Das Lächeln der Doktoren

Von der Wolga an die Spree: Die Russlanddeutsche Uljana Iljina (48), Lehrerin, Übersetzerin und Texterin, ist als Spätaussiedlerin nach Deutschland gekommen. In ihrer MDZ-Kolumne „Deutschland-Tagebuch“ schreibt sie aus Berlin darüber, wie sie ihre neue Heimat – die Heimat ihrer Vorfahren – erlebt.

Nein, hier geht‘s nicht zum Kndrarzt. Zweimal hinschauen ist auch in der Medizin immer gut. (Foto: Uljana Iljina)

Im Idealfall hat man mit Ärzten so wenig wie möglich zu tun, das gilt sowohl für Russland als auch für Deutschland. Es sei denn, man ist Hypochonder und entdeckt ständig neue Krankheiten bei sich, die der Untersuchung bedürfen. Bei mir ist eher das Gegenteil der Fall, ich fühle mich schon beim Gedanken an Ärzte unwohl. Iatrophobie nennt das die Wissenschaft. Aber um Arztbesuche kommt man nun mal nicht herum, zumal wenn man Kinder hat. Um zumindest die Schwierigkeiten zu minimieren, die damit verbunden sind, sollte man wissen, wie das Gesundheitssystem in dem einen oder anderen Land funktioniert.

In Russland ist die Medizin überwiegend in staatlicher Hand. Jedem Einwohner steht unabhängig von seiner sozialen Stellung eine Pflichtversicherung zu. Sie deckt ein gewisses Spektrum medizinischer Leistungen ab, die in jeder Poliklinik kostenlos gewährt werden. Allerdings ist dieses Spektrum relativ eng begrenzt. Und einen Termin beim Facharzt in der Poliklinik zu bekommen, ist mitunter einfach ein Ding der Unmöglichkeit. Dann bleibt nur der Weg zum Spezialisten in einer Privatklinik. Doch die Kosten dafür müssen aus eigener Tasche getragen werden.

Hier in Deutschland sind die Bürger verpflichtet, sich bei der gesetzlichen Krankenkasse zu versichern, sofern sie nicht mehr als einen bestimmten Betrag verdienen. Besserverdiener und Selbstständige können sich für eine private Krankenversicherung entscheiden. Im Fall des Falles ohne medizinische Versorgung dazustehen, ist insofern praktisch undenkbar.

Gesundheitscheck für den Schulbesuch

Nach einem halben Jahr in Deutschland sind meine Erfahrungen mit dem deutschen Gesundheitssystem – zum Glück – noch überschaubar. Aber die bisherigen Eindrücke sind durchaus positiv. Die erste Untersuchung mussten meine beiden Töchter über sich ergehen lassen, das war Bedingung, um in die Schule aufgenommen zu werden. Den Termin beim Kinder- und Jugendgesundheitsdienst des Stadtbezirks, in dem sich die Schule befindet, hatte das Schulamt selbst vereinbart. Es ging alles schnell und reibungslos. Wir mussten uns nicht einmal ausweisen. Mehr Vertrauen kann einem gar nicht entgegengebracht werden.

Bei der Untersuchung nahm uns eine russischsprechende Frau in Empfang, die sich die Impfkarten der Kinder aus Russland zeigen ließ, um sich davon zu überzeugen, dass sie gegen Masern geimpft sind. Das ist die einzige relevante Impfung, wenn es um Schulkinder geht.

Binnen 40 Minuten wurden verschiedene Werte gemessen, darunter Größe und Gewicht, aber auch Sehstärke und Hörvermögen. Nachdem auch noch potenzielle chronische Krankheiten abgefragt waren, wurde die Schuleignung bescheinigt. Außerdem sollten die Kinder sich bei einigen Fachärzten vorstellen.

Poliklinik war gestern

Das war dann schon nicht mehr ganz so einfach, wenn auch längst nicht so traurig wie in einer beliebigen russischen Kleinstadt. Nein, in Deutschland sind die Fachärzte nicht in mehrstöckigen Polikliniken anzutreffen, wo man zunächst in der Schlange steht, bis eine Frau mit Haaren auf den Zähnen in der Aufnahme mitteilt, ob man heute vorgelassen wird oder „kommen Sie morgen wieder“. Deutsche Ärzte haben ihre eigenen Praxen und wegen eines Termins wendet man sich direkt dorthin. Das setzt eine Überweisung vom Hausarzt voraus, den man als Neuankömmling zunächst einmal gefunden haben muss.

Wenn man zu Ärzten möglichst Abstand hält wie ich, kann man auf die Hilfe der tollen App „Doctolib“ zurückgreifen. Wie bei Diensten für die Partnersuche im Internet, ist dort alles über Ärzte und ihre Praxen aufgelistet, von beruflichen und wissenschaftlichen Erfolgen bis hin zu Adresse und Sprechstundenzeiten. Fehlen nur noch Augen- und Haarfarbe, aber dafür gibt es ja das obligatorische Foto mit obligatorisch strahlend weißem Lächeln.

Erster Termin beim Hausarzt

Nachdem ich einige Dutzend dieser Profile studiert hatte, die sich für mich in nichts unterschieden, wählte ich einfach die nächstgelegene Praxis aus. Dort saßen wir dann genau so einem Arzt mit strahlend weißem Lächeln gegenüber. Die Hälfte des halbstündigen netten Gesprächs war unserer Gesundheit gewidmet, die andere Hälfte der politischen Lage in der Welt und der offenbar erstaunlichen Tatsache, dass ich trotz meiner russischen Herkunft Deutsch spreche. Jedenfalls schien es den deutschen Doktor zu überraschen, dass in Russland auch Deutsche leben, ganz abgesehen davon, dass man dort Deutsch studieren kann. Nach diesem landeskundlichen Exkurs wurden die Überweisungen zu den Fachärzten ausgestellt.

Eine Freundin hat mich neulich gefragt, warum ich mich eigentlich nicht nach russischsprachigen Ärzten umsähe. Davon gibt es in Berlin ziemlich viele. Ich würde sagen, dass Russisch im deutschen Berlin sogar etwas überrepräsentiert ist. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.

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