AHK-Chef Schepp: Die Lehren des WM-Beginns

Die aktuelle MDZ-Kolumne der AHK stellt die Fußball-Weltmeisterschaft in einen größeren Kontext.

Eingang zur offiziellen Moskauer Fanmeile auf den Sperlingsbergen. © Tino Künzel

Die Weltmeisterschaft habe bereits die eine oder andere Überraschung bereitgehalten, höre ich von Freunden, Gesprächspartnern und meinen Kollegen in der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK): dass Russland glänzend ins Turnier startete, dass die Organisation so perfekt ist, als fände die Weltmeisterschaft in der Schweiz statt, dass Deutschland sich blamierte und sich die angeblich Großen gegen die Kleinen oft schwer tun.

Tatsächlich halten die Überraschungen tiefere Wahrheiten bereit. Russland ist ein Land, dessen eigene Bevölkerung oft zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex schwankt. Das erschwert eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und führt im Falle der „Sbornaja“, der russischen Nationalmannschaft, zu einem Grundpessimismus, der vielen Russen, egal ob Fußballfans oder Fußballmuffel, selbst Saudi-Arabien oder Ägypten als gefährliche Gegner erscheinen ließen. Im westlichen Ausland schließlich dominieren chronische Fehleinschätzungen das Russlandbild  – der größte Flächenstaat der Erde wird wahlweise unter- oder überschätzt. Die Onlineausgabe des „Spiegel“ war sich nach dem souverän herausgespielten 5:0 gegen Saudi-Arabien noch sicher, dass Russland dennoch in der Gruppenphase ausscheiden werde.

Als AHK beschleicht uns mitunter ein Sisyphos-Gefühl, wenn wir versuchen, in Deutschland zu einem realistischen Bild der wirtschaftlichen Lage in Russland beizutragen. Jenseits der Wirtschaftspresse kommt das Thema so gut wie nicht vor. Wenn doch, dann dominieren Armuts- und Rückständigkeitsthemen, gelegentlich sogar Szenarien eines bevorstehenden Zusammenbruchs. Wenig ist zu lesen davon, dass Russland den Doppelschock aus niedrigen Rohstoffpreisen und westlichen Sanktionen so gut verkraftet hat, dass es über die sechstgeringste Staatsschuldenquote weltweit, die sechsthöchsten Gold- und Währungsreserven und inzwischen über eine Inflation von rund 2,5 Prozent verfügt, die sich hinter klassischen Stabilitätsländern nicht verstecken muss. Auch dass Moskau eine moderne Metropole mit WiFi selbst auf Friedhöfen und seit Jahren flächendeckend in der Metro ist, kommt für viele Besucher überraschend. Dabei würde ein realistisches Russlandbild Deutschland von der leidigen und überspitzten Debatte zwischen sogenannten Russlandverstehern und Kalten Kriegern befreien und dabei helfen, die zahlreichen und im Fall der Ukraine und Syrien blutigen Interessenkonflikte möglichst rational in Richtung einer Lösung zu bewegen.

Auch für das Selbstbild der Deutschen enthält der WM-Auftakt eine Lehre und eine Parallele zwischen Fußball auf der einen und Politik und Wirtschaft auf der anderen Seite: Dass die Dinge über ein Jahrzehnt oder länger gut oder gar blendend liefen, ist keine Garantie, dass dies in den nächsten Jahren so bleibt. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Als Eintracht-Frankfurt-Fan habe ich mich nicht nur über den 3:1-Erfolg gegen Bayern München im Pokalfinale gefreut, sondern auch registriert, dass ein Kroate namens Ante Rebic mit dem Ball am Fuß Mats Hummels gleich zweimal bei Dreißig-Meter-Sprints ausgestochen hat.

Also: Man sollte die „Kleinen“ nicht unterschätzen und sich selbst immer vor Augen halten, dass die Erfolge von gestern keine Zukunftsgarantie in sich tragen, sondern nicht selten den Keim des Scheiterns. Das gilt für Unternehmen, Verbände, Politik und Sport. Selbstzufriedenheit verhindert die harten Reformen und schmerzhaften Schnitte, die nötig sind, um an der Spitze zu bleiben.

Matthias Schepp, Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK)

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