Chronik einer untergegangenen Stadt: Schirwindt im Kaliningrader Gebiet

Es gibt zahlreiche Publikationen über ehemals deutsche Städte in Ostpreußen. Sie stammen in der Regel von Deutschen, die ihre dortige Heimat verloren haben. „Stadtuntergang“ über das Schicksal der Stadt Schirwindt dagegen stammt von der russischen Journalistin und ehemaligen MDZ-Redakteurin Julia Larina.

„Stadtuntergang“ ist bei der Konrad-Adenauer-Stiftung erhältlich.

Dass Dörfer oder Städte aufhören zu existieren, kann verschiedene Gründe haben. Manche müssen dem Braunkohletagebau weichen, andere werden nach Erdbeben verlassen und nicht wieder aufgebaut. Julia Larina erzählt die Geschichte einer Kleinstadt, die zum Opfer des Zweiten Weltkriegs wurde.

Die Journalistin hat sich eingehend mit dem Schicksal von Schirwindt beschäftigt, der einstmals östlichsten Stadt Deutschlands. Sie lag im heutigen Kaliningrader Gebiet, ah an der Grenze zu Litauen. Und sie war die erste deutsche Stadt, die 1944 von der Roten Armee eingenommen wurde. Die Bevölkerung war bereits weitgehend geflohen, als am 31. Juli ein sowjetischer Fliegerangriff die Stadt in Brand setzte. Zwei Tage später erfolgte der Beschuss durch sowjetische Bodentruppen. Es waren die ersten Schüsse auf deutsches Territorium nach bereits drei Kriegsjahren. Entsprechend wurde das Ereignis später in der Sowjetunion mythologisiert, wie die Autorin darlegt.

Was nun aber Schirwindt von benachbarten Städten unterscheidet ist, dass es nach dem Krieg, als das Gebiet an die Sowjetunion gefallen war, nicht wieder aufgebaut wurde. Das führte zu dem für deutsche Ohren etwas ungelenken Titel „Stadtuntergang. Schirwindt, das es nicht mehr gibt.“

Julia Larina hat das Buch, das von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegeben wurde, in deutscher Sprache verfasst. Sie beleuchtet die Geschichte der Stadt von ihren Anfängen bis zu ihrem Untergang und darüber hinaus.

„Verlorener Kampf ums Überleben“

Auch die Schicksale der aus Schirwindt geflüchteten Bevölkerung und der dort untergebrachten Kriegsgefangenen werden dargestellt. Die Autorin steigt damit ein, die Geschichte Schirwindts als einen verlorenen Kampf ums Überleben zu beschreiben, indem sie eine Zeittafel der Unglücke der Stadt anbringt. Pest- und Choleraepidemien, Durchzüge von Streitkräften, Missernten, Brände zeichnen ein düsteres Bild, die Stadt habe „nur sehr wenige Phasen des Glücks“ gehabt. Nun teilt Schirwindt dieses Schicksal sicher mit unzähligen europäischen Orten, insbesondere solchen, die an den Grenzen großer Einflusssphären liegen.

Die älteste schriftliche Quelle, die den Ort Schirwindt nennt, stammt aus dem Jahr 1516. Er gehörte damals zu Preußen, war jedoch mehrheitlich von Litauern bewohnt. Nach Pestkatastrophen siedelten sich hier im 18. Jahrhundert zudem Deutsche aus verschiedenen Regionen an, zudem gab es seither eine kleine jüdische Gemeinde.

Wenig erinnert heute an den Ort

Ausführlich dargestellt sind die Geschehnisse im Ersten Weltkrieg. Die Stadt wurde zunächst 1914 von russischen Truppen eingenommen und ausgeplündert. Julia Larina schildert diese Ereignisse anhand deutscher Quellen benachbarter Orte sowie aus der russischen Literatur, was dieses Kapitel zu einem der stärksten des Buchs macht.

Schon 1915 wurde die Stadt von den Deutschen zurückerobert, wobei die Soldaten auf den eigenen Kirchturm schossen, da sich darin ein russischer Geschützstand befand.

Das schwer zerstörte Schirwindt wurde noch einmal aufgebaut, bevor es keine drei Jahrzehnte später endgültig verschwinden sollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es von den Sowjets in Kutosowo umbenannt, jedoch nicht wieder besiedelt. Das gesamte Gelände wurde Teil eines Truppenübungsplatzes. Ein einziges erhaltenes Gebäude, die Autorin vermutet, es sei die einstige Synagoge, dient Grenzsoldaten als Unterkunft.

Der Militärfriedhof mit seinem eisernen Kreuz aus dem Jahr 1932, eine Lindenallee, die ins Nichts führt und das Fundament der Immanuelkirche erinnern heute noch an die einst östlichste Stadt Deutschlands.

Jiří Hönes

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