Auf der Suche nach neuen Eindrücken

Seit mehreren Jahren führt Fjodor Jeljutin mit seinem Theaterunternehmen Impresario das Stück „Remote“, eine Art Hörrundgang durch die Stadt, der deutschen Theatergruppe „Rimini Protokoll“ in Moskau auf. Jetzt haben beide gemeinsam das neue Stück „Unheimliches Tal/Uncanny Valley“ erarbeitet, das Anfang April in Moskau Premiere feiert. Die MDZ traf Jeljutin zu einem Gespräch über experimentelles Theater in Moskau.

Jeljutin

Stefan Kaegi und Fjodor Jeljutin bei der Recherche in Moskau © Darja Nesterowskaja

Fjodor, in vielen Interviews ist zu lesen, dass Sie pleite waren, als Sie anfingen, Theaterstücke aus Europa nach Russland zu holen. Wie haben Sie es dennoch geschafft, „Remote“ von „Rimini Protokoll“ in Moskau zu inszenieren?

Ich hatte schon ein paar Ersparnisse, nur nicht genug. Vor allem wenn man bedenkt, was ein Theaterstück für Kosten verursacht. Deshalb habe ich mich an verschiedene Einrichtungen wie das Goethe-Institut, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und das Moskauer Kulturamt gewandt. Und sie haben mich unterstützt. „Rimini Protokoll“ wusste von den finanziellen Problemen überhaupt nichts. Als ich auf dem Theaterfestival von Avignon war, habe ich Stefan Kaegi (Anm. d. Red.: einer der drei Gründer von „Rimini Protokoll“) angeschrieben und ihm gesagt, dass ich als Privatunternehmer das Stück gerne in meiner Lieblingsstadt aufführen würde. Das war neu für sie, aber sie haben zugestimmt. So bin ich der erste, der „Remote“ ohne institutionellen Hintergrund aufführt.

„Remote“ wird in anderen Ländern nur auf Festivals aufgeführt. In Moskau gehört es jedoch zum festen Repertoire und läuft bereits seit fünf Jahren. Wie kommt das?

Es verliert seine Aktualität nicht. Warum trinken die Menschen Tarchun (Anm. d. Red.: eine Limonade)? Es ist ein angenehmes und grelles Getränk. Wir haben gemeinsam mit „Rimini Protokoll“ solch ein grelles Projekt geschaffen und jede Menge Energie hineingesteckt. Es gab bereits 650 Aufführungen, das ist ein Rekord.

Als Unternehmer will ich von der Kunst leben. Und jedes Geschäft versucht, etwas langlebiges zu schaffen. Es kreiert einen Burger und verkauft ihn dann bis in alle Ewigkeit. Bitte denken Sie nicht, dass das Theater für mich einem Burger gleicht, aber beides ist ein Produkt. Wenn man es gut herüberbringt, wird es lange überleben.

Zu ihrer Kooperation mit „Rimini Protokoll“. Wie läuft die Zusammenarbeit? Kann man deren Projekte als universell und leicht zu adaptieren bezeichnen?

Uns verbindet eine Freundschaft. Die Leute von „Rimini Protokoll“ „sind sehr kontaktfreudig. Mit einer der weltweit besten Theatergruppen zu arbeiten, ist für mich eine große Ehre und Freude. „Rimini Protokoll“ hat zwar Schablonen, um seine Stücke an verschiedene Städte anzupassen, dennoch ist eine ausführliche Vorbereitung nötig. Als wir „Cargo Moscow“ (Anm. d. Red.: ein Stück über das Fernfahrerleben, dessen Handlung in der Fahrerkabine stattfindet) gemacht haben, wollten sie vorher unbedingt mit Fernfahrern reden. Zur Vorbereitung von „Remote“ sind sie viel durch Moskau gelaufen, um ein Gespür für Raum und Zeit in der Stadt zu bekommen.

Welche Theaterprojekte sind für das russische Publikum interessant?

