Der Dichter und sein Denkmal

Alexander Puschkin wollte nie ein Denkmal für sich und bekam dennoch eines. Seit fast 140 Jahren steht die Statue des russischen Nationaldichters im Zentrum des Zeitgeschehens und ist Anziehungspunkt für die Moskauer. Vor allem rund um seinen Geburtstag am 6. Juni. Die MDZ zeigt die wechselvolle Geschichte des Denkmals.

 

 

Puschkin

Immer mitten im Geschehen: Alexander Puschkins Denkmal auf dem gleichnamigen Platz © Nikolaus Michelson

Zu Füßen Alexander Puschkins liegen Blumen. Sein leicht gebeugtes Haupt scheint zufrieden auf die vorbeigehenden Menschen zu blicken. Die bronzene Statue, mit Sockel über zehn Meter hoch, ist eines der Lieblingsdenkmäler der Moskauer. Besonders an seinem Geburtstag, dem 6. Juni, zieht es viele zum Standbild des Nationaldichters. Ob Puschkin selbst von dieser Art der Verehrung geträumt hat? In seinem Gedicht „Exegi Momentum“, verfasst ein Jahr vor seinem Tod, erklärt er sein Werk selbst zum Erinnerungsort:

Ein Denkmal schuf ich mir, kein menschenhanderzeugtes, Des Volkes Pfad zu ihm wird nie verwachsen sein.

Hysterie und Zensur in der Zarenzeit

Sein materielles Denkmal in seiner Heimatstadt Moskau wurde indes 1880, zur Zeit des Reformers und Bauernbefreiers Zar Alexander II., errichtet. Als Standort wurde der Beginn des Twerskoj Boulevard am angrenzenden Strastnaja-Platz gewählt. Zur Enthüllung reiste die Crème de la Crème der russischen Intelligenzija an. Zur Feier des Tages hielt der Schriftstellerkollege Fjodor Dostojewskij eine flammende Rede auf sein großes Vorbild. Und das Publikum nahm die Ansprache frenetisch auf. Unter den Anwesenden soll gar eine Puschkin-Hysterie ausgebrochen sein, wie Zeitzeugen berichten.

Doch trotz aller ihm entgegen gebrachter Verehrung, die Verse des Dichters konnten im Zarenreich nur in zensierter Form erscheinen. Am Sockel des Denkmals wurde nicht, wie in Puschkins Original „in grauser Zeit die Freiheit kühn gepriesen“, sondern die völlig veränderte Zeile „dass ich der Schönheit mit lebendiger Poesie hilfreich war“ angebracht.

Ehrung und Opposition in der Sowjetunion

Das Ende der Monarchie brachte auch Neuerungen für den bronzenen Puschkin mit sich. Die Bolschewiki stilisierten den Poeten zum freiheitsliebenden Revolutionär und setzten sein Denkmal dementsprechend in Szene. Das für den Platz zuvor namensgebende Strastnoj-Kloster wurde mit- samt Kirche abgerissen, der ganze Ort 1931 nach Puschkin benannt. Zum 100. Todestag des Dichters 1937 gab es dann eine pompöse Feier auf dem neuen Puschkin-Platz.

Der Korrespondent der „New York Times“ berichtete, dass ganz Moskau in diesen Tagen verrückt nach Puschkin gewesen sei. 25 000 Menschen versammelten sich vor dem Denkmal und lauschten den Festrednern. Das Besondere: Die am Sockel angebrachten zensierten Zeilen wurden durch die originalen Verse Puschkins ersetzt. Doch die zur Schau gestellte Freiheitsliebe stand im krassen Gegensatz zu den Ereignissen von 1937. Denn in der Hochphase des stalinistischen Terrors konnte von Gedankenfreiheit keine Rede sein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Puschkin einen Perspektivwechsel. Denn das Denkmal wurde auf die andere Straßenseite an seinen heutigen Standort versetzt. Seitdem bestimmt es das Bild des Platzes. Und die Bronzeskulptur erhielt eine neue Bedeutung. An ihrem Sockel fand am 05.12.1965, dem Jahrestag der sowjetischen Verfassung, die erste öffentliche Demonstration von Oppositionellen statt.

Unter den wachsamen Augen Puschkins forderten die Teilnehmer die Einhaltung der sowjetischen Verfassung sowie öffentliche Gerichtsverfahren für die zuvor inhaftierten Schriftsteller Andrej Sinjawskij und Julij Daniel. Nach nur 20 Minuten beendete der Geheimdienst KGB die nicht genehmigte Versammlung. Dennoch war ein Stein ins Rollen gebracht worden. Die nun jährlich am 5. Dezember stattfin- denden Demonstrationen wur- den später als „Glasnost-Treffen“ bekannt.

Am Puls der Zeit im neuen Russland

Mit dem Ende der Sowjetunion musste sich der bronzene Puschkin an eine neue Umgebung gewöhnen. Die Marktwirtschaft hielt Einzug und rund um den großen Dichter erschienen die Schriftzüge bekannter Modemarken und das goldene M einer großen amerikanischen Burgerkette.

Heute befindet sich das Denkmal mitten im Zeitgeschehen. Der Platz und das Monument sind, anknüpfend an die „Glasnost-Treffen“, wieder der Treffpunkt der Opposition. Regelmäßig finden hier Demonstrationen mit bis zu 20 000 Beteiligten statt. Die aus der Menge herausragende Statue wird dabei als Aussichtspunkt und Klettergerüst genutzt.

Aber auch an allen anderen Tagen des Jahres finden sich Menschen hier ein, um auf langgezogenen Bänken das Panorama des bronzenen Puschkins und seiner Umgebung zu genießen.

Alte Gebäude aus der Zarenzeit, konstruktivistische Sowjetbauten und das moderne Moskau treffen hier aufeinander. Das Puschkin-Denkmal ist das verbindende Element. Über alle politischen und sozialen Wirren der russischen Geschichte hinweg waren der Dichter und sein Denkmal wichtiger Bestandteil der russischen Kultur:

Und lange wird vom Volk mir Liebe noch erwiesen, Weil mein Gesang erweckt Gefühle echt und tief.

Die das ganze Jahr über blühenden Blumen zu Füßen der Statue scheinen dem Dichter recht zu geben.

Nikolaus Michelson

 

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