Der rauhe Wind des Protests

Verhöhnen, beschimpfen, beleidigen: Alexej Nawalnyj wird von ehemaligen Mitstreitern immer wieder ein despotischer Umgang mit abweichenden Meinungen vorgeworfen. Jetzt soll sogar ein Buch über das Thema erscheinen. Was ist dran an der Kritik?

Umstritten: Alexej Nawalnyj wird ein autoritärer Führungsstil nachgesagt. /Foto: flickr.com

Witalij Serukanow ist von seinem einstigen Idol zutiefst enttäuscht. „Er will der König der Opposition werden, mit einer unangefochtenen Autorität, den niemand mehr herauszufordern wagt und der jeden anderen Oppositionspolitiker besiegen kann“, schreibt der ehemalige Vizeleiter des Moskauer Stabes von Alexej Nawalnyj in einem Vorabdruck seines Enthüllungsbuches „Hallo, hier ist Nawalnyj“. Der Kreml-Kritiker betreibe Personenkult, benehme sich herablassend gegenüber seinen Mitarbeitern und kenne nur Freunde oder Feinde, behauptet Serukanow. Kurzum: In der Opposition wachse ein autoritärer Drache heran. Die Vorwürfe wiegen schwer. Neu sind sie indes nicht. Immer wieder haben sich frühere Mitarbeiter verletzt über Nawalnyjs angeblich autoritären Führungsstil geäußert und fehlende Toleranz gegenüber anderen Meinungen beklagt. Doch wie raubeinig geht es in der russischen Opposition wirklich zu?

Fahrräder aus Holland und deutsche Wurst

Maxim Kaz hat den forschen Umgangston im Umfeld des Kreml-Kritikers aus nächster Nähe miterlebt. Der heute 33-Jährige engagierte sich 2013 bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen als Vize-Leiter des Wahlstabes von Nawalnyj. Schon bald kam es zu ersten Auseinandersetzungen mit dem Oppositionsführer. Als dieser einen Gesetzesvorschlag für die Wärme- und Wassertarife der Moskauer Stadtwerke vorlegte, verwies Kaz, der sich als Aktivist zuvor auch mit Stadtplanung beschäftigt hatte, auf eine Reihe von Ungenauigkeiten. Nawalnyj bezeichnete die Kritik daraufhin öffentlich als dumm und schickte seine Anwältin Ljubow Sokol vor. Diese verhöhnte den jungen Aktivisten im Internet. Kaz sehe sich nur deshalb als Stadtplaner, weil er bei seinen Auslandsreisen in Holland Fahrräder gesehen und in Deutschland Wurst gegessen habe.

Maxim Kaz zeigte sich von Ton und Niveau der Kritik verletzt – und legte nach. Nawalnyjs kompromisslose Einstellung gegenüber Vertretern der Staatsmacht, die dieser ausschließlich als Gauner bezeichnet, sei kontraproduktiv. „Ich finde nicht, dass die Machthaber ausschließlich Schurken sind“, äußerte sich Kaz gegenüber der Zeitschrift „Bolschoj Gorod“ In der Folge eskalierten die Beziehungen zwischen den beiden Männern, Kaz beendete seine Arbeit für Nawalnyj. Dieser beschimpfte seinen früheren Mitarbeiter daraufhin unter anderem als Gauner, der ständig lüge. „Er ist ein unanständiger Mensch und einfach ein Hochstapler“, sagte Nawalnyj im Mai 2016 gegenüber dem Fernsehkanal Doschd.

Doppelagent und Kreml-Spion

Doch nicht nur bei politischen Diskussionen fährt Nawalnyj schweres Geschütz auf. Auch auf den Vorwurf, bei Protesten verletzte Aktivisten zu wenig zu unterstützen, reagieren der Politiker und sein Umfeld zum Teil ausfallend. So beklagte sich Aleksandr Turowskij im Sommer 2017 über fehlende Hilfe vor Gericht. Der frühere Aktivist im Moskauer Stab Nawalnyjs war bei einem Polizeieinsatz schwer verletzt worden. Ärzte diagnostizierten ein schweres Schädel-Hirn-Trauma sowie mehrere Platzwunden. Anschließend wurde Turowskij vor ein Gericht gestellt. „Ich war ein Instrument für Nawalnyj“, schrieb er daraufhin auf Facebook. Dann ergoss sich eine Welle der Kritik und Schmähungen über den Verletzten. Es fehle ihm an der richtigen Einstellung und er wolle nur auf sich aufmerksam machen, schrieben Nawalnyj-Anhänger in sozialen Netzwerken. Der Kreml-Kritiker bezeichnete den Vorwurf als „rätselhaft in Stil und Fakt.“ Er sei bereit, jede Art von Hilfe zu gewähren, Turowskij sei aber nicht telefonisch zu erreichen.

Zu einem ähnlichen Fall war es bereits drei Jahr zuvor gekommen. Damals wurde dem Aktivist Denis Lebedjew während einer Prügelei auf einer Demonstration in einem Moskauer Vorort eine Kniescheibe gebrochen. Auch Lebedjew beklagte sich anschließend über ausbleibende Unterstützung. Das Geld für eine Operation habe er selbst zusammenbringen müssen. Nawalnyj bezichtigte Lebedjew daraufhin der Zusammenarbeit mit dem Kreml und beschimpfte ihn als einen Doppelagenten.

Launenhaft in Krasnogorsk

Aber auch gegenüber anderen Parteien und Politikern aus dem Oppositionslager teilt der Politiker zum Teil kräftig aus. So bezeichnete er Rostislaw Mursagulow, den Kandidat der „Partei der Veränderungen“, für die Krasnogorsker Bürgermeisterwahl in diesem Juli als nichtsnutzigen Ganoven und Dieb. Dieser habe an Wahlfälschungen teilgenommen. Als der Kandidat daraufhin von seiner Partei zurückzogen wurde, verspottete Nawalnyj Parteiführer Dmitrij Gudkow wegen angeblicher Launenhaftigkeit. „Er ist kein Politiker, sondern eine Wolke in Unterhosen!“, so Nawalnyj.

Vorwürfe zu seinem Führungsstil wies Nawalnyj bisher stets zurück. „In unserem Sandkasten gibt es eben eine große Konkurrenz“, sagte er Ende Oktober in einem Interview mit dem Moskauer Schriftsteller und Publizisten Dmitrij Bykow. „Ich bin dazu bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, die sich mit etwas Nützlichem beschäftigen und dieses Regime wirklich herauszufordern!“

Birger Schütz

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