Chaos in Erfurt, Achselzucken in Moskau

Erst gab es nur spärliche Meldungen, dann meldeten sich die Experten zu Wort: Wie russische Medien über die Thüringer Regierungskrise berichten.

In den russischen Medien kam das Wirrwarr in Thüringen erst mit Verspätung an. (Foto: www.izborsk.md)

Tabubruch, Chaos, Neuwahlen: Seit dem Überraschungscoup von Thüringen schlagen in Deutschland die Wellen hoch. Ausführlich berichteten Journalisten über die unerwartete Wahl des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit den Stimmen von CDU und AfD. Auch die Blätter der meisten EU-Staaten griffen die Krise auf, informierten über den Rücktritt des Politikers nach gerade mal drei Amtstagen und kommentierten das folgende Durcheinander. In russischen Medien tauchte das Drama zunächst nur am Rande auf. Nüchterne Berichte über die Wahl Kemmerichs dominierten. Die geplante Verfassungsreform und Russlands neueste Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus waren wichtiger. Dies sollte sich erst mit dem Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer vom CDU-Vorsitz und ihrem Verzicht auf die Kanzlerkandidatur ändern.

Eine Herausforderung für die Experten

Die AfD sei in gewisser Weise der Gewinner der Wahlen, heißt es in einem ausführlichen Beitrag des Radiosenders „Echo Moskau“. Sie habe bewiesen, dass sie die demokratischen Parteien gegeneinander ausspielen könne. Jedoch sei ihr Triumph nur temporär. Eine Neuorientierung von FDP und CDU in ihrem Verhältnis zur Linken sei höchst wahrscheinlich. Die Nachrichtenagentur „RIA Novosti“ verwies dagegen auf das ins Schwanken geratene Tabu einer Zusammenarbeit mit der AfD. Eine weitere Marginalisierung der Partei lasse sich in Zukunft nicht durchhalten und sei zudem gefährlich. Denn die AfD greife früher randständige Themen auf, die viele Menschen bewegen würden. Sie dauerhaft auszuschließen, sei auch eine Beleidigung der Wähler. Die Internetzeitung „Gazeta.ru“ glaubt indes an keine Zusammenarbeit mit der AfD. Der Nazismus sei in Deutschland ein absolutes Tabu, zitiert das Medium die Moskauer Geschichtsprofessorin Tatjana Timofejewa. Wer dies in Frage stelle, wolle nur PR für sich betreiben. Deutschland-Experte Wladislaw Below von der Russischen Akademie der Wissenschaften lobte indes den Rücktritt von Kramp-Karrenbauer als wohlüberlegte Entscheidung. Thüringen habe ihre fehlende Autorität in der CDU demonstriert. Die Politikerin sei als Verteidigungsministerin besser geeignet.

Birger Schütz

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