Sie sollten einen ansprechen, Gänsehaut verursachen und einen Wow-Effekt haben. Nicht alles, was ich auf Festivals sehe, lässt sich in Moskau aufführen. Einige sind zu teuer oder zu komplex. Und um sie zu zeigen, müsste man das Bolschoi Theater mieten. Impresario ist eine Show, die die Russen nirgendwo sonst sehen können. Irgendjemand muss die europäische Kultur hier fördern.

Streng genommen kann man das, was Sie in Moskau zeigen, nicht als Theater im traditionellen Sinne bezeichnen. Es gibt wohl wenige Menschen, die nach einer Aufführung von Impresario wiederkommen.

Ich interessiere mich für das zeitgenössische Theater, also dokumentarisches Theater und Theater, das die Interaktion mit den Zuschauern sucht. Dieses Theater befasst sich mit einem Thema, dass die Menschen im 18. Jahrhundert bewegte und das sie hoffentlich auch im 22. Jahrhundert bewegen wird. Es geht um das Ich und wie mich andere sehen usw. Der Punkmusiker Jegor Letow hat einmal gesagt: „Ich habe Musik gesucht, die ich möchte, aber nicht gefunden. Da habe ich verstanden, dass ich sie selbst schreiben muss.“

Ich mache selbst keine Stücke, aber irgendetwas fehlt mir. Wonach sehnen sich die Menschen am meisten? Nach Glück. Und Glück – das sind Hormone. Seit fünf Jahren bringen wir Endorphine, Serotonin und Dopamin auf die Bühne. Unsere Vorstellungen erstaunen die Menschen und sie lernen etwas Neues.

Jeljutin

Szene aus „Unheimliches Tal/Uncanny Valley“ © Gabriela Neeb

Es heißt, dass Sie Ihr eigenes ­Theater bekommen.

Es gibt mehrere Häuser, mit denen wir erfolgreich zusammenarbeiten. Aber man ist dort trotzdem nur Gast. Von meinem Theater habe ich bereits ein Modell. Jeden Tag schaue ich es mir an und hoffe, dass es mal errichtet wird. Einfach mit den Fingern schnipsen, schon hebt sich der Vorhang und ich führe eine mystische Show auf – das wäre schön. Der Schriftsteller Kornej Tschukowskij schrieb einst, dass man in Russland lange leben muss, bis etwas passiert. Ich bin ein ungeduldiger Mensch, habe aber verstanden, dass man eine Strategie braucht. Schon dieses Interview könnte helfen. Vielleicht liest es ja ein Milliardär und möchte sein Geld in etwas Nützliches investieren.

Schauen wir in die nahe Zukunft. Anfang April feiert Ihr neues Stück „Unheimliches Tal/ Uncanny Valley“ Premiere in Moskau. Und das auf Englisch. Worum geht es darin?

Nachdem die Münchner Kammerspiele auf Stefan Kaegi mit der Idee zukamen, ein Stück mit einem Roboter zu machen, hat er mich gefragt, ob ich ihn nicht unterstützen wolle. Ich habe mich finanziell beteiligt und bin jetzt Co-Producer. Deshalb darf ich „Unheimliches Tal/Uncanny Valley“ als einer der ersten nach der Premiere in München
aufführen.

Das Stück erzählt die Geschichte des Schriftstellers Thomas Melle, Autor des Buches „Die Welt im Rücken“, in dem es um das Leben mit einer bipolaren Störung geht. Im Stück gibt es einen Androiden, eine exakte Kopie Melles. Im Verlauf der Aufführung wird der Effekt des „Unheimlichen Tals“ ergründet, wenn sich Mensch und Roboter äußerlich gleich sind. Das erzeugt ein mulmiges Gefühl. Wir untersuchen, ob wir diesen Effekt überwinden können, ob wir der Maschine trauen und ihr gegenüber Empathie zeigen können. Der Trend geht ja in die Richtung, dass es immer mehr solcher Maschinen geben wird.

Das Gespräch führte Ljubawa Winokurowa

“Deutsches Theater” in Moskauer Wohnungen

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