Das Eis wird dünner

Die Skandale der vergangenen Monate sind nicht spurlos an der Regierungspartei „Einiges Russland“ vorbeigezogen. Wie eine neue Umfrage zeigt, wünscht sich mehr als die Hälfte der russischen Bevölkerung Abwechslung an der Spitze des Landes.

Präsident Wladimir Putin schwört die Funktionäre auf dem 19. Parteitag ein. (Foto: Kremlin.ru)

„Die Partei hat diese Verantwortung auf ihre Schultern genommen und hatte niemals Angst vor schwierigen Entscheidungen“, lässt es Wladimir Putin durch den gefüllten Saal schallen. Gewohnt pompös präsentierte sich die Regierungspartei auf ihrem jüngsten Kongress Ende November. Doch die Worte des Präsidenten, der offiziell gar nicht als Mitglied geführt wird, implizieren Erklärungsnot. Putin stellt die vaterländische Fürsorge in den Vordergrund: Es mag euch nicht alles gefallen, doch es ist für euer Bestes.
Tatsächlich scheint die Unzufriedenheit mit dem, was „Einiges Russland“ an politischer Arbeit leistet, so groß wie lange nicht mehr.

Ein neuer Anspruch

In einer kurz vor dem Parteitag veröffentlichten Umfrage des russischen Meinungsforschungsinstituts WZIOM gaben 51 Prozent der Teilnehmer an, dass sie einen Wechsel an regierenden Parteien grundsätzlich begrüßen würden. Allein 37 Prozent hielten dagegen. Die Studie diagnostiziert einen Wunsch nach Veränderung, der sich durch alle sozialen Schichten zieht. Die Ergebnisse würden zwar nicht zwangsläufig für eine erhoffte Ablösung von „Einiges Russland“ sprechen, zumindest aber einer Veränderung der parteilichen Strukturen gelten.

Dabei zeigten sich 66 Prozent der Befragten mit dem Regierungsprinzip einer einzelnen, mächtigen Partei grundsätzlich einverstanden. Wie der Politikwissenschaftler Alexej Tschadajew in der Tageszeitung „Kommersant“ erklärt, sind viele Russen nach wie vor davon überzeugt, dass eine mächtige Einzelpartei den unmittelbarsten Weg zur Umsetzung gesamtgesellschaftlicher Wünsche darstellt. Doch dieser Erwartung sei das „Einige Russland“ nicht nachgekommen. „Die Rhetorik der frühen 2000er Jahre, die noch immer von der Partei vermittelt wird, hat sich erschöpft“, ist sich Tschadajew sicher. „Damals klangen die Worte „wir tun etwas“ vielversprechend, doch inzwischen wird das, was die Regierung tut, ins Verhältnis zur Gegenwart gesetzt.“

Wunsch nach Mitbestimmung

Dass schon lange keine Rede mehr von Euphorie sein kann, zeigt sich insbesondere an der Unzufriedenheit aus den eigenen Reihen. Es mag weniger überraschen, dass diejenigen Russen, die der Opposition nahestehen, einen Wandel fordern – doch auch jeder vierte Unterstützer von „Einiges Russland“ spricht sich laut der Studie für den Wandel aus.

Die größten Kritikpunkte sind offensichtlich: Rund 43 Prozent aller Befragten sehnen sich nach besserer Kommunikation mit der Bevölkerung. Hierauf folgen das Bedürfnis nach einer jüngeren, sich selbst neu erfindenden Partei mit 23 Prozent sowie die Forderung nach personalen Veränderungen mit 18 Prozent. „Es ist eine Zeit gekommen, in der die Forderungen der Bürger nach Mitbestimmung lauter werden und die Antworten entsprechen immer weniger den Erwartungen“, resümiert Walerij Fjodorow, der Geschäftsführer vom WZIOM. „Die Russen wollen, dass sich die Partei erneuert, verjüngt und vor allem für die Gesellschaft und nicht für ihre eigenen Lieblinge arbeitet.“

Medwedew will reagieren

Das „Einige Russland“ hat sich von seiner einstigen Stellung innerhalb der russischen Gesellschaft entfernt. Korruption und Ineffizienz haben zu einer Unzufriedenheit geführt, deren Ausmaße momentan noch überschaubar erscheinen. In vielen Russen reift aber offenbar der Eindruck heran, dass ihre Regierungspartei zwar Stärke, aber nicht den Wählerwillen repräsentiert.

Auch Dmitrij Medwedew, Vorsitzender von „Einiges Russland“, sprach auf dem Parteitag im November. Er kündigte an, das eigene Programm bis zur Wahl der Staatsduma 2021 aktualisieren zu wollen. Man wolle sich künftig aktiver auf die Vorschläge der Wähler stützen und neue Anhänger in der Jugend finden. Ob der Plan aufgeht, bleibt abzuwarten.

Patrick Volknant

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