„Deinen Namen gibt der Sieg dir wieder“

Unter denen, die während des Großen Vaterländischen Krieges ihre multinationale Heimat verteidigten, waren auch Sowjetdeutsche. Einige von ihnen änderten ihre deutschen Namen, um an die Front zu kommen. Die MDZ hat Geschichten verschiedener Helden gesammelt, die unter fremden Namen kämpften.

Zahlreiche Russlanddeutsche waren bei der Verteidigung der Festung von Brest zu beteiligt. (Foto: Tino Künzel)

Obwohl Sowjetdeutsche nicht massenhaft in die Armee eingezogen wurden, waren im Juni 1941 Deutsche auf sowjetischer Seite an der Front. Sie waren schon vor dem Krieg eingezogen worden. Nach Schätzungen des Historikers Nikolai Bugaj gab es über 33 500 von ihnen, die überwiegende Mehrheit aus der Wolgaregion. Viele schafften es in den ersten Monaten des Krieges, ihrem Patriotismus Ausdruck zu verleihen. Sie zeigten Eigenschaften wie Mut, Tapferkeit und großes militärisches Geschick.

Trotzdem hielt es die sowje­tische Führung zur Beruhigung für notwendig, die Deutschen aus der aktiven Armee zu entfernen. Die Direktive des Volkskommissars für Verteidigung der UdSSR Nr. 35105с vom 8. September 1941 ordnete an, „aus den Einheiten, Akademien, militärischen Bildungseinrichtungen und Institutionen der Roten Armee, sowohl an der Front als auch im Hinterland, alle Soldaten deutscher Herkunft auszuschließen und sie in die inneren Bezirke zur Entsendung in die Baubataillone zu schicken“. Diese Baubataillone legten den Grundstein für die Arbeitsarmee.

Elf Deutsche wurden zum „Helden der Sowjetunion“

Aber auch nach dem 8. September schafften es Hunderte von Deutschen, an die Front zu gelangen. Der eine aufgrund von Nachlässigkeit in den Rekrutierungsbüros, ein anderer, weil er seinen deutschen Namen in einen russischen, ukrainischen oder aserbaidschanischen geändert hat. Viele Sowjetdeutsche kämpften in Partisanenkommandos und Untergrundgruppen.

Es gibt viele heldenhafte Deutsche, die Kommandeure von Divisionen und Brigaden und sogar in der Armee waren. Für ihre Tapferkeit und ihren Mut in den Schlachten wurden viele von ihnen mit Orden und Medaillen ausgezeichnet. Elf Deutsche wurden mit dem hohen Titel „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet.

Waldemar Wenzel starb im Kampf um einen Brückenkopf

Einer von diesen elf ist Waldemar Wenzel. Der 17-jährige Junge aus Saratow meldete sich freiwillig an der Front und nahm den Namen Wladimir Wenzow an. Er absolvierte Kurzzeitlehrgänge zum Unterleutnant und war seit Oktober 1941 an der Front. Die Kenntnis der deutschen Sprache zwang Wenzow immer wieder zu Aufgaben, die über seinen direkten Aufgabenbereich hinausgingen. Er musste zur Aufklärung hinter die feindlichen Linien.

Am 25. September 1943 überquerte Wenzow Kompanie als erste des Regiments den Dnepr und nahm einen kleinen Brücken­kopf ein. Oberleutnant Wenzow kam im Kampf um dessen Erhalt ums Leben. Am 15. Januar 1944 wurde er posthum in den Rang eines Helden der Sowjetunion erhoben. Und beim Ausstellen von Verleihungs­urkunden stellte sich heraus, dass er bei der Geburt einen anderen, deutschen Namen hatte.

Erich Grieb konnte der Deportation entkommen

Es ist schwer zu sagen, wie viele solcher Deutschen an der Front waren, die ihren Namen geändert haben. Der Saratower Historiker Arkadij German, der mehrere Artikel über sowjetische Kriegshelden deutscher Nationalität veröffentlichte, zählte etwa zwei Dutzend solcher Fälle. „Aber das ist nur das, was wir herausfinden konnten“, sagt er.

Von einem solchen Fall erfuhr er, als er das Buch „Wenn ich am Leben bleibe …“ über eine bekannte Figur der deutschen Bewegung, Edwin Grieb, schrieb. Geboren im Dorf Rosowka in der Ukraine, wurde Edwin Grieb im September 1941 mobilisiert und zur Arbeitsarmee in den Ural geschickt. Bald da­rauf wurden Griebs Verwandte nach Sibirien deportiert, doch Edwins jüngerer Bruder Erich konnte auf dem Weg dorthin entkommen. Er wurde in Nowosibirsk auf dem Bahnhof gefasst.

Nach Kriegsende kam alles ans Licht

Erich gab sich als Grigorij Alexandrowitsch Nikolajew aus. Er wurde auf eine Handelsschule geschickt, um Eisenbahner zu werden, nach zwei Jahren wurde er zur Armee eingezogen. Er wurde als militärischer Spionageabwehroffizier ausgebildet. Nach dem Krieg diente Erich Grieb in Deutschland bei den Besatzungstruppen, arbeitete in der Spionageabwehr SMERSch.

Ein paar Jahre nach Kriegsende schrieb Erich Grieb an seine Tante in Moltschanowo im Tomsker Gebiet, wohin seine Verwandten verbannt waren. Sie antwortete ihm und fügte unter den Namen Nikolajew in Klammern „an Erich Grieb“ hinzu. Dann ist alles aufgeflogen. Erich leugnete es nicht. „Der Vorfall erreichte den Oberbefehlshaber der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Marschall der Sowjetunion W.I. Tschuikow“, zitiert Arkadij German aus Edwin Griebs Worten. Tschuikow fragte: „Er hat, nach seiner Stellung und seinem militärischen Rang zu urteilen, ehrlich und gewissenhaft gedient. Ist das so?“ Das wurde bejaht. „Also, lasst ihn, lasst ihn dienen“, sagte Tschuikow. Erich blieb, diente bis 1955, kam dann nach Tomsk und heiratete. Er arbeitete bei der Feuerwehr und starb später bei einen Unfall.

Furcht vor Entdeckung, Furcht vor dem Sieg

Ein anderer Fall, in dem sich ein Kommandant für einen Deutschen einsetzte, wurde dank einer Dokumentargeschichte von Hugo Wormsbecher mit dem Titel „Deinen Namen gibt der Sieg dir wieder“ weithin bekannt. Sie wurde zum 30. Jahrestag des Kriegsendes 1975 in deutscher Sprache geschrieben und erzählt von dem Kaukasusdeutschen Paul Schmidt, der aus der Arbeitsarmee floh, den Namen seines aserbaidschanischen Freundes annahm und an die Front kam. Mit seinem Mörserregiment erreichte er Berlin, und je näher das Ende des Krieges rückte, desto schwieriger wurde es, sich vorzustellen, wie er danach leben würde.

Er begann sogar, dieses Ende zu fürchten, „sich vor dem Sieg zu fürchten“. Und am 9. Mai gestand er schließlich seinem Mitstreiter, dass er ein Deutscher sei. Die Inspektionen begannen. An einem Punkt dachte Schmidt sogar, dass er nun wegen Desertion von der Arbeit in der Nachhut vor Gericht gestellt werden würde, und weder die Teilnahme an Schlachten, noch Auszeichnungen oder Belobigungen ihn retten würden. Doch er hatte Glück – Marschall Schukow selbst setzte sich für ihn ein und erlaubte Schmidt, „unter seinem richtigen Nachnamen nach Hause zurückzukehren“.

Georgij Richter: durch Verrat enttarnt

Aber ein anderer Deutscher, der Ostpreußen erreichte, hatte weniger Glück. Die Geschichte von Georgij Richter, der zu Michail Smirnow wurde, wurde 1987 in der Zeitschrift Ogonjok von seinem Sohn Andrej Richter erzählt. Vor dem Krieg erhielt Georgij Emiljewitsch eine medizinische Ausbildung, arbeitete in Kiew, Charkiw, dann in Moskau und verteidigte seinen Doktortitel. Aber im Dezember 1937 wurde seine Mutter verhaftet und einige Tage darauf kamen sie, um ihn zu holen. Wegen „Beziehungen zu einem Volksfeind“ wurde er zu fünf Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt.

Im Jahr 1941 meldete sich Richter zum Wehrdienst. Natürlich wurde er abgewiesen, und dann beschloss er zu fliehen. „Durch einen der Häftlinge, der als Schreiber arbeitete, erhielt ich ein Duplikat der Entlassungsurkunde von M.W. Smirnow. Er verließ das Lager in diesen Tagen, weil seine Strafe zu Ende war“, schrieb Richter später in einem Brief über seine Flucht. Nach seiner Entlassung arbeitete er eine Zeit lang als Arzt im Nordkaukasus, dann wurde er an die Front geschickt.

In den Kriegsjahren machte er eine schwindelerregende Karriere: Nachdem er als Privatarzt an die Front gegangen war, wurde er zum Leiter des sowjetischen Militärkrankenhauses in Potsdam befördert und wurde Oberstleutnant im Sanitätsdienst. 1949 erkannte ihn ein Filmregisseur, der Richter aus Moskau kannte, und verriet ihn. Am nächsten Tag kamen sie, um Richter zu holen. Er wurde vom Militärkollegium des Obersten Gerichtshofs der UdSSR wegen Flucht aus dem Lager und wegen illegalen Besitzes einer Trophäenwaffe zu fünf Jahren verurteilt. Erst 1953 wurde ihm aufgrund von Stalins Tod eine Amnestie gewährt.

Olga Silantjewa

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