Berg-Karabach: Kein Krieg, kein Frieden

Der 9. Mai hat in Armenien und Aserbaidschan neben dem Gedenken an das Kriegsende 1945 eine zweite Bedeutung. Am gleichen Tag im Jahr 1992 feierte Armenien den Triumph über die aserbaidschanischen Streiftkräfte in Schuscha. Seitdem verharrt Berg-Karabach im Zustand zwischen Krieg und Frieden – jeder Versuch zur Vermittlung scheint zwecklos.

Das Dorf Talysch im Norden der umkämpften Region Berg-Karabach. Nach dem viertägigen Krieg im April 2016 wirkt es wie leergefegt / Foto: Sergej Nowikow

Dass dem vor ziemlich genau 23 Jahren vereinbarten Waffenstillstand in den Bergen zwischen Armenien und Aserbaidschan nicht blind zu vertrauen ist, zeigte sich im April vor einem Jahr. Bei den schwersten Gefechten seit 1994 in der abtrünnigen Republik Berg-Karabach starben fast 200 Menschen innerhalb von nur vier Tagen. Geschätzt über 34 000 Menschen ließen seit 1992 ihr Leben, davon etwa 4000 seit der 1994 in Bischkek vereinbarten Waffenruhe. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk flohen etwa 700 000 Aserbaidschaner und 400 000 Armenier vor Krieg und Verfolgung. Etwa 100 000 Landminen wurden gelegt, die nur allmählich geräumt werden. 

Der Karabach-Konflikt beinhalte die „feindseligste zwischenstaatliche Beziehung im gesamten postsowjetischen Raum – den Nichtfrieden-Status zwischen Armenien und Aserbaidschan“, erklärt Uwe Halbach, deutscher Kaukasus-Experte und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Er verhindere eine regionale Kooperation, die alle drei Staaten des Südkaukasus einbezieht. 

Die Ursachen des Zwistes reichen bis in die Zarenzeit zurück. Sie verlaufen entlang politischer, historischer sowie ethnischer Bruchlinien. Zur Sowjetzeit gehörte Berg-Karabach zu Aserbaidschan, 1988 forderte Armenien den Anschluss des Gebietes. 1992 eskalierte der Konflikt in einen armenisch-aserbaidschanischen Krieg. Aserbaidschan sieht sich um den Teil seines Landes beraubt – Armenien hingegen als Schutzmacht für Berg-Karabach. Heute verwaltet sich die kleine Region zwar selbst, doch die Unabhängigkeit Berg-Karabachs wurde bis heute von keinem einzigen Staat anerkannt – nicht mal von Armenien. Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine staatliche Einheit. 

Berg-Karabach liegt in den hohen Bergen zwischen Aserbaidschan und Armenien. Mit einer Fläche von rund 11 000 Quadratkilometern ist das umstrittende Gebiet etwa so groß wie Schleswig-Holstein. Insgesamt leben auf dem Gebiet nur 145 000 Einwohner, davon ein Drittel in der „Hauptstadt“ Stepanakert.

Nach Aussage von Halbach hat der ungelöste Konflikt beide Staaten in eine enorme Aufrüstung getrieben. Allein die Militärausgaben Aserbaidschans seien seit 2004 ungefähr um das Zwanzigfache gestiegen. „Der Südkaukasus wird gerne als eine Landbrücke zwischen Europa und Asien dargestellt. Doch geschlossene Grenzen und Waffenstillstandslinien, an denen es immer wieder zu Gewaltzwischenfällen kommt, bewirken das Gegenteil. Das gilt besonders für den Karabach-Konflikt“, sagt Halbach.

Ein starkes Hemmnis für Armenien ist der Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit nahezu allen  Nachbarstaaten – bis auf Georgien. Die Grenzen zur Türkei und nach Aserbaidschan sind geschlossen. Demzufolge ist Armenien stark vom Handel mit Georgien abhängig. Für Berg-Karabach ist der Warenimport fast nur über Armenien möglich. In dieser isolierten Situation hat sich eine besondere Beziehung entwickelt, bei der die wirtschaftlichen, finanziellen, personellen und militärischen Verflechtungen kaum mehr zu trennen sind. In Berg-Karabach sind rund 8 000 armenische Soldaten stationiert.  Sersch Sargsjan, der Präsident Armeniens, wurde hier geboren. 

Aserbaidschan ist weniger in die Isolation getrieben und steht dank des Öl-Booms der vergangenen Jahre finanziell besser dar. Seine engster Verbündeter ist die Türkei, mit der enge wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen bestehen. Politisch hält sich Ankara in der Karabach-Frage jedoch zurück. 

Auf internationaler Ebene findet der Konflikt um Berg-Karabach nur wenig Resonanz. Anscheinend hat die Situation weder für die UN noch für die EU eine übergeordnete Priorität. Der Europarat richtete zwar erst letztes Jahr einen Unterausschuss zur Situation in Transnistrien und Berg-Karabach ein. Einzig die Minsker OSZE-Gruppe unter Leitung der USA, Frankreichs und Russlands versucht seit ihrer Gründung im Jahr 1994, kontinuierlich zu vermitteln. Auch wenn ihr eigentliches Ziel, eine Friedenskonferenz in Minsk, nie erreicht wurde, nutzt sie diplomatische Mittel, um eine erneute Eskalation des Konfliktes zu verhindern. Dabei kommt Russland die  Führungsrolle zu. Schließlich habe Russland „seine Aktivitäten in der Minsker Gruppe in den letzten fünf, sechs Jahren intensiviert. Die USA und Frankreich unterstützten es darin grundsätzlich“, erklärt Artak Ayunts vom Jerewaner Büro der Eurasian Partnership Foundation. Eine Aussöhnung zwischen den Konfliktgruppen liegt für den Experten in weiter Ferne: „Es ist das blanke Misstrauen dem ‚Anderen‘ gegenüber. Die Chancen auf einen zeitnahen Friedensschluss sind gering.“

Die Möglichkeit einer Konfliktlösung außerhalb der hohen Politik sei unwahrscheinlich, da  die „Zivilgesellschaft in Aserbaidschan stark eingeschränkt ist und Kräfte, die für einen Dialog mit dem Konfliktgegner plädieren, schnell als ‚nationale Verräter‘ dargestellt werden. Auch auf armenischer Seite haben es solche Parteien nicht leicht“, so Halbach. In Aserbaidschan erzeugte der letzte Konflikt eine Welle von Patriotismus und „blendete vorübergehend Probleme aus, die soziale Unruhen hervorgerufen hatten und mit einer Wirtschaftsflaute und der Abwertung der Nationalwährung zusammenhingen“, erklärt Halbach weiterhin. In Jerewan hingegen kam es im Sommer 2016 „zum Aufmarsch von Veteranen des ersten Karabachkrieges und der einwöchigen Besetzung einer Polizeistation, bei der die Demonstranten die Regierung vor jeglichem Kompromiss in Sachen Karabach warnten.“

Ein erneuter Krieg um Berg-Karabach hätte dramatische Folgen für das Gebiet zwischen Armenien und Aserbaidschan. Denn er fände „auf einem weit höheren militärischen Niveau statt als der erste Karabach-Krieg in den 1990er Jahren“, resümiert Halbach. 

Simon Barthelmess

Interview: „Karabach ist mehr als nur Krieg – trotzdem ist er allgegenwärtig“

Sergej Nowikow in Berg-Karabach / Foto: Privat.

Der russische Journalist Sergej Nowikow (38) reiste mehrfach in die Region. Im Interview berichtet er von seinen Eindrücken.   

Wie kommt man eigentlich dazu, in so eine Krisenregion zu reisen?

Ganz einfach, um sich ein persönliches Bild von dem zu machen, was mich jahrelang täglich im Fernsehen erschütterte. Der Unterschied erwies sich als mehr als gewaltig.

Inwiefern?

Beeindruckt haben mich neben der atemberaubenden Natur und jahrhundertealten Traditionen vor allem die Gastfreundlichkeit der Bewohner. Karabach ist mehr als nur Krieg – trotzdem ist er allgegenwärtig. Die selbsternannte Republik ist dennoch eine Reise wert.

Wann waren Sie eigentlich das erste Mal vor Ort?

Ich war insgesamt viermal in Berg-Karabach. Zuerst im Jahr 1999, noch als Student. Zuletzt 2016 in den nördlichen Dörfern, die nach dem Grauen des viertägigen Krieges im April fast vollkommen ausgestorben sind.

Was hat sich seit Ihrer ersten Reise im Jahr 1999 getan?

(nachdenklich) Schwer zu sagen, da ich jedes Mal neue Teile von Karabach besucht habe. Vor allem in der Hauptstadt Stepanakert erinnert kaum etwas an die Zeit Anfang der 90er, als alles in Trümmern lag. Insgesamt erinnert sie mit seinem modernen Zentrum stark an Jerewan.

Fühlen sich die Einwohner mehr zu Armenien oder Aserbaidschan hingezogen?

Die Großteil der Bevölkerung ist armenisch, genau wie die Währung, die meisten Soldaten und die Nummernschilder. Nicht zu vergessen, der einzige Zugang: der Latschi-Korridor. Baku erlaubt die Reise in das „besetzte Gebiet“ durch aserbaidschanisches Territorium nur mit Sondergenehmigung. Obwohl es seit eh und je eine Regierung gibt, wird sie nicht anerkannt.

Würden Sie die Region heute als gefährlich bezeichnen?

Obwohl meine Frau und Eltern beunruhigt waren, habe ich die Lage im letzten Jahr als sehr ruhig wahrgenommen. Wie sich kurz darauf im April gezeigt hat, kann man die Gefahr nie vollkommen ausschließen.

Das Interview führte Christopher Braemer

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