Ausdünnung der Diplomatie – Reisende als Opfer?

Die Ausweisung von Diplomaten ist ein probates Mittel der Außenpolitik zwischen Russland und dem Westen. In drastischen Fällen kann dies die Arbeit der Visabehörden lahmlegen.

Tschechische Botschaft in Moskau
Personal reduziert: Tschechische Botschaft in Moskau (Foto: AGN Moskwa)

Das Beispiel Russland und Tschechien zeigt, dass der gewohnte Betrieb von Botschaften und Servicedienstleistungen wie Visa oder Betreuung im Ausland von politischen Auseinandersetzungen in Mitleidenschaft gezogen werden kann.

Zunächst einmal eine vorläufige Entwarnung: Aktuell besteht bei keinem deutschsprachigen Land die akute Gefahr, dass es auf der russischen Liste der „unfreundlichen Staaten“ landet. Die Konsequenz eines Listenplatzes ist, dass Botschaftspersonal bis zur Grenze der Funktionsfähigkeit reduziert wird und viele Serviceleistungen, die man für normal hält, nicht mehr oder nur noch eingeschränkt existieren.

Doch die sichere Entwarnung gilt nur kurzfristig. Denn in der Politik zwischen Russland und der EU häufen sich in den letzten Jahren unvorhersehbare Ereignisse mit weitreichenden Konsequenzen, die von russischen Geopolitik-Experten „Schwarze Schwäne“ genannt werden. Skripal oder der Tiergartenmord sind hier Stichworte.

Die Arbeit der Diplomaten bleibt liegen

Die Sichtweise auf das Geschehen ist stets diametral entgegengesetzt und fast das Standardinstrument, zu dem die streitenden Staaten greifen, ist die Ausweisung von Diplomaten. Die letzte Runde einer Ausweisungsserie zwischen Russland und dem Westen ist gerade zwei Monate her und geschah nach Anschuldigungen gegen Russland wegen Explosionen in einem tschechischen Munitionsdepot.

Nun sind diplomatische Beziehungen, wie es der russische außenpolitische Experte Andrej Kortunow in einem Interview mit dem „Freitag“ ausdrückt, nicht nur ein Gefallen, dem man anderen Staaten tut. Sie sind eine wichtige Arbeit hauptberuflicher Spezialisten. Und mit jedem Diplomaten weniger bleibt auch solche Arbeit liegen, sei sie politischer, wirtschaftlicher oder konsularischer Art wie die Ausstellung von Visa oder Hilfe für Staatsbürger im Gastland.

Mitarbeiterzahl eingeschränkt

Wie das von der letzten Ausweisungswelle zentral betroffene Tschechien zeigt, kann das für normale Reisende und Auslandsbürger im Extremfall umfassende Auswirkungen haben. Die Tschechische Botschaft in Moskau darf nun, da Tschechien offiziell von der Russischen Regierung als „unfreundlicher Staat“ klassifiziert wurde, nur noch 19 Russen beschäftigen, die Zahl der Diplomaten wurde zwangsweise um zwei Drittel auf sieben begrenzt.

Die Auswirkungen waren radikal: Die Konsularabteilung wurde komplett geschlossen, die Regis­trierung von Anträgen auf Tschechien-Langzeitvisa für Russen ausgesetzt, Touristenvisa gab es zuvor wegen der Pandemie bereits nicht. Russische und tschechische Medien sprachen von einer Lähmung des Botschaftsbetriebs, weiteren Abteilungsschließ­ungen und der Entlassung von 79 russischen Angestellten. In der Russischen Botschaft in Prag, die vor der Ausweisungswelle wesentlich größer war als ihr Gegenstück in Moskau, wurde das Personal ebenfalls auf sieben Diplomaten reduziert. Auch hier ist nach dem Ende der Pandemie nicht mit einer vollständigen Wiederaufnahme des Services zu rechnen.

Dieses abschreckende Beispiel hält die Regierungen weiter nicht davon ab, diplomatische Vertretungen als eine Art Verhandlungsmasse in der geopolitischen Konfrontation einzusetzen, merkte der frühere russische Außenminister Iwanow zur Konfliktzeit in der „Rossijskaja Gaseta“ an.

Entwarnung nicht in Sicht

Andrej Kortunow ergänzt gegenüber der „Iswestija“, dass selbst die vollständige Einstellung der diplomatischen Arbeit von Staaten in Moskau oder der von Russland in diesen Staaten keine rein hypothetische Möglichkeit mehr ist. Dabei würden die Bürger, die mit der ganzen Politik nichts zu tun hätten, die Opfer der Fehlentscheidungen ihrer Anführer.

Nun wird vielleicht klar, warum die Entwarnung zu Beginn dieses Artikels nur kurzfristiger Natur war. Niemand kann garantieren, dass der nächste „Schwarze Schwan“ nicht zwischen Russland und Mitteleuropa fliegt. Gibt es wie bei Tschechien weitreichende Konsequenzen für den Botschaftsbetrieb, kann niemand vorhersagen, inwieweit Visavergabe, Serviceleistungen für Auslandsbürger oder Reisende noch gewährleistet werden können. Denn die Beschäftigten, die diese Dinge sicherstellen, könnten dann in einem Flieger nach Hause sitzen. Niemand weiß hier, was kommen kann. Auch Anfragen im Zuge der Recherche an die Russische Botschaft Berlin und die Deutsche Botschaft Moskau blieben unbeantwortet. Eine dauerhafte Entwarnung kann es nur geben, wenn sich die grauen Wolken im Verhältnis zwischen den Staaten verziehen.

Roland Bathon

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