Auf E-Bikes durch die Geschichte

Fünf geschichtsbegeisterte Radsportler begaben sich im Juli auf die Suche nach Spuren mittelhessischer Auswanderer. In Marx an der Wolga fanden sie einen Mann, der Wörter ihres heimischen Dialekts beherrschte und in Nur-Sultan in Kasachstan trafen sie sich mit den Nachfahren einer hessischen Familie.

Die Hinterländer Mountainbiker unterwegs an der Wolga © Hinterländer Mountainbiker

„Das war das Beste, was wir je gemacht haben“, schwärmt Ulrich Weigel. Seit über 26 Jahren ist er mit seinen vier Freunden gemeinsam unterwegs. Sie nennen sich die „Hinterländer Mountainbiker“, nach dem Landstrich rund um Biedenkopf in Mittelhessen.

Den Radsport verbinden sie mit ihrem Interesse für Geschichte. Immer wieder sind sie den Spuren hessischer Auswanderer gefolgt. So waren sie schon in China, Namibia und Brasilien mit ihren Rädern unterwegs. Doch ihre jüngste Reise hat sie besonders beeindruckt. „So nah und doch so fern“, sei Russland für ihn immer gewesen, meint Weigel. Aufgrund der nicht immer einfachen deutsch-russischen Geschichte hätten sie durchaus mit Ressentiments gerechnet. „Doch das Gegenteil war der Fall“, erzählt der Mountainbiker begeistert. Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft seien ihnen entgegengebracht worden.

Spuren hessischer Auswanderer

Ganze zwei Jahre haben sie sich auf ihre Tour vorbereitet, die sie an die Wolga und bis nach Kasachstan führte. Über einen Aufruf in der Lokalpresse suchten sie nach Nachfahren einstiger Auswanderer aus der Region und fanden Larissa Engels aus Wetzlar. Deren Vorfahren waren einst aus Staufenberg bei Gießen an die Wolga ausgewandert. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie nach Kasachstan verbannt. Von dort wiederum kam Larissa Engels 1989 nach Deutschland. „Die Geschichte ihrer Vorfahren bildete den roten Faden unserer Reise“, kommentiert Weigel. Eine besonders spannende Frage war für die historisch interessierten Biker: Werden sie noch Spuren ihres heimatlichen Dialekts, des Hinterländer Platt, entdecken?

Zum ersten Mal waren die fünf mit E-Bikes unterwegs. Der Transport der Akkus verursachte ungeahnte Probleme, da man sie nicht einfach im Flugzeug transportieren kann. Da die Route nicht nur durchs Gelände, sondern auch über Fernverkehrsstraßen führte, organisierten sie sich für diese Abschnitte ein Begleitfahrzeug, das sie vor dem Straßenverkehr abschirmen sollte. Eine kostspielige Angelegenheit, für die sie Sponsoren an Land ziehen konnten. Nach dem symbolträchtigen Start auf dem Roten Platz in Moskau und einer ersten Etappe durch die Stadt ging es mit dem Nachtzug nach Kasan. Von dort aus folgten die Radler dem Lauf der Wolga, durch Heidelandschaften und malerische russische Dörfer.

Begegnungen in Kasachstan

In Saratow, wo sie einen evangelischen Gottesdienst besuchten, machten sie die erhoffte Entdeckung. Ein Herr, der sich als Viktor Damsen vorstellte, hatte hessische Vorfahren. Er sprach zwar selbst kein Deutsch, doch er kannte aus der Erinnerung noch viele deutsche Wörter, die seine Großeltern verwendet hatten. „Und die klangen genauso, wie wir im Breidenbacher Grund reden“, freut sich Weigel. Sie hatten noch viele andere Deutschstämmige befragt, doch keiner hatte eine Aussprache, die so nah am Dialekt der Hinterländer war.

In der nahegelegenen Stadt Marx besuchten sie die ehemalige Traktorenfabrik, in der der Großvater von Larissa Engels in den 1930er Jahren gearbeitet hatte. Von Saratow ging es per Flugzeug in die kasachische Hauptstadt Nur-Sultan. Auf dem dortigen Friedhof trafen sie sich mit Wilhelm Völk, dem Onkel von Larissa Engels. Er führte sie zielsicher zur Grabstätte der Großeltern. Auf dem Grabstein waren Fotos angebracht. Sie zeigten dieselben Gesichter wie die Bilder, welche die Mountainbiker aus Wetzlar mitgebracht hatten.

In Telman bei Nur-Sultan wiederum standen sie am Grab des Stammvaters der Familie, Konstantin Engels. Hessische Familiengeschichte, erlebbar in Zentralasien!

Jiří Hönes

Hessische Spuren auf dem Friedhof im kasachischen Telman © Hinterländer Mountainbiker
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