Alte Schule: Wie die Ukraine auf den Spuren der DDR wandelt

Sie haben durchaus die Absicht, eine Mauer zu errichten, auch als „Europäischer Wall“ bezeichnet. Während dieses Projekt nur schleppend vorankommt, hat Kiew jetzt die Ukraine in einer wahren Sanktionsorgie noch weiter von Russland abgegrenzt. Der systematische Abbruch aller Brücken erinnert an die Irrwege eines untergegangenen deutschen Staates.   

Sogar im Moment des Triumphes  musste der ukrainische Präsident Petro Poroschenko an Russland denken. Eine Portion Schadenfreude war sicher auch dabei, als die EU den Ukrainern nun endlich die Visafreiheit für den Schengen-Raum gewährte. Ätsch, Russland, davon kannst du nur träumen! Im Verständnis von Poroschenko können aber bald nicht nur die Ukrainer komplikationslos in den Westen reisen, auch die Ukraine selbst macht sich auf den Weg. Sie kehre nämlich auf ihren historischen Platz in Europa zurück. Und vom „russischen Imperium“ sei man nun „endgültig“ geschieden.

Das ukrainische Außenministerium in Kiew mit den Flaggen der Ukraine und der EU. Das Foto stammt aus dem Jahre 2007, als noch Viktor Juschtschenko Präsident war. Schon damals schwor sich die Ukraine auf eine europäische Perspektive ein. / Wikimedia Commons, Dmytro Sergiyenko

Aber weil sich das „russische Imperium“ selbst leider nicht von der Stelle rührt, schuf der Präsident ein paar Tage später mit seinem Erlass 133 neue Tatsachen, um die Ukraine zumindest mental noch weiter von Russland zu distanzieren. In einem beispiellosen Schritt verhängte er Sanktionen gegen 1228 Einzelpersonen und 468 Firmen, darunter namhafte IT-Unternehmen wie Kaspersky Lab, Dr.Web, 1C und ABBYY, Fernsehsender, mit RBK auch einer der wenigen unabhängigen russischen Kanäle, Fluggesellschaften, Fahrzeughersteller und Banken. Das größte Echo löste jedoch das Verbot des russischen Internetdienstes Yandex, der Sozialnetzwerke VKontakte und Odnoklassniki sowie des E-Mail-Anbieters Mail.ru aus. Damit wurden ukrainische Internetprovider angewiesen, vier der zehn beliebtesten Webseiten der Ukraine zu sperren. Nach Schätzungen sind 25 Millionen Nutzer betroffen. Begründet wurde die Maßnahme wie immer in solchen Fällen mit der „nationalen Sicherheit“ und der russischen Propaganda. Poroschenko sagte vor der Presse, VKontakte und Odnoklassniki, die bisher in der Ukraine weiter verