Neulich hat Jekaterina Misulina in ihrem Telegram-Kanal mit über 600.000 Followern das Video eines jungen Mannes aus der sibirischen Millionenstadt Nowosibirsk gepostet. Der Blogger, wohl um die 20 Jahre alt, stellt sich als „künftiger Bürgermeister von Nowosibirsk“ vor und berichtet, er setze seine „Kontrollen“ in der Stadt fort. Diesmal ist ihm die Elton Bar unter die Augen gekommen, wo „sich jede Nacht Männer wie Frauen kleiden, tanzen, trinken und das alles vor anderen Besuchern“. So etwas gehöre sich nicht, sagt der Mann und hängt ein „Geschlossen“-Schild an die Eingangstür des Lokals. Es müssten umgehend „Maßnahmen“ ergriffen werden, meint er noch. Und Misulina versichert, sich an die Polizei zu wenden, damit diese sich um den Fall kümmere.
Sie schwört auf Wladimir Putin
Kurz zuvor hatte eine solche Meldung bewirkt, dass eine gleichnamige Bar in der Stadt Krasnojarsk ihre Schließung verkündete. Dass dort Travestiekünstler am „Tag des Vaterlandsverteidigers“ aufgetreten waren, bezeichnete sie als Provokation und alarmierte die Polizei. Am nächsten Tag fand eine Razzia statt, Besucher wurden abgeführt, woraufhin die Besitzer aufgaben. „Das LGBT*-Nest ist geschlossen“, schrieb Misulina in ihrem Kanal und dankte der Polizei für ihre „schnelle Reaktion“. So wie sie das sieht, ist die Welt damit wieder ein Stück sicherer und sauberer geworden. Und wenn Hinweise aus der Bevölkerung dazu beitragen, wenn alle an einem Strang ziehen, dann umso besser.
Jekaterina Misulina ist 39 Jahre alt, der Großteil ihrer Kindheit und Jugend entfiel auf die postsowjetischen Umbruchjahre. „Ich erinnere mich gut, wie wir gelebt haben“, sagte sie kürzlich von einer Bühne herab. Alle seien damals „hungerleidend und bettelarm“ gewesen. Deshalb finde sie, dass Präsident Wladimir Putin, der im Jahr 2000 auf Boris Jelzin folgte, „revolutionäre Veränderungen“ im Land bewirkt habe. Sie unterstütze ihn „sehr stark“.
Ein bekannter Familienname
Misulina ist die Tochter der früheren Duma- und Föderationsrats-Abgeordneten Jelena Misulina, die schon für „traditionelle Werte“ in Russland stritt, als das noch nicht Staatsdoktrin war. Seit 2017 leitet Jekaterina Misulina die „Liga für Internetsicherheit“, eines Projekts, das der Unternehmer Konstantin Malofejew 2011 angestoßen hatte. Er steht der Orthodoxen Kirche nahe und ist auch Gründer des kremlnahen TV-Senders Zargrad.
In ihrer Funktion geht Misulina gegen alles vor, was nicht zum aktuellen Kurs Russlands passt: „LGBT*-Propaganda“, „Diskreditierung der Armee“, ausländische Einflussnahme, Drogenverherrlichung. Echte Vollmachten hat sie nicht, worauf sie auch gern verweist: Strafen, Verbote, Schließungen – das sei nicht ihr Thema. Sie sammle nur Beschwerden und leite sie an die Behörden weiter. Ob es sich um Gesetzesverstöße handele, werde dort entschieden.
„Ich bin Ihr Fan“
Immer wieder tritt Misulina in Universitäten und Schulen vor Kindern und Jugendlichen auf. Allein Ende Februar war sie in Jekaterinburg, Kasan, Samara und Tjumen. In meist überfüllten Sälen muss sie sich vereinzelt auch kritische Stimmen anhören, sie stehe für Denunziantentum und Zensur, zwinge Menschen in die Emigration. Doch praktisch überall wird Misulina ein umjubelter Empfang bereitet. Viele schwärmen, sie nehme Jugendliche ernst, setze sich für ihre Rechte und Interessen ein. „Ich bin Ihr Fan“, stand auf einem Plakat, das ein Mädchen in Tjumen in die Höhe hielt. Bei den Veranstaltungen geht es oft laut und emotional zu. Am Ende wird dann gemeinsam die Nationalhymne gesungen.
Auf Telegram wünscht Misulina manchmal in lässiger Pose auch einfach nur einen guten Abend oder gute Laune. Das kommt gerade bei ihrer jungen Zielgruppe an. Dort scheint sie inzwischen prominenter zu sein als die Prominenten, die sie in die Ecke getrieben hat.
* Die „internationale LGBT-Bewegung“ gilt in Russland als extremistisch und ist verboten.