Ein Palast zur Rast

Twer restauriert ein Stück russisch-deutsche Geschichte: den Reisepalast der Zarin Katharina der Großen am Ufer der Wolga.

Reisepalast Twer von außen 2017 / Peggy Lohse

Reisepalast Twer von außen 2017 / Peggy Lohse

Wie ein strahlendes Sonnenschloss liegt er mit seinen zwei Flügeln am Wolgaufer in Twer, etwa 170 Kilometer nordwestlich von Moskau: der frisch restaurierte Reisepalast von Katharina der Großen. Noch sind die letzten Arbeiten im Gange. Aber besichtigen kann man das kleine, buchstäblich wie aus dem Ei gepellte neue alte Schlösschen schon wieder. Und Sie wären sicher nicht seine ersten deutschen Gäste. 

Im Jahr 1712 verlegte Zar Peter der Große die Hauptstadt seines Imperiums von Moskau  nach St. Petersburg. Da aber weiter viele wichtige Persönlichkeiten und zunächst auch noch einige Behörden inklusive Beamter in Moskau weilten, pendelten viele Adlige und auch die Zarenfamilie häufig zwischen den zwei wichtigsten Städten des Landes.

Ruhepunkt für Zarin und Hofstaat 

Vor über 100 Jahren: Reisepalast Twer, vor der Revolution 1917 / Archivbild

Vor über 100 Jahren: Reisepalast Twer mit Verklärungskathedrale vor der Revolution 1917 / Archivbild

Als 50 Jahre später die einst anhalt-zerbstische Prinzessin zur Zarin Katharina der Großen wurde, ließ diese umgehend nicht nur die „Regierungsautobahn” pflastern, sondern auch noch aller rund 65 Kilometer Erholungsorte bauen. Der größte und wohl am besten erhaltene von ihnen ist der Katharinen-Reisepalast in Twer. Dieser klassizistische Bau mit Barockelementen vom Architekten Pjotr Nikitin orientierte sich deutlich an den St. Petersburger Zarenresidenzen – in Stil und Größe. Er ersetzte ab 1766 ein früheres Holzgebäude, das müden Reisenden der Zarenfamilie bis dahin als Raststätte gedient hatte, aber dann bei einem großen Feuer in Flammen aufgegangen war.

Katharina die Große reiste viel. In Twer weilte sie beispielsweise bereits zuvor, 1744 zum Geburtstag der damaligen Zarin Jelisaweta Petrowna und ihrem Sohn Peter III., Katharinas künftigem Mann. Im Februar 1767 soll die Zarin dann zum ersten Mal in dem neuen Prunkbau genächtigt haben – mit einem Hofstaat von etwa 2000 Menschen, darunter sogar mehrere ausländische Botschafter, angeblich aus Österreich, Frankreich und England.

Dank dem Architekten Nikitin sei Twer zur nach St. Petersburg zweitschönsten Stadt Russlands geworden, wird die Zarin soäter oft von Historikern zitiert.

Der zweite deutsche Hausherr

Anfang des 19. Jahrhunderts dann nahm der italienisch-russische Architekt Carlo di Giovanni Rossi oder auch „russifiziert” Karl Iwanowitsch Rossi erste Renovierungsarbeiten an dem Twerer „Zarenpalästchen” vor. Derselbe baute später Gebäudeensemble wie den Schlossplatz, das Michaelspalais (heute befindet sich dort das Staatliche Russische Museum) sowie das Alexandrinski-Theater im aufstrebenden St. Petersburg.

Rossi kam damals mit dem jungen deutschen Gouverneur der Gebiete Nowgorod, Jaroslawl und eben Twer, Georg von Oldenburg, in die Wolgastadt. Jener war der Sohn eines Cousins Katharina der Großen, stammte aus dem nieder- sächischen Oldenburg, war aber bereits in Russland aufgewachsen. Jener war der Sohn eines Cousins Katharina der Großen, stammte aus dem niedersächischen Oldenburg, war aber bereits in Russland aufgewachsen. Sein Vater war einst vor Napoleons Truppen nach Russland geflohen.

