Warum Russland keine Frauenquote braucht

Deutschland hat eine Frauenquote, die für mehr Frauen in Führungspositionen sorgen soll. In Russland gibt es auch ohne eine solche deutlich mehr Chefinnen. Wie das in der Praxis aussieht, war eines der Themen des zweiten Kultur- und Geschäftsforums „Made by Deutschen aus Russland. Partnerschaft. Verantwortung. Erfolg“.

Erfolgreiche Frauen: Irina Poltaller und Anna Resnitschenko (v.l.) beim Forum in Bayreuth./ Foto: Yulianna Martens

Jelena Baturina steht ziemlich einsam da. Unter den hundert reichsten Russen ist sie auf der Rangliste des Wirtschaftsmagazins „Forbes“ die einzige Frau. Ihr Vermögen wird auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt. Karriere hat sie als Geschäftsführerin des Bauunternehmens Inteco gemacht, das sie Anfang der Neunzigerjahre gründete. Aber ist die 54-Jährige wirklich so allein auf weiter Flur, wie die Liste glauben macht? Oder braucht Russland gar keine Frauenquote?

„Dass russische Frauen keine Geschäfte führen können, da sie sich ausschließlich um die Kinder kümmern, ist ein Vorurteil“, erklärte Anna Resnitschenko, Vorsitzende des Frauenvereins Skolkowo, diese Woche beim Kultur- und Geschäftsforum „Made by Deutschen aus Russland“ in Bayreuth. „Frauen in Führungspositionen“ war eines der Themen des Forums – und zwar eines, bei dem man Russland durchaus eine Vorreiterrolle zuschreiben kann.

Starke Position der Frauen

Das legt zumindest eine Studie des US-amerikanischen Beratungsunternehmens Grant Thornton von März dieses Jahres nahe. Sie besagt, dass Russland mit 47 Prozent den weltweit höchsten Frauenanteil in Führungsetagen hat. Zum Vergleich: In Deutschland sind es gerade mal 18 Prozent.

Resnitschenko sieht die starke Position der russischen Frauen vor allem in der Geschichte begründet. Vom Krieg gegen Napoleon über die Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg: In den vergangenen 200 Jahren waren die Russinnen laut Resnitschenko oft auf sich gestellt, mussten die Familie ernähren. Das habe sie stark gemacht.

Erweitertes Rollenbild

Heute sind die Frauen zudem in der Überzahl. Der Statistikbehörde Rosstat zufolge gibt es in Russland elf Millionen mehr Frauen als Männer. Im Schnitt leben die Russinnen etwa zwölf Jahre länger als ihre Mitbürger. „Heute ist die Frau bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen“, so Resnitschenko. „Der russische Mann hat seinen Kopf nur für die Arbeit. Wenn er nach Hause kommt, muss bereits alles gemacht sein. Die Frau hingegen muss sich neben der Arbeit um den Haushalt kümmern. Das ist bis heute so.“ Das traditionelle Rollenbild habe sich im Prinzip nicht gewandelt, sondern erweitert.

Sucht man nach erfolgreichen Geschäftsfrauen, findet man sie zwar nicht in der Forbes-Liste, sondern eher in ihren eigenen, kleinen und mittleren Unternehmen. Resnitschenko zum Beispiel war mehr als zehn Jahre in der Verkaufsabteilung von Mercedes-Benz angestellt, bevor sie sich mit ihrer Übersetzungsagentur ANS-Lingua selbstständig machte.

Bereit für die Selbstständigkeit

Auch Irina Poltaller aus der Region Altai wagte den Schritt in die Selbstständigkeit, in einer „bei Frauen beliebten Branche“, wie die Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens WsemUchet sagt. „Andere Sektoren sind nach wie vor von Männern dominiert“, beschreibt sie ihren Eindruck.

Poltaller und Resnitschenko sind offenbar keine Einzelfälle. Laut einer aktuellen Erhebung des Initiativkomitees zur Entwicklung weiblichen Unternehmertums des Unternehmerverbandes „Opora Rossii“ ist die Hälfte der angestellten Frauen bereit, sich selbstständig zu machen. Der Analyse zufolge gibt es in Russland geschätzt 5,6 Millionen kleine und mittlere Unternehmer, davon sind etwa ein Drittel Frauen.

Längere Zeit zur Großmutter

Der „Spagat zwischen Karriere und Familie“ gelingt den Russinnen offenbar leichter als Frauen in Deutschland. „Ich habe Karriere gemacht, bevor ich Kinder bekam. Trotzdem geht es manchmal nicht ohne Kindermädchen“, erzählt Oxana Peters. Nach langjähriger Anstellung bei einer internationalen Kanzlei ist auch sie nun ihre eigene Chefin, seit sie sich 2013 mit ihrer Rechtsberatung selbstständig gemacht hat.

„In Deutschland gilt man schnell mal als Rabenmutter, wenn man sich fremder Hilfe bedient. Deswegen gehen viele Mütter in Teilzeit“, hat Katarzyna Plassmann beobachtet. Die Marketingmanagerin des russlanddeutschen Unternehmens MaWi Group in Moskau war im Laufe ihrer Karriere in Deutschland und Russland berufstätig. „In Russland schicken Eltern ihre Kinder auch mal für eine längere Zeit zur Großmutter auf die Datscha“, so Plassmann. Das wäre in Deutschland bei Weitem nicht so selbstverständlich.

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