Biete Luftschloss, suche Käufer

In der Vergangenheit wurden in Russland viele Wohnungskäufer betrogen. Doch damit soll bald Schluss sein. Die anteilige Baufinanzierung soll durch Projektfinanzierung ersetzt werden. Vorbild ist Europa.

Erst Geld einsammeln, dann bauen: Nach diesem Prinzip funktioniert der Wohnungsbau in Russland. /Foto: Brusnika/flickr.

Als Andrej L. 2004 eine Einzimmerwohnung in der Ortschaft Oktjabrskij kaufte, die rund zehn Kilometer vom Moskauer Autobahnring entfernt liegt, wusste er nicht, auf welches Abenteuer er sich einließ. Versprochen wurde der Familie, dass der Neubau in sechs Monaten fertig sein werde. Am Ende wurden es ganze sechs Jahre. Andrej, der eine Bildungseinrichtung in Moskau leitet und seinen Nachnamen nicht nennen möchte, war damals nicht der einzige, der um eine Eigentumswohnung betrogen wurde.

Im Gebiet Moskau kam es seit den 2000er Jahren massenhaft zu Vorfällen, bei denen Investmentfirmen und Bauherren Bankrott anmeldeten oder einfach mit dem Geld der Anleger verschwanden.

Dass in Russland Wohnungen gekauft werden, die nur auf dem Papier existieren und für die noch nicht einmal der Grundstein gelegt wurde, machen sogenannte Beteiligungsverträge am Anteilsvorhaben möglich. Dabei verkaufen Investoren oder Baufirmen gestückelte Wohnungsanteilsrechte in Form von Zertifikaten an Privatpersonen (Co-Investoren), um so eine Immobilie zu errichten – eine Art Venture-Capital-Finanzierung. Der Vorteil für Käufer: Die Wohnung ist in den frühen Baustadien wesentlich günstiger als nach der Bauübergabe. Laut einer Studie des Magazins RBK werden rund 80 Prozent der Wohnungen nach diesem Prinzip finanziert.

Bis Anfang der Neunziger hatte der Staat die Verantwortung, Wohnraum zu schaffen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion zog er sich jedoch aus dem Wohnungsbau weitgehend zurück. Weil in den 90ern und Anfang der 2000er Jahre für die Mehrheit der Bevölkerung erschwingliche Finanzierungsmöglichkeiten fehlten, setzten sich jene Kreditsurrogate, eine Alternative zum klassischen Bankkredit, durch. Ein schwaches Bankensystem und eine lückenhafte Gesetzgebung machten es möglich.

Eine Wohnung, zweimal verkauft

„Es gab zu dieser Zeit überhaupt keine Regulierung. Der Bauherr konnte selbst die Einzelheiten des Bauvertrags entscheiden und sie den Käufern diktieren. In solchen Verträgen fehlten häufig Bedingungen, was im Falle eines Bauverzuges passiert“, sagt Asia Tachtaewa, Senior Associate bei der internationalen Rechtsanwaltskanzlei „Noerr“ und Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Immobilien“ der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK). Das barg ein sehr großes Risiko, Geld an Betrüger zu verlieren. Eine der häufigsten Betrugsmaschen war, dass Baufirmen ein und dieselbe Wohnung zweimal verkauften. „Häufig endete der Bau, weil die Firma keine Genehmigung erhielt oder sie Grundstücksrechte nicht einholten.“ In beiden Fällen blieben die Käufer ohne Wohnung und ohne ein Recht auf Entschädigung.

Erst 2004 kam es zu einer Reform. Die Regierung führte das sogenannte Gesetz über Beteiligungsverträge am Anteilsvorhaben ein, um „das ganze Modell der Teilnahme von Privatpersonen an Bauvorhaben transparent zu gestalten“, so Tachtaewa. Damit gab es einen legalen Weg, um an Kapital von Privatpersonen heranzukommen. Doch damit wurden die Probleme nicht aus der Welt geschafft.

Zwar hatten Baufirmen nun härtere Auflagen, beispielsweise ein eigenes Minimalkapital oder eine Versicherung, die ihre Verantwortung tragen sollte. „Praktisch konnten sie diese Auflagen umgehen. Viele schlossen solche Versicherungen bei „befreundeten“ Versicherungsgesellschaften ab“, so die Expertin. Im Falle eines Bankrotts kommen Privatpersonen erst an dritter Stelle. Laut Gesetz sind Versicherer und Banken die ersten Gläubiger. „Für Privatpersonen bleibt in der Regel kaum Geld übrig.“

Trotz der Transparenz wissen viele Bürger nicht, auf welches Risiko sie sich beim Kauf einlassen. „Ohne juristische Expertise versteht ein normaler Bürger solche Verträge nicht, und damit auch nicht seine Rechte.“

Vergebliche Proteste

Für Andrej und viele andere gab es damals kaum Alternativen, günstig eine Eigentumswohnung zu kaufen. „Als wir das Geld in die Immobilie anlegten, war das Haus bis zur Hälfte gebaut. Außerdem haben wir uns zehn Investoren angeschaut, bevor wir uns entschieden.“ Nachdem die Jahre vergingen, die Bauträger immer wieder wechselten, versuchte die Familie, sich zu wehren. Sie beteiligte sich an zahlreichen Demonstrationen. Doch diese wurden häufig schnell aufgelöst. „Die Menschen wurden regelrecht eingeschüchtert“, so Andrej. Medien berichteten von einer mafiösen Struktur, an der auch die Stadtverwaltung beteiligt war.

Und das war und ist bis heute kein Einzelfall. In ganz Russland waren laut Ministerium für Bau-, Wohnungs- und Kommunalwirtschaft bis Juni 2017 in 69 Regionen 785 problematische Objekte registriert, bei denen es rund 46 000 Geschädigte gibt. Viele von ihnen schrieben Briefe, sowohl direkt an Wladimir Putin als auch an andere Politiker, doch nie wurden sie gehört. Damit solche Betrugsfälle zumindest in Zukunft nicht mehr vorkommen, soll im nächsten Jahr ein neues Gesetz bestätigt werden. Schon längst plädieren Experten dafür, dass sich die Baubranche an westlichen Standards orientieren soll. Auch Ministerpräsident Medwedjew bezeichnete das anteilige Bauen als ein „Rudiment einer vergangenen Epoche.“

Dem neuen Gesetz zufolge wird sich Russland in den kommenden drei Jahren von Beteiligungsverträgen am Anteilsvorhaben verabschieden. Bauherren werden in Zukunft kein Kapital von Bürgern akquirieren können, um ein Bauprojekt zu realisieren, sondern auf Bankkredite oder andere Investoren zurückgreifen.

Andrej wurde die Wohnung am Ende los, wenn auch mit erheblichen Verlusten. Kurz vor der Fertigstellung kaufte eine Interessentin die Wohnungen billig auf, um sie später teurer weiterzuverkaufen. „Am Haus wurde gepfuscht und wir hatten keine Lust mehr, dort zu wohnen, es waren zu viele unangenehme Erinnerungen“, sagt Andrej. Ich würde keinem dieses Abenteuer in Russland empfehlen, auch wenn es günstig ist. Am besten kauft man fertige Wohnungen.“

Katharina Lindt 

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