Vom Augustputsch 1991 zur neuen russischen Flagge

Unser Autor Grigorij Kroschin war lange Redakteur bei der legendären sowjetischen Satirezeitschrift „Krokodil“. Zur Zeit des Putschversuchs vom 19. bis zum 22. August 1991 in Moskau hielt er sich im Weißen Haus auf, wo er für das Magazin als Parlamentskorrespondent akkreditiert war. Hier erklärt Kroschin, der inzwischen in Deutschland lebt, den Zusammenhang von Putsch und dem Symbol des neuen Russland.

Putsch

Anhänger des neuen Russlands versammeln sich ­während des Putschversuchs 1991 um das Weiße Haus / Foto: RIA Novosti

Diesen August fallen mehrere für Russland wichtige Gedenktage zusammen: Am 22. August vor 25 Jahren wurden in Moskau die Putschisten besiegt, die damals die alte Sowjetunion am Leben erhalten wollten. Derselbe Tag markierte aber auch die Geburt der heutigen russischen Nationalflagge in den Farben Weiß, Blau und Rot – und das Ende der allen Sowjetbürgern so vertrauten roten Fahne mit Hammer und Sichel.

Dabei ist die Geschichte der Trikolore älter als die Sowjetunion. Sie reicht bis in die Zeit Peter des Großen zurück, der 1705 anordnete, sie in allen Gerichten des Russischen Imperiums aufzuhängen. Doch erst die bewegten Tage im August 1991 machten es möglich, dass sie endgültig ihren Platz auf dem Sitz der russischen Regierung einnehmen konnte.

Ich erlebte die Ereignisse vom 19. bis zum 21. August vor Ort als Parlamentskorrespondent der Satirezeitschrift „Krokodil“. Später, um die Jahrtausendwende, besuchte ich den Mann, dessen Name für immer mit der Geschichte der neuen russischen Trikolore verbunden sein wird: Wiktor Jaroschenko.

Er erzählte mir, wie er als erster Minister für den Außenhandel des neuen Russlands schon 1990 versuchte, die Trikolore über dem russischen Pavillon auf einer Messe in Schweden wehen zu lassen. Doch der – wie immer bei solchen Gelegenheiten – anwesende kommunistische Politkommissar habe es ihm verboten. In Schweden musste Jaroschenko noch klein beigeben. Zurück in Moskau, hängte er zum Trotz die dreigestreifte Fahne in seinem Ministerkabinett auf und verfügte, dass sie auf allen offiziellen Dokumenten des Ministeriums sowie auf allen Visitenkarten seiner Mitarbeiter gedruckt werden sollte. Als ich mich im Gespräch wunderte, dass ihm das alles erlaubt wurde, bekannte Jaroschenko, dass er wegen „Verstoßes gegen die staatliche Symbolik“ drei Mal vom Staatsanwalt vorgeladen worden war. Offizielle Briefe des Ministeriums seien Retour geschickt worden, weil sie auf nicht genehmigten Formularen abgefasst waren. Das habe letztlich die Arbeit des Außenhandelsministeriums zum Erliegen gebracht.

Putsch

Jaroschenko samt Flagge
in seinem Pariser Büro / Foto: Kroschin

Ein Jahr lang kämpfte Jaroschenko um die gesetzliche Anerkennung der neuen Flagge. Doch erst der Putschversuch im August 1991 brachte den Durchbruch. Am 22. August, als der Putsch bereits niedergeschlagen war, wurde das entsprechende Gesetz endlich dem Parlament – damals der Oberste Sowjet – zur Abstimmung vorgelegt und abgesegnet. Um 12 Uhr mittags begann die Sieges-Kundgebung vor dem Weißen Haus. Als Jelzin anordnete, die neue dreifarbige russische Flagge über dem Weißen Haus zu hissen, geriet man in Verlegenheit: Wo sollte man so eine große Trikolore auftreiben? Jaroschenko berichtete mir, dass daraufhin der Premierminister Iwan Silajew auf ihn zugekommen sei, weil er sich an die unerlaubte Flagge auf den Briefen des Außenhandelsministeriums erinnerte. Silajew habe sich bei ihm entschuldigt und ihn gebeten, die Flagge aus seinem Kabinett holen zu lassen. Man nahm die rote Sowjet-Fahne ab und steckte an ihrer Stelle Jaroschenkos Trikolore aus seinem Ministerium auf – unter unbeschreiblichem Jubel der umherstehenden Menschenmenge.

Die Liebhaber-Flagge wehte einen Tag lang über dem Weißen Haus, bis sie durch eine im Eiltempo eigens genähte robustere Fahne ersetzt wurde. Jaroschenko nahm seine Flagge wieder an sich und brachte sie 1992 nach Paris mit, wohin er als russischer Handelsvertreter für Frankreich entsandt wurde. „Als ich aus dem Flugzeug stieg, hielt ich in einer Hand meine einmonatige Tochter, in der anderen eine Tasche mit der russischen Flagge“, erinnerte sich Jaroschenko bei unserem Gepräch. Sie ins Gepäck zu geben, war ihm zu gefährlich erschienen: Sie war doch „der Stolz der Nation, eine Reliquie“: „Der Panzerkreuzer Aurora ist das Symbol für die blutige Revolution, die russische Flagge dagegen steht für eine samtene Revolution, für den Übergang zum gesunden Menschenverstand.“

Mit der Flagge als  wichtigstem Exponat richtete Jaroschenko in seiner Pariser Handelsvertretung auf eigene Faust das erste „Museum der russischen Flagge“ ein. 2001 endete sein Einsatz  in Frankreich. Mit ihm musste auch das Museum das Gebäude an der Rue de la Faisanderie verlassen. Die damalige russische Regierung kümmerte sich nicht um das Schicksal der „nationalen Reliquie“, der ersten Flagge des demokratischen Russlands. So nahm sie nicht etwa den ihr gebührenden Platz in einem Museum in der Heimat ein, sondern landete in einer Kiste verpackt auf der Pariser Straße. Gerettet wurde sie von der französischen Regierung, die sie in einem Bankschließfach einlagern ließ.

So müssen wir heute noch einem dritten Jubiläum gedenken: Vor 15 Jahren verschwand das erste Museum der russischen Flagge. Jaroschenko ist heute Präsident des Unternehmerklubs IBC, doch weder in Paris, noch in Russland gibt es heute einen Ort für seine, unsere Flagge.

Grigorij Kroschin

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: