Wie Opium für die Wirtschaft

Das Moskauer Gespräch handelte von neuen Handelsbarrieren zwischen Russland und Deutschland

Unter dem Titel “Neue Handelsbarrieren: Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen vor veränderten Realitäten” diskutierten am 31. März Wirtschaftsexperten und Unternehmer aus Russland und Deutschland über ihre Erfahrungen der letzten Monate. Einig waren sie sich vor allem in einem: Die Sanktionen sind nicht zielführend.

Auf dem Podium: Wladimir Miroschnikow, Ulf Schneider, Benjamin Bidder, Wladimir Sujew und Andreas Knaul (v.l.n.r.) / Michael Lechner

Auf dem Podium: Wladimir Miroschnikow, Ulf Schneider, Benjamin Bidder, Wladimir Sujew und Andreas Knaul (v.l.n.r.) / Michael Lechner

Von Michael Lechner

„Die Wirtschaftssanktionen sind nicht der Grund für die Wirtschaftskrise, sie sind allenfalls ein psychologischer Verstärker“ – zu dieser Einschätzung der Situation in Russland kam Andreas Knaul, Leiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner sehr schnell. Der Jurist erklärte, dass sowohl russische als auch deutsche Unternehmen sich bereits an die Donbass- und Krimsanktionen „gewöhnt“ hätten, die vor zwei Jahre von der EU und den USA gegen Russland verhängt worden waren.

Fast 100 Zuhörer waren am 31. März zu der Podiumsdiskussion „Neue Handelsbarrieren: Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen vor veränderten Realitäten“ in das „German Center“ in Moskau gekommen. Organisiert wurde sie im Rahmen der Moskauer Gespräche vom Deutsch-russischen Forum und der MDZ. Neben Andreas Knaul diskutierten Wladimir Miroschnikow, Direktor für Strategie und Entwicklung des Konzerns „Rolf“, Wladimir Sujew, Professor am Institut für Handelspolitik der Moskauer Higher School of Economics und der Geschäftsführer des Unternehmens „Schneider Group“ Ulf Schneider. Benjamin Bidder vom Moskauer Büro des „Spiegel“ moderierte.

Wladimir Sujew verwies auf ein Spezifikum der russischen Mentalität, die über Jahrzehnte von einem „Wir schaffen das auch alleine“ getragen worden sei. So erklärte der Professor auch die sehr zurückhaltenden Reaktionen auf die Sanktionen: „Russland konnte das nicht einfach schlucken und verhängte Gegensanktionen und bei jeder Gelegenheit unterstrich man, wie geringfügig die Auswirkungen der Sanktionen doch seien.“ Letztlich würde aber die Finanzkrise langsam zu einem Umdenken und einer Wertschätzung des vor allem technischen Knowhows aus dem Westen führen.

Strukturelle Probleme der russischen Wirtschaft

Hier setzte auch Ulf Schneider an: Er lenkte die Diskussion hin zu den strukturellen Problemen der russischen Wirtschaft. Die EU-Sanktionen sah der Unternehmer allenfalls als Verstärker der Rezession. Um dies zu belegen, verwies er auf eine Schätzung, nach der 3 Prozent von insgesamt minus 3,7 Prozent negativen Wirtschaftswachstums Folge des Ölpreisverfalls seien und nur etwa 0,5 Prozent die der Sanktionen. Doch selbst ohne diese beiden Faktoren würde die russische Wirtschaft nicht unbedingt wachsen – die Gründe dafür liegen in den „strukturellen Bereichen“. Und darum hätten auch die Sanktionen „nicht den Effekt, den sich die Politik erhofft“.

Hier hakte der Moderator ein. Als Journalist könne er die Sanktionen zwar nachvollziehen, als Volkswirt sehe er sie kritisch. Aber „wie hätte der Westen auf die Krim und Ukrainekrise reagieren sollen“? An diesem Punkt stockte die Debatte. Keiner der Podiumsgäste wollte sich konkret zu den politischen Rahmenbedingungen äußern. Eine erstaunliche Einigkeit hingegen herrschte bei der Ablehnung der Sanktionen. Was solle auch ihr Ziel sein? Ein Land solange unter Druck zu setzen, bis „eine Revolution gegen die Regierung“ organisiert werde, wie Schneider es zuspitzte? Auch Wladimir Miroschnikow bewertete die Sanktionen darum als „Muskelspiel“, als Demonstration „der Macht der USA und der EU“.

Deutsche Unternehmen betroffen

Aber die aktuelle Krise hat nicht nur Auswirkungen auf russische, sondern auch auf deutsche Unternehmen. Wie wenig zielführend die Sanktionen sind und welche „merkwürdigen Exzesse“ durch sie entstehen können, erläuterte Ulf Schneider am Beispiel sogenannter „Dual-Use“-Produkte, die für zivile und militärische Zwecke nutzbar sind. So können auch Armaturen, Pumpen und landwirtschaftliche Maschinen unter die Sanktionen fallen.

Aber könnte ein Lebensmittelembargo nicht auch positive Folgen vor allem für die russische Agrarwirtschaft haben? Ein Vorbild könnten China oder Südkorea sein, die unter ähnlichen Handelshemmnissen die Wettbewerbsfähigkeit ausgebaut hatten. Tatsächlich ist diese optimistische Sicht unter russischen Politikern verbreitet. Wladimir Sujew indes teilte diese Einschätzung nicht. Gegensanktionen und Importsubstitutionen bezeichnete er als „Weg ins Nirgendwo“. Zur Erläuterung gab er ein Beispiel aus dem nordöstlichen Jakutien: Dort versuche man trotz schlechter Bedingungen Tomaten anzubauen; ohne Sanktionen aber, auf dem freien Markt, würde man dort nicht mit den Chinesen konkurrieren können. Laut Sujew wäre es daher langfristig sinnvoller, sich „auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen die regionalen Produzenten einen Vorteil haben“. Genau dieser regionale Ansatz aber scheitert oft an den behördlichen Vorgaben.

Protektionismus – ein volkswirtschaftlicher Irrweg

Auch die anderen Podiumsgäste kritisierten die Verordnung von Importquoten und Marktanteilen. Andreas Knaul etwa verurteilte den Protektionismus als „Irrweg“ und „sowjetischen Irrsinn“. „Subventionen sind Opium für die Wirtschaft“, erklärte er, denn sie bringen zwar ein kurzfristiges Wachstum, hätten aber keine Zukunft.

Wie könnte in dieser vertrackten Lage nun ein Weg aus der Krise aussehen? Der Moderator erinnerte an die  „Vision“ einer Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok. Grundsätzlich sei das eine gute Idee, sagte Ulf Schneider, kurzfristig aber würde eine Freihandelszone „die russische Wirtschaft killen“. Russland ist zurzeit schlicht nicht konkurrenzfähig. Der Unternehmer plädierte darum als ersten Schritt für die Abschaffung von Visa und eine Vereinheitlichung der Produktstandards, die für ausländische Firmen in Russland verwirrend seien.

Die aktuelle politische Lage aber sieht freilich anders aus. Auch wenn es erste Entspannungssignale von beiden Seiten gibt, bleibt vollkommen offen, wie lange die Sanktionen noch anhalten werden. Auch keiner der Podiumsgäste wagte da eine Prognose. Mehrmals wurde darum ein schwedischer Diplomat zitiert – „Sanktionen leben länger als Menschen“, hatte der zu Schneider gesagt.

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