Wieder zu haben: Breschnews Mercedes

Beim Mercedes-Festival „Schöne Sterne“ in Hattingen fuhr Ende August eine schwarze Limousine vor, die den Blicken der Öffentlichkeit lange verborgen geblieben war. Der Mercedes-Benz 600 von Leonid Breschnew hat inzwischen 53 Jahre auf dem Buckel und die meiste Zeit in der Garage verbracht, zuletzt in Deutschland. Nun wird ein neuer Besitzer dafür gesucht. In Russland.

Wenn dieses Auto sprechen könnte, hätte es viel zu erzählen.

Leonid Breschnew liebte die Jagd. Manche sagen: auch die Jagd auf der Straße. Der „Gensek“, 18 Jahre mächtigster Mann der Sowjet­union, soll eine Schwäche für luxuriöse und schnelle Autos gehabt haben. Das zumindest wurde immer wieder von Menschen aus seinem Umfeld und von ausländischen Politikern behauptet. Dem Kreml-Chef werden sogar einige Verkehrsunfälle zugeschrieben, die er selbst verschuldet haben soll, so 1973 in der Nähe von Bonn, als er mit einem Mercedes-Coupé  450  SLC, das ihm der damalige Bundeskanzler Willy Brandt  geschenkt hatte, bei einer Probefahrt angeblich von der Straße abkam.

Gesichert ist, dass in der „Garage für Sonderzwecke“ in Moskau jede Menge exklusiver Modelle aus westlicher Produktion vertreten waren. Formal gehörten sie Bresch­new nicht. Der Fuhrpark unterstand der 9. KGB-Verwaltungsstelle beim Ministerrat der Sowjet­union, sie war verantwortlich für die Absicherung von Staatsempfängen und anderen hochrangigen Treffen. Doch de facto handelte es sich um persönliche Geschenke an den sowjetischen Staatsführer. Dass sie jemals von anderen benutzt worden wären, ist nicht bekannt.

Westwagen mit Ostvita

Breschnew starb 1982, wohingegen zumindest einige der in alle Welt verstreuten Nobelkarossen auch heute in einem Topzustand sind. Ohne jeden Zweifel trifft das auf einen Mercedes-Benz 600 in schwarzer Metalliclackierung zu, 1966 fabrikneu nach Moskau geliefert und dort zwei Jahre später zugelassen. Der 600er galt damals als Nonplusultra des Automobilbaus. Ein Statussymbol, produziert von 1963 bis 1981 in kleiner Auflage, jeder Wagen ein Einzelstück. John Lennon hatte einen, Udo Jürgens, der japanische Kaiser Hirohito – und eben Leonid Breschnew.

Dieses Auto der Superlative war sowohl repräsentativ als auch bequem und mit einer Höchstgeschwindigkeit von 205 Kilometern pro Stunde bei Bedarf durchaus flott unterwegs. Individuelle Merkmale des für Moskau gefertigten Exemplars: graue Ledersitze, eine durchgezogene Sitzbank vorn sowie eine hydraulisch bedienbare Trennscheibe zum Fond, die nur ein einziges Mal verbaut wurde, nämlich in diesem Fahrzeug.

Sänfte und Sportler: Der Breschnew-Mercedes beschleunigt in zehn Sekunden von Null auf Hundert.

Das Unikat gelangte nach Breschnews Tod und im Zuge der Auflösung der Sowjetunion 1991 unter nicht geklärten Umständen nach Deutschland. Der neue Besitzer Wolfgang H. aus Berlin ließ das Auto aufwändig mit Originalteilen restaurieren. Doch 1997 wurde es im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens vom Finanzamt Potsdam gepfändet, im Jahr darauf stillgelegt, aber 2008 bei einer viel beachteten Auk­tion von einem Bieter unter dem Pseudonym „buggy9“ ersteigert. Der Käufer, ein Burkhard S. aus Nordrhein-Westfalen, ließ sich den Spaß 103.600 Euro kosten.

900 Kilometer in elf Jahren

Zugelassen wurde der Wagen auf das Kennzeichen EN–ZK 66 H. „ZK“ steht dabei für „Zentralkomitee der KPdSU“ und „66“ für das Baujahr. Seitdem hat sich der Kilometerstand kaum verändert. Heute zeigt der Tacho 91.400 Kilometer an, rund 900 Kilometer mehr als vor elf Jahren. Burkhard  S. konnte seinem teuren Spielzeug offenbar nicht viel Nutzwert abgewinnen. Jetzt will er den Oldtimer, der fast nur in der Garage stand, verkaufen.

„Das Auto sucht ein neues Zuhause in der alten Heimat.“

Mit der Presse spricht Burkhard S. nicht, damit hat er seinen Freund Gilbert Gratzel beauftragt. Der erklärt: „Das Auto konnte lange keiner sehen, dabei ist es ein rollendes Geschichtsbuch und vor allem für die Öffentlichkeit in Russland interessant. Sagen wir mal so: Es sucht ein neues Zuhause in der alten Heimat.“

Man habe begonnen, entsprechende Kontakte zu knüpfen: zum russischen Botschafter in Deutschland, zu Gazprom, zum neuen Pkw-Werk von Mercedes-Benz bei Moskau. „Vielleicht würden die den Wagen ja bei sich ins Foyer stellen, wo er für alle zugänglich ist?“, fragt Gratzel.

Bliebe zu klären, ob Leonid Breschnew seinen Mercedes-Benz 600 je gefahren hat. Belegt ist das nicht, man kann es nur vermuten. Aber wenn er der Autonarr war, als den ihn die Chronisten beschreiben, hätte er es beim Anschauen belassen können?

Tino Künzel / Fotos: Janosch Gruschczyk

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