Am Anfang war es noch Romantik

Vor 25 Jahren wurde die heute älteste Organisation der Deutschen Russlands gegründet. Heinrich Martens, der Vorsitzende des Internationalen Verbands der deutschen Kultur, zieht eine Bilanz.

Heinrich Martens / IVDK

Heinrich Martens / IVDK

Vor 25 Jahren wurde der Internationale Verband der deutschen Kultur (IVDK) in Moskau gegründet. Er versteht sich als Vertretung der in Russland lebenden Bürger mit deutschen Wurzeln und wird von Deutschland und Russland in dieser Funktion anerkannt. Heinrich Martens ist Vorsitzender des Verbands und Präsident der Föderalen Kulturautonomie der Russlanddeutschen. In der MDZ, deren ­Her­aus­geber Martens ist, spricht er über alte und aktuelle Herausforderungen.

Der IVDK feiert am 28. Juni sein Jubiläum nicht in Moskau, sondern in Berlin, im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur. Wieso?

Der IVDK ist Teil der russischen Zivilgesellschaft und fördert die ethnokulturelle Entwicklung der Deutschen unseres Landes. Wegen der ethnischen Besonderheit der Russlanddeutschen arbeitet der Verband an der Nahtstelle der deutschen und der russischen Kultur, die ja selbst durch die vielen Völker des Landes geprägt ist.
In Russland leben heute etwa eine halbe Million Russlanddeutsche zusammen mit ihren Angehörigen. So gut wie jede Familie hat unter unseren 3,5 Millionen Landsleuten in Deutschland Angehörige, Freunde und Bekannte. Es gibt auf persönlicher Ebene also einen intensiven kulturellen Austausch. Die Bedeutung der russlanddeutschen Familien und Verbände als Brücken der Freundschaft zwischen unseren Ländern wächst. Und in der gegenwärtigen schwierigen außenpolitischen Lage wird diese Rolle immer wichtiger.

Sind die Russlanddeutschen so etwas wie Geiseln der verschlechterten Beziehungen zwischen beiden Ländern?

Nein. Noch im Frühling 2014 wandte sich der IVDK mit der Bitte an die deutsche Kanzlerin, dass sie es nicht so weit kommen lassen möge. Im vergangenen Jahrhundert wurden die Russlanddeutschen bekanntlich in beiden Weltkriegen zu Geiseln der Verwerfungen zwischen beiden Ländern. Die Antwort aus dem Kanzleramt gab uns Hoffnung. Und auch die russische Staatsführung zeigte Verständnis. Daher wurde die Zusammenarbeit beider Länder in der gemeinsamen Unterstützung der Russlanddeutschen auch fortgesetzt.

Welche Rolle spielt der Verband im Leben der einfachen Russlanddeutschen?

In manchen Lebensbereichen wie dem Sozialen und der Wirtschaft kann der Verband nur Impulse geben und sich als Partner anbieten. Wir arbeiten daran, das Leben der Russlanddeutschen, aber auch ihrer Mitbürger in Russland, unabhängig von ihrer Nationalität, zu verbessern. Zu diesem Zweck fördern wir zum Beispiel den Deutschunterricht und die Vermittlung der deutschen Kultur, informieren auch über Deutschland. Viele junge Menschen, die unsere Verbandsstrukturen durchlaufen haben, nehmen heute Schlüsselpositionen in Unternehmen ein, die im deutsch-russischen Kontext arbeiten.

Welche Aufs und Abs erlebte der IVDK in den 25 Jahren seines Bestehens?

Die erste Periode war eine Zeit der Romantik und der unbegründeten Träume. Man forderte, dass wir zusammen mit anderen Organisationen für die Wiederherstellung der Wolgarepublik kämpfen, anstatt Tänze, Lieder und Sprache zu unterrichten. Wir entgegneten: Lasst uns das nachholen, was wir nicht aus eigener Schuld versäumt und verloren haben, während die anderen die Republik wiederherstellen. Es war schwer zu handeln, denn man hat uns nicht verstanden.
Ab Mitte der 1990er folgte für etwa zehn Jahre eine Periode des Auseinanderdriftens und des Schwankens. Es war nicht so leicht, einen roten Faden zu finden, der uns den Weg weisen könnte. Wir hatten auch nicht die Kraft, in ganz Russland systematisch zu arbeiten. Von der deutschen und der russischen Seite gab es keine Unterstützung und kein Vertrauen.
Ab Mitte der 2000er wurde der IVDK die dominierende Kraft in der gesellschaftlichen Bewegung aller Russlanddeutschen. Seit 2009 werden der IVDK und die Föderale Nationale Kulturautonomie der Russlanddeutschen (FNKA) von einer Mannschaft geführt. Die Organisationen haben unterschiedliche Aufgaben: Der FNKA hat die Funktion, die Russlanddeutschen gesellschaftlich zu repräsentieren. Der IVDK löst organisatorische Fragen und leistet ethnokulturelle Projektarbeit.
Doch für eine großangelegte Arbeit braucht man Programme. Sie auszuarbeiten ist äußerst schwierig, wenn sich die Rahmenbedingungen ständig ändern. Das betrifft vor allem natürlich die Situation in Russland selbst und den Zustand der deutsch-russischen Beziehungen. Es kam schon vor, dass wir angefangen haben, ein Programm auszuarbeiten, und es dann nach einem halben Jahr vollkommen neu schreiben mussten, weil wir uns in einer ganz anderen Situation fanden. Jede Periode war und ist also auf ihre Art schwierig.

Die Fragen stellte Olga Silantjewa

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