anfangs gegen die Stilllegung von Trolleybuslinien gab, haben sich zwar weitgehend gelegt. Doch bei manchen bleibt Wehmut angesichts des Verlusts eines liebgewonnenen Verkehrsmittels.

Im Gegensatz zu normalen Bussen beziehen Trolleybusse ihre Energie aus Oberleitungen wie Straßenbahnen. Die Leitungsnetze sind für die einen eine Verunstaltung des Stadtbilds, für die anderen ein Stück historische Identität. Während in Westeuropa nur noch wenige Trolleybusnetze bestehen, sind sie im Bereich der ehemaligen Sowjetunion noch relativ häufig anzutreffen.

Das Moskauer Netz geht auf das Jahr 1933 zurück. Rasant wuchs es in den 1960er- und 1970er-Jahren. Lange Zeit war es das größte der Welt, sowohl im Hinblick auf die Länge der Linien als auch die Anzahl der Fahrzeuge.

Oberleitungen stören das Stadtbild

Im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts begann jedoch der Stern der „Gehörnten“ zu sinken. Als der frischgebackene Bürgermeister Sergej Sobjanin im Jahr 2010 Ideen zur Lösung der Moskauer Verkehrsprobleme vorstellte, fand sich darunter ein Vorschlag mit Zündstoff: Die Trolleybusse sollten von den innenstädtischen Hauptstraßen verschwinden. Vier Jahre später wurden im Zusammenhang mit dem Verschönerungsprogramm „Meine Straße“ tatsächlich auf einigen Straßen die Oberleitungen abgebaut und die entsprechenden Linien auf Dieselbusse umgestellt.

Der Protest ließ nicht lange auf sich warten. Insbesondere die Einstellung der Linie B auf dem Gartenring erhitzte die Gemüter. Die Anhänger der Trolleybusse argumentierten mit der Umweltfreundlichkeit des Verkehrsmittels. Elektrobusse waren damals noch nicht serienreif, es wurden stattdessen Dieselbusse eingesetzt. Zudem brachten die Trolleybusfreunde von Anfang an auch nos talgische Gründe an. Die Stilllegung der Linie B könne keinen Moskauer, der seine Stadt liebt, gleichgültig lassen. Trolleybusse seien ein Markenzeichen Moskaus, ein fester Bestandteil der historischen Landschaft der Stadt, hieß es in einer Online-Petition auf dem Portal „change.org“. Anfang 2017 gab es gar eine Demonstration mit etwa 900 Teilnehmern.

Doch die Stadtverwaltung ließ sich nicht von den Plänen abbringen. Eines ihrer Hauptargumente war, dass das Oberleitungsnetz ohnehin sanierungsbedürftig sei. Der Bürgermeister sagte 2018 in einem Interview: „Natürlich können wir damit beginnen, Trolleybuslinien zu renovieren oder neu zu bauen. Aber warum, wenn es neue Busse gibt, die keine Oberleitungen brauchen und zudem umweltfreundlich sind?“ Solche Aussagen schürten bei Trolleybus-Freunden den Verdacht, Sobjanin führe einen persönlichen Kampf gegen die „Gehörnten“. Die Zeitung „Nowye Iswestija“ vermutete, er möge die Trolleybusse nicht, weil ihre Oberleitungen das Stadtbild stören.

Moderne Elektrobusse als Ersatz

Mit Häme beobachteten viele schließlich den holprigen Start der ersten Elektrobusse im September 2018. Doch die Kinderkrankheiten scheinen überwunden. Mittlerweile fahren über 180 Elektrobusse der Marken KAMAZ und LiAS in der Hauptstadt. Die beiden Modelle wurden eigens für Moskau entwickelt. Immer mehr Schnellladestationen entstehen, an denen sie in 15 Minuten ihre Batterien wieder aufladen können. Etwa 70 Kilometer weit kommen sie damit. Bis 2030 will die Verkehrsgesellschaft Mosgortrans alle Diesel- und Trolleybusse durch Elektrobusse ersetzen.

Derweil melden noch immer hartnäckige Trolleybus-Fans jede Havarie eines Elektrobusses in einer Gruppe auf dem sozialen Netzwerk „VKontakte“. Die „Nowye Iswestija“ schrieb noch im April von einem „Pogrom an den Gehörnten“, als wieder Trolleybuslinien eingestellt wurden. Michail Dolgopolow, der auf Instagram als „mihan765“ Infos rund um den Nahverkehr postet, kennt die Szene. „Eigentlich geht es den Fans nur um Nostalgie, aber das würden sie natürlich nie zugeben“, sagt er.

Komfort vor Nostalgie

Der Großteil der Moskauer scheint sich ohnehin mit dem Wandel zu arrangieren und für die Fahrgäste geht Komfort vor Nostalgie. Die 68-jährige Valentina etwa, die gerade auf ihren Bus wartet, wird jedenfalls nichts vermissen. „Hauptsache ich komme komfortabel ans Ziel“, sagte sie. Wie sie argumentieren viele, die wir fragen. Viktor (42) sagt, man könne ja eine Linie museal erhalten, um der Nachwelt die Technik zu zeigen.

Etwas wehmütiger klingt es beim Personal. Die 32-jährige Nastja ist seit 2012 als Trolleybusfahrerin unterwegs. Sie werden ihr schon fehlen, sagt sie uns bei ihrer Pause in der Wendeschleife. Ihr Kollege ist gerade dabei, die Stromabnehmer seines Fahrzeugs wieder an die Oberleitung anzulegen.

Als er losfährt, hört man die Metallkette, die zur Erdung dient, auf dem Asphalt schleifen. Obwohl es ein recht junges Modell ist, wirkt der Trolleybus im Gegensatz zum leisen Elektrobus wie aus einer anderen Zeit. Nostalgisch eben.

Jiří Hönes

So sieht die Zukunft aus: ein Elektrobus der Marke KAMAZ. © Jiří Hönes
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