Undercut und Seitenscheitel: Russlands Männer entdecken ihre Lust an einer gepflegten Frisur

Seit mehreren Jahren sprießen sie wie Pilze aus dem Boden. Mittlerweile gibt es in Moskau fast 200 Barbershops. Und ständig werden es mehr. Alexej Jermilow, Mitinhaber der Kette "Chop Chop" erklärt den Boom und das neue männliche Selbstverständnis. 

Barber

Bei Chop Shop ist die Stimmung stets entspannt. /Foto: Chop Chop

Wie sind sie auf die Idee gekommen, in Moskau einen Barbershop aufzumachen?

Ich habe schon immer viel Wert auf eine vernünftige Frisur gelegt und von einem besonderen Ort geträumt, an dem man sich wohlfühlt und von einem Experten behandelt wird. Als ich dann 2011 den Entschluss gefasst habe, meinen ersten Barbershop zu eröffnen, haben mir viele Freunde gesagt, dass es sinnlos sei, einen Friseurladen nur für Männer zu eröffnen.

Und die Freunde hatten Unrecht.

Ja! Es ist erstaunlich, wie gut dieses amerikanische Format hier in Moskau und Russland allgemein aufgenommen wurde. Ich war zu Anfang total überrascht und bin es bis heute. Vor allem die unglaubliche Anzahl an Barbershops ist beeindruckend. Chop Chop hat mittlerweile über 100 Filialen, und das nicht nur in Russland. Es ist schon eine Art Mission für mich.

Wie erklären Sie den Erfolg der Barbershops?

Viele derjenigen, die jetzt in einen Barbershop gehen, haben vorher nicht viel Wert auf ihr Äußeres gelegt. Sie sind einfach zum nächstbesten Friseur an ihrer Metrostation gegangen oder haben sich von ihrer Freundin die Haare schneiden lassen.

Ich glaube, der Barbershop gefällt den Russen, da er ihnen die Möglichkeit bietet, sich auszudrücken. Das ist schon ein sehr russisches beziehungsweise osteuropäisches Phänomen. Zu Zeiten der Sowjetunion hat sich der Mann in einem sehr engen Rahmen bewegt. Und langsam befreit er sich davon. Dazu kommt auch, dass die russische Gesellschaft sich ändert. Früher hätte man jemanden, der alle drei Wochen zum Friseur geht und eine bestimmte Summer ausgibt, für verrückt erklärt. Es hat einfach nicht den gesellschaftlichen Normen entsprochen. Heute ist der Barbershop für den „echten“ Mann die absolute Norm, er geht dorthin, wie auch seine Freunde und Kollegen.

Ein weiter Grund für den Boom sind sicher soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram. Früher hat man sich die Haare einfach für sich selbst oder den engen Freundeskreis schneiden lassen. Durch die neue Selfiekultur wollen viele Männer das aber nun nach außen tragen. Vor ein paar Jahren war es kaum vorstellbar, dass ein Mann die Ergebnisse seiner Veränderung anpreisen wird. Diese neue Welle und die Barbershops passen einfach perfekt zusammen.

Günstig ist das dennoch nicht. Bei Ihnen muss man für einen Schnitt 1800 Rubel bezahlen.

Ich finde das nicht teuer. In einem Schönheitssalon zahlt man mindestens 2000 Rubel und oft noch mehr. Außerdem ist das der Moskauer Preis. Wir versuchen uns am Lebensstandard der Menschen zu orientieren. So verlangen wir in der Provinz auch mal nur 800 Rubel.

Wie darf man sich den typischen Kunden bei Ihnen vorstellen?

Das Interessante ist, dass unsere Kunden einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen. Es ist keine Nische für Modefreaks und Hipster, die angesagte amerikanische Zeitschriften lesen. Es kommen einfach alle – Manager, Abgeordnete, Studenten und Kinder.

Glauben Sie, dass sich das Bild des russischen Mannes ändert?

Auf jeden Fall. Es gibt mittlerweile schon einige Männer, die sich nicht mehr als „Kerl“ wahrnehmen. Aber insgesamt ist es dennoch nur die Spitze des Eisbergs. Ich würde sagen, dass wir hier von fünf Prozent aller russischen Männer reden, die ein neues Selbstempfinden haben. Und meiner Meinung nach gehen zwei Prozent auf das Konto der Barbershops. Es gibt also noch viel für uns zu tun, der Markt ist noch lange nicht gesättigt.

Das Interview führte Daniel Säwert  

 

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