Auf Spurensuche nach dem Menschen

1829 machte sich der Gelehrte Alexander von Humboldt auf, die Natur des Zarenreiches zu erkunden. Es wurde eine Reise, die Russen und Deutschen bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Zum Jubiläum feierte im sibirischen Omsk ein beeindruckendes Theaterstück Premiere. Inszeniert von einer Russlanddeutschen.

Humboldt
Minimalistisch und mächtig: Gossmanns „Humboldt“ © IVDK

2019. Das 250. Geburtsjahr des Ausnahmedeutschen Alexander von Humboldt. Und das 190. Gedächtnisjahr an die legendäre Expedition des global geachteten Universalgelehrten nach Russland. Aus diesem Anlass läuft ein ehrgeiziger, wahrer Event-Marathon, der über dieses ganze Themenjahr verteilt an ausgewählten deutschen und russischen Orten mit Humboldt-Aufenthaltsbezug stattfindet.

Organisatoren und Teilnehmer kommen aus partnerschaftlich verbundenen Vereinigungen der Russlanddeutschen wie dem „Internationalen Verband der deutschen Kultur – IVDK“ in Moskau und des „Alexander von Humboldt Kulturforums Schloss Goldkronach“ im deutschen Frankenland, in enger Zusammenarbeit mit Hochschulen aus beiden Ländern. Auf deren Initiative, mit finanzieller Unterstützung der deutschen Botschaft in Moskau, markierte die Premiere von „Humboldt. Was die Welt im Innersten zusammenhält“ im Rahmen der Anfang Juni im westsibirischen Omsk zu Ende gegangenen, jüngsten Konferenz den beeindruckenden, kulturellen Höhepunkt.

Denn Sprechtheater kann wohl als ein besonders wertvolles Kulturgut zur Pflege und Erhaltung traditioneller Werte gelten, einfach weil es sich der Muttersprache zu einer wirkungsvollen Kommunikation bedient – wie genau in diesem Werk mit nur wenigen, historisch bedingt eingestreuten russischen Zitaten. 

Das Gesamtbild beherrscht über das ganze Stück hinweg ein tiefer und weiter schmuckloser Raum. Ganz in Schwarz gehalten, nur dämmrig erhellt, spärlich bestückt mit einfachen Stühlen an den Wänden. Darauf nehmen die Protagonisten Platz, in ebenfalls vornehmlich in Schwarz gehaltener Kleidung, dezent dem Stil des frühen 19. Jahrhunderts nachempfunden, wenn sie sich nicht bei ihren Monologen, Dialogen und gemeinschaftlichen Gesprächen durch die Leere bewegen.

Nichts, aber auch gar nichts soll offenbar von dem inhaltlichen Reiz der entscheidenden Lebensabschnitte und Begegnungen sowie der darstellerischen, erzählerischen Kunst und Kraft der Schauspieler ablenken. Nur spitze Ohren, höchste akustische Aufmerksamkeit der eher Zuhörer als Zuschauer, lassen das Erlebnis dieser packenden Darbietung sich voll entfalten.   

Das Theaterstück ist lang, aber doch ohne Längen. Nicht weniger als 32 Bilder reihen sich ohne Pause aneinander. Eine Herausforderung für das Publikum, aber ursächlich an Autor, Regie, Schauspieler. Die hatte Monika Gossmann aus Berlin angenommen. Selbst mit russlanddeutschem Familienhintergrund, zeichnet die erfahrene Künstlerin, ausgebildet am Tschechow-Kunsttheater in Moskau, mit eigener Schauspielschule, eigener Theaterproduktion und einschlägiger Professur an Universitäten in New York und Florida, für die Regie verantwortlich. Aber erst nach intensiver Erarbeitung des anspruchsvollen Skripts nach historischen Archivvorlagen und aus vielfältigen Literaturquellen.

Auch die von ihr engagierten Schauspieler sollten in den bilateralen Gesamtrahmen und zur Herkunft der auftretenden Figuren passen. So waren Karolina von Jaenisch, Dolmetscherin und Seelenverwandte von Humboldt, und Georg Kankrin, Förderer und Organisator seiner Russlandreise 1829, beide Russlanddeutsche genau wie im Stück verkörpert von Marina Weis, die auch die Mutter von Humboldt, spielt und Alexej Steier, der auch Friedrich Schiller darstellt. Ebenso Russlanddeutscher Herkunft ist Patrick Schlegel, der Alexander von Humboldts älterem „Zwillingsbruder“ nach Hirn und Herz, Wilhelm, und seinem Freund und Gönner Johann Wolfgang von Goethe eine heutige Stimme gibt.

Allen ist eine wahrlich so anspruchsvolle wie hochprofessionelle Leistung gelungen. Ganz besonders aber dem deutschen Hauptcharakter Armin Marewski, in dem sich Alexander von Humboldt möglicherweise selbst gut wiederkennen würde.    

Die modern interpretierten musikalischen Einlagen (Alexej Wacker und Ashia Bison Rouge) unter gekonnt-virtuosem Einsatz von Piano, Cello und weiblicher Stimme, nach zeitgenössischen Werken von Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Schubert und Alexander Aljabjew lockern das gewaltige verbale Hörerlebnis nicht nur auf, sondern dienen auch zur dramaturgischen Unterstützung und Annäherung an die musikalische Ebene der damaligen Zeit.

Genau wie die künstlerisch interessant gestalteten Video-Grafiken (Natascha Schwarz), großflächig an die Stirnwand der Bühne projiziert, die in die aus- und inhäusige Umgebung, in Porträts und Kunst der Humboldt-Jahre eintauchen lassen. 

Das Werk wird im Laufe dieses Jahres noch in Bayreuth, Berlin und Moskau bei der Fortsetzung der geplanten Konferenzen zur wissenschaftlichen und kulturellen Aufarbeitung des lebendigen Erbes des Alexander von Humboldt aufgeführt werden, weitere Vorstellungen auf öffentlichen Bühnen sind in Verhandlung. Wünschenswert.

Schon der ungewöhnlich fesselnden, kreativen Inszenierung wegen, der gelungenen Revitalisierung einer oft menschlich verkannten, obgleich wissenschaftlich anerkannten Persönlichkeit, vor allem aber wegen seiner Wertigkeit mit höchst aktuellem Zeitbezug: Dieser Mann ersteht in diesem Stück mit seinen unerschöpflichen Ideen als ein so wirkungsvoller wie leidenschaftlicher Brückenbauer zwischen Deutschland und Russland überzeugend wieder auf. Alexander von Humboldt verkörpert ungebrochen ein wissenschaftliches Lehrbeispiel für Faszination, Nutzung, aber auch Bewahrung der geschenkten Natur unserer Erde – „Alles hängt mit allem zusammen“.

Aber genau wie für eine gleichzeitig mögliche und wirksame, humanistisch geprägte Einstellung und Verhaltensweise gegenüber den Mitmenschen. Frei nach Alexander von Humboldt: „Das Gute für alle.“

Das in Omsk uraufgeführte Theaterstück bringt sein menschliches Musterbeispiel und seine hehren Erkenntnisse und Forderungen auf- und anregend, eindringlich und nachhaltig rüber. „Hals- und Beinbruch“ – wie sich Bühnenkünstler vor einer Vorstellung gerne aufmuntern – an das Ensemble um Monika Gossmann auf den nächsten Brettern, die die Welt bedeuten.         

Frank Ebbecke         

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