Arbeiterklubs in Arbeit

Sowjetische Kulturhäuser mit viel Geschichte und ihr schwieriger Weg ins Heute

In ganz Moskau entstanden in den frühen Jahren der Sowjetunion sogenannte Arbeiterklubs. Die Gebäude sind zum Teil wichtige Zeugnisse des russischen Konstruktivismus. Während manche der Einrichtungen heute ums Überleben kämpfen, blüht in anderen wieder kulturelles Leben.

Von Georgia Lummert

 
Das SIL war ein sowjetischer Autogigant, der zu seinen besten Zeiten 70.000 Arbeiter beschäftigte und neben Luxuskarossen für die Parteiführung vor allem Lastwagen herstellte. Heute, 100 Jahre nach der Firmengründung, läuft die Produktion nur noch auf Sparflamme. Teile des riesigen, drei Quadratkilometer großen Werksgeländes nahe der Metrostation Awtosawodskaja sollen zu einer Wohnanlage für 30.000 Menschen umgebaut werden, nebst Läden, Sportstätten, Ausgehmöglichkeiten und einem Museum. Einiges davon steht schon, manches wurde nur neu definiert, darunter auch ein Aushängeschild für das öffentliche Leben im Stadtbezirk: das Kulturzentrum SIL. Der konstruktivistische Bau aus den 30er Jahren ist ein Architekturdenkmal. Bis 2008 gehörte er zum Autohersteller, inzwischen ist er dem städtischen Kulturamt unterstellt.

Auf fünf Stockwerken ist hier immer etwas los. Allein bei Kursen sind 5000 Teilnehmer eingeschrieben, einige kommen mehrmals in der Woche. Viel Publikum aus der ganzen Stadt ziehen auch die Abendveranstaltungen wie beispielsweise Inszenierungen des berühmten Balletts „Moskwa“ an. Neben derart großen Namen finden sich im Programm Aufführungen weniger bekannter Traditions­einrichtungen wie die des Jugendtheaters Stein, das ebenfalls bereits fast 80 Jahre alt ist und sich bei Jugendlichen großer Beliebtheit erfreut. Am 24. April zeigt es sein neues Stück „Unser Pasternak“.

Außen alt, innen neu: Das Kulturzentrum SIL ist ein Architekturdenkmal mit intensivem Innenleben. / SIL

Außen alt, innen neu: Das Kulturzentrum SIL ist ein Architekturdenkmal mit intensivem Innenleben. / SIL

Das Konzept des Zentrums ist auf den ersten Blick durchaus mit dem Gründungsgedanken vergleichbar. Arbeiter des Autobetriebs und ihre Familien sollten freien Zugang zu kulturellen Veranstaltungen haben  – und sich auch selbst betätigen. Herzstück waren die Arbeitskreise, in denen man sich nach Feierabend dem Modellbau, der Fotografie oder dem Tanz widmen konnte. Außerdem wurden Feiertage begangen, Pässe ausgehändigt und Ehen geschlossen, Jurij Gagarin sprach vor den Arbeitern, 1963 war Fidel Castro zu Besuch. Arbeiterklubs hießen solche Kulturhäuser in der Sowjetunion, landesweit gab es 3500 davon, die meisten gegründet in der Zwischenkriegszeit. Auch in Moskau gehörten sie zum Alltag.

Mit dem Ende der Sowjetunion brachen für viele jedoch schwere Zeiten an. Das SIL hat Glück gehabt. Nach der Übernahme durch die Stadt ließ diese es sanieren und rekonstruieren, dabei wurden auch nachträglich hinzugefügte Dekorationen entfernt, die dem strengen Konstruktivismus des Baus widersprachen. Neben dieser Rückbesinnung machten ein Konzept der offenen Türen und frische Ideen das SIL zum Flaggschiff eines Programms zur Modernisierung städtischer Kulturzentren. Nach seinem Vorbild will das Kulturamt nun auch den Klub einer nicht mehr existenten Gummifabrik im Stadtbezirk Chamowniki wieder auf Vordermann bringen. Das baufällige Gebäude fristete lange ein Schattendasein, heute ist es im Besitz der Stadt, seine Sanierung kommt aber nur schleppend voran.

Ein weiteres Sorgenkind ist der ehemalige Russakow-Arbeiterklub, entworfen vom namhaften Architekten Konstantin Melnikow. Das Gebäude mit seinen weithin sichtbaren hervorstehenden Balkonen ist wie das SIL ein bedeutendes Zeugnis des Konstruktivismus, wurde jedoch schon kurz nach seiner Eröffnung 1928 als sinnloses formalistisches Experiment verschmäht. Im Gegensatz zum deutschen Neuen Bauen, das seit jeher als wichtiger Beitrag zur Moderne geschätzt wird, geriet das russische Pendant zu Sowjetzeiten schnell in Verruf. „Erst heute wird ihm wieder die verdiente Anerkennung zuteil“, sagt der Moskauer Architekturexperte und Heimatkundler Denis Romodin. Der Russakow-Klub wurde in den 90er Jahren von den Verkehrsbetrieben aufgegeben und geriet in Vergessenheit, bis ihn ein Theaterkollektiv kaufte, das jedoch wegen des katastrophalen Bauzustands lange keine einzige Aufführung realisieren konnte. Nach einem Dauerstreit um die Finanzierung begann die Sanierung aus Mitteln des Denkmalschutzes, inzwischen kann bereits Theater gespielt werden.

Romodin freut sich über den Erfolg des SIL und das Leben, das in den Russakow-Klub eingekehrt ist. Grundsätzlich sei es aber kein Muss, ehemalige Arbeiterklubs als Orte der Kultur zu erhalten. Wo heute bereits eine gute kulturelle Infrastruktur bestehe, seien auch andere Nutzungen denkbar. So hat der neue Besitzer des früheren Klubs einer Chemiefirma dort Büros eingerichtet. Davor wurde der durch einen Brand beschädigte Melnikow-Bau aufwändig saniert. Damit kann das avantgardistische Meisterwerk heute wieder in voller Pracht bestaunt werden.

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