Der russische Bär schmiert sich gerne Honig ums Maul. Den Stoff dazu nimmer er auffällig oft aus dem Ausland. „Die Eremitage ist unter den drei besten Museen der Welt und Nummer Eins in Europa“ jubelte man vor kurzem über eine Online-Abstimmung von TripAdvisor. Mmmmh! Der Silberne Löwe bei den Venediger Festspielen für Alexander Kontschalowskijs Film „Himmel“: njam, njam! Und wenn Donald Trump Wladimir Putin einen starken Anführer nennt, tanzt der Bär um seinen Fernseher. Auch labt er sich an den Touristen, die dieses Jahr wieder zahlreicher nach Russland kommen (siehe Seite 7). Wahrlich, seine Höhle wird immer prächtiger – Moskau lockt jetzt mit einem vierten Flughafen und einer neuen Ringbahn, auf denen Schnellzüge von Siemens um das Stadtzentrum kreisen. Das alles ist ein Segen für die Moskauer „und die Gäste der Hauptstadt“, wie Bürgermeister Sergej Sobjanin unablässig betont und dabei sicher nicht nur seine Landsleute meint. Ihr Ausländer, kommet! Und wenn sie auch noch Geld mitbringen, mit Kapital Fabriken bauen, damit die Russen künftig Autos, Käse und sogar das eben erst in die Importverbotsliste aufgenommene Salz selbst produzieren können – dobro poschalowat, ausländischer Investor!
Wehe aber, wenn der Ausländer mit seinem Geld Schabernack treibt, also Zeitungen, NGOs oder soziologische Institute unterstützt. Dann fletscht der Bär seine Zähne – Agent, Agent, ganz Russland gleich brennt! Die Einstufung des Lewada-Zentrums für Meinungsforschung als „Ausländischer Agent“ droht, der bisher größte Schaden zu werden, den das berüchtigte NGO-Gesetz angerichtet hat. Damit dürfte nämlich die vertrauenswürdigste Quelle von repräsentativen Daten zur russischen Wirklichkeit versiegen: Niemand werde noch offenherzig an den Umfragen teilnehmen, wenn das Institut im Ruch steht, dem Ausland zu dienen, prophezeite das Lewada und erklärte sich damit selbst zum Aussätzigen. Das Ausland ist hier nicht mehr Honigtopf, sondern Pest und Cholera. „So ein Unsinn. Das Lewada ist doch kein ausländischer Agent“, brummte ausgerechnet Gennadij Sjuganow. Dem gestandenen Kommunistenführer dürfte die russische Schizophrenie mit dem Ausland in der Tat am ehesten auffallen.
Bojan Krstulovic