Sohn Georg studierte in Leipzig und trat in Estland in die Zarenarmee ein. 1809 heiratete er die Schwester des Zaren Alexander I., Jekaterina Pawlowna. Dazu bekam er die drei Gouvernements übertragen und zog mit seiner Frau in den Twerer Reisepalast. „Seinen” Architekten Rossi ließ er derweil das Twerer Wolgaufer und Stadtzentrum weiter restaurieren. Rossi seinerseits konnte für die Hauptstadt an der Newa „trainieren“. Während des Vaterländischen Krieges 1812 betreute von Oldenburg in Twer mehrere Lazarette. Dort steckte er sich dann selbst mit dem Typhus-Virus an und starb noch als junger Politiker.

Blutiger Krieg und klassische Kunst 

Reisepalast Twer 2010 / Peggy Lohse

Reisepalast Twer 2010 / Peggy Lohse

Nach dem Revolutionsjahr 1917 wurde Katharinas Reisepalast Arbeitsstätte der Bauern- und Arbeiterräte. Die große Verklärungskathedrale im Zentrum der zwei Palastflügel wurde 1935 von den Sowjets gesprengt. Sie war im 13. Jahrhundert gebaut worden und galt als erste städtische Kathedrale aus weißem Werkstein nach dem Einfall der Mongolen.

Während der dreimonatigen Okkupation des damaligen Kalinin (Twer von 1931 bis 1990) durch die Deutsche Wehrmacht 1941 wurde das Palastgebäude teilweise beschädigt, nach dem Abzug der deutschen Truppen bis 1948 aber bald wieder hergestellt.

Reisepalast Twer von außen 2017 / Peggy Lohse

Reisepalast Twer 2017 / Peggy Lohse

In den sanierten Ausstellungsräumen erhielt nach dem Krieg die Stadt-, heute Gebietsgalerie ihre Räume für klassische Werke von Isaak Lewitan, Valentin Serow und vielen anderen. Vom einstigen Prunk des Reisepalastes für die Zaren war damals kaum noch etwas zu sehen. Schlichte Holzverkleidungen verbargen Schmuck und Stuck. Die Innenräume wurden düster, der Palast eine architektonische „graue Maus“.

Schätze aus verbarrikadierten Palastwänden 

Aber als dann 2012 ernsthafte Restaurierungsarbeiten eingeleitet wurden, schien die Herausforderung einer historisch detailgetreu- en Restaurierung von Jahr zu Jahr noch zu wachsen. Kaum jemand erwartete den Galerie-Mitarbeitern zufolge noch so einen reichen Wandschmuck unter den sowjetisch-pragmatischen Holzplatten. Fast wären sie womöglich ganz vergessen worden, aber während der Arbeiten tauchten täglich neue Elemente, Dekors und altes, aber abgedecktes wertvolles Gestein wie gemusterter Marmor auf.

Mehr als fünf Jahre nun wird schon gebaut – und bis zuletzt sind nicht alle Räume fertig. Auch der akkurate vom europäischen Barock inspirierte Garten hin zur Wolga ist noch nicht fertig.

1992 wurden auch erste Pläne zum Wiederaufbau der Kathedrale entworfen, seit 2003 wird sie nun mit Spendengeldern, gesammelt durch die regionale Stiftung „Sobor“, noch immer wiederaufgebaut. Bislang stehen eine kleine hölzerne Kapelle vorm Baustellenzaun, das Fundament und die ersten Meter der Grundmauern.

Aber die ersten fertigen Palastgemächer, Ausstellungsräume und Exponate der Galerie sind fertig restauriert, präsentiert und können nun mittlerweile immerhin in Gruppen als im Voraus gebuchte Führungen wieder besucht werden.

Reisepalast Twer von außen 2017 / Peggy Lohse

Reisepalast Twer von außen 2017 / Peggy Lohse

Anmeldung unter:

8 (4822) 346 243

tvergallery@mail.ru 

Peggy Lohse

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