Heute erinnert an dem Ort, an dem vor 50 Jahren die berühmte Ausstellung nonkonformistischer Künstler stattfand, nichts mehr an dieses Ereignis. Es ist ein gewöhnliches Moskauer Wohnviertel mit den typischen mehrstöckigen Gebäuden. Genau an der Stelle befindet sich der Ausgang der Metrostation „Konkowo“. Die Station selbst wurde erst 1987 eröffnet. Aber einen Monat vor der Ausstellung, am 12. August 1974, fand die Eröffnung der benachbarte Station „Beljajewo“ statt. Zwischen ihnen liegen etwa 2 Kilometer entlang der Profsojusnaja-Straße. Das heißt, die Ausstellung fand am Stadtrand von Moskau statt, aber es war nicht schwer, dorthin zu gelangen.
„Die erste Freilichtausstellung von Gemälden“
Die Künstler selbst wählten diesen Ort für „die erste Freilichtausstellung von Gemälden im Herbst“, wie es in den Einladungen hieß. Sie alle einte die Tatsache, dass ihre Kunst über den sozialistischen Realismus hinausging und von den Behörden nicht anerkannt wurde.
Der Dichter Alexander Gleser und der Künstler Oskar Rabin übernahmen die Organisation der Ausstellung vom 15. September. Sie reichten beim Stadtrat einen Antrag für die Ausstellung ein. Sie wurde zwar nicht genehmigt, aber auch nicht verboten.
Am Vorabend des Tages X ließen die meisten Künstlter ihre Gemälde in der Wohnung von Viktor Tupizyn, einem Kunstwissenschaftler. Er lebte seinerzeit in Beljajewo. Einige Künstler übernachteten bei ihm. Der Rest reiste mit der Metro an. Einige wurden sogar am Ausgang der Metro aufgehalten, aber bald wieder freigelassen.
Man wartete jedoch nicht nur an der U-Bahn-Station auf die Künstler. Dutzende von Menschen, Bulldozer und Wasserwerfer standen bereits auf dem unbebauten Platz, auf der die Ausstellung stattfinden sollte. Angeblich sollte die Brache an diesem Tag bepflanzt werden. Einige der Künstler, die an der Ausstellung teilnahmen – es waren etwa 20 – hatten nicht einmal Zeit, ihre Bilder rauszuholen. Die Bilder, die bereits ausgestellt waren, wurden innerhalb weniger Minuten von schweren Maschinen zerstört. Die Künstler wurden mit Wasser übergossen. Journalisten westlicher Medien hielten das Vorgehen fest. Einige von ihnen wurden selbst verletzt. Es nieselte kalt.
„Völlig falsch“
Das Ereignis erregte großes Aufsehen. Sogar einen internationalen Skandal. Oskar Rabin sagte 2016 gegenüber Lenta.ru, dass die Resonanz, die im Westen entstand, viele Vorteile hatte. Und sie entstand nicht, weil die Gemälde zerstört wurden – „das allein hätte die westliche Öffentlichkeit nicht beunruhigt“. Die Resonanz war, weil man sich zu denen, die zur Vorführung kamen, „Diplomaten, Korrespondenten, die siegefilmt haben, „völlig falsch verhalten habe.“ „In Amerika fragte man, wie es möglich sei, normale Beziehungen zu einem solchen Land zu haben, wenn dort solche Dinge passieren“, erinnerte sich der Künstler.
Also gaben die Behörden nach. Zwei Wochen später erlaubten sie eine ähnliche Ausstellung mit einer erweiterten Teilnehmerliste im Park Ismailowo. Sie dauerte nur wenige Stunden, war aber die erste offizielle Ausstellung, die die Präsentation inoffizieller Kunst erlaubte. Von da an fanden nonkonformistische Ausstellungen in regelmäßigen Abständen statt, wenn auch mit Zähneknirschen.
Anlässlich des 50. Jahrestages der Bulldozer-Ausstellung in Moskau eröffnet die Galerie Q-ART am 19. September die Ausstellung „Atmosphären: die Felder“. Sie wird über die Ereignisse der Undergrundkunst im Jahr 1974 berichten. Die Ausstellung versammelt Werke von Vertretern der frühen Welle des Nonkonformismus der 1960er Jahre, von Teilnehmern der Bulldozer-Ausstellung, Werke der im Park Ismailowo vertretenen Künstler sowie anderer nonkonformistischer Ausstellungen.
Die Ausstellung findet in zwei Etappen statt. Im Mittelpunkt der ersten steht die Künstlergruppe „Lianosowo“, deren Künstler an der Bulldozer-Ausstellung teilgenommen haben: Lidija Masterkowa, Oskar Rabin, Wladimir Nemuchin, Sergei Bordatschew, Juri Sharkich und Rimma Sanewskaja.
Olga Silantjewa