Warum dem Europarat eine finanzielle Krise droht

Aus Protest hat Russland bereits zum zweiten Mal seine Mitgliedsbeiträge an den Europarat eingefroren. Der Grund des Streits: Die Organisation hatte Russland nach der Angliederung der Krim das Stimmrecht entzogen.

Hitzige Debatten im Plenarsaal des Europarates in Straßburg /Foto: Wikimedia Commons/PPCOE

Es ist kalt in den fast menschenleeren Fluren des Europarats in Straßburg. Geheizt wird hier offenbar nicht oder nur sehr wenig. Ob das mit den akuten Finanzproblemen dieses traditionsreichen Staatenbunds zusammenhängt? Unklar.

Klar ist aber, dass der Europarat an einem Wendepunkt in seiner knapp 70-jährigen Geschichte steht. Bis Ende Februar müssen die 47 Mitgliedsländer das erste Drittel ihres Jahresbeitrags für 2018 zahlen. Und es zeichnet sich ab, dass der große Zahler Russland dieses Jahr ausfällt – wegen eines Machtkampfs mit dem Europarat.

Nicht nur deswegen sieht Europarats-Generalsekretär Thorbjørn Jagland einen „perfekten Sturm“ vor der Institution aufziehen. Sie verfolgt seit 1949 eine wichtige Aufgabe: Ihre Gremien überwachen die Wahrung der Menschenrechte in den Mitgliedstaaten. Das wohl bekannteste Gremium ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, bei dem jedes Jahr mehrere 10 000 Klagen eingehen.

Einige Länder stellten nun aber die Autorität dieses Gerichts infrage, sagte Jagland im Januar in einer Grundsatzrede vor der Parlamentarischen Versammlung, der 324 Abgeordnete aus den Mitgliedstaaten angehören. Die Grundwerte des Staatenbunds seien vielerorts bedroht.

Und jetzt läuft die Institution auch noch Gefahr, im Konflikt mit Russland in eine Finanzkrise zu stürzen. Knapp 33 Millionen Euro müsste Moskau in diesem Jahr zahlen – das ist etwa ein Zehntel des Gesamtbudgets des Europarats.

Reaktion auf das entzogene Stimmrecht

Aber was steckt hinter diesem Gerangel ums Geld? In Russland ist man erbost, weil den russischen Abgeordneten in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats im April 2014 ihr Stimmrecht entzogen wurde. Der Schritt war als Sanktion für die Angliederung der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland gedacht.

Russland habe den Dialog mit dem Europarat nie abgebrochen, sagte der Vorsitzende des russischen Parlaments Duma, Wjatscheslaw Wolodin, zuletzt. „Weil wir aber nicht an der Entscheidungsfindung teilnehmen und wir diese Möglichkeit auch nicht haben, halten wir es für richtig, den Beitrag nicht zu zahlen.“ Im russischen Jahresbudget für 2018 taucht das Geld für den Europarat konsequenterweise nicht auf.

Er verstehe, dass Europarats-Generalsekretär Jagland in einer „sehr schwierigen Situation“ sei, sagte jüngst der russische Außenpolitiker Leonid Sluzkij. „Weil das Geld nicht gezahlt wird, muss er eine Reihe von wichtigen Programmen reduzieren.

Schon heute spart die Organisation an allen Enden – auch weil Russland bereits 2017 seine Zahlungen einfror. Aus Verwaltungskreisen heißt es, Parlamentsdokumente würden fortan aus Kostengründen nicht mehr in ausgedruckter Form verteilt. Dolmetscher gebe es in Ausschusssitzungen nur noch für die wichtigsten Sprachen. Und auch die fleckigen Teppichböden in den Fluren zeugen von der Geldnot.

Außenpolitiker Sluzkij nennt eine Bedingung, damit Moskau wieder den Geldbeutel zückt: Erst wenn die Regeln geändert würden, könne die Frage der Zahlung neu diskutiert werden – „vorher nicht“.

Russland will nach Angaben aus Parlamentskreisen erreichen, dass künftig keine nationale Delegation mehr das Stimmrecht verlieren kann. Von einigen Abgeordneten wird das als Erpressung gewertet. Trotzdem gibt es nun im Hintergrund Gespräche, um Russland wieder an Bord zu holen. In einer Kommission suchen Parlamentarier – darunter auch zwei Russen – Lösungen.

„Der Europarat darf und wird sich nicht erpressen lassen“

Frank Schwabe, deutscher SPD-Abgeordneter in der Parlamentarischen Versammlung, sagt dazu: „Der Europarat darf und wird sich nicht erpressen lassen.“ Notfalls müssten andere Länder mit Geld aushelfen. Auch er halte es zwar nicht für richtig, Länder mit dem Entzug des Stimmrechts zu bestrafen. Aber wenn nun diese Möglichkeit abgeschafft würde, dürfe das nicht als „Lex Russland“ missverstanden werden.

Andere Sanktionsmöglichkeiten hat der Europarat de facto nicht. Zwar können theoretisch Mitgliedsstaaten ausgeschlossen werden. Das ist aber noch nie geschehen. Ohne das mächtige Russland mit im Bunde verlöre der Europarat zudem einen wichtigen Mehrwert im Vergleich zur Europäischen Union. Und die russischen Bürger könnten nicht mehr vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen. Dabei stand Russland im vergangenen Jahr auf Platz eins der am häufigsten verurteilten Mitgliedsländer.

So könnte Moskau am Ende tatsächlich seine Ziele erreichen – trotz des erbitterten Protests aus der Ukraine. Jagland signalisierte zuletzt Kompromissbereitschaft: Der Europarat habe zwar eindeutig klargemacht, dass die Annexion der Krim rechtswidrig gewesen sei. Aber es sei nicht an der Straßburger Institution, dieses Problem zu lösen. Gerade in Zeiten des Konflikts müssten Russland und die Ukraine in der Parlamentarischen Versammlung vertreten sein. „Ich hoffe, dass wir in der Lage sein werden, einen Weg aus dieser Situation zu finden.“

Violetta Kuhn (dpa)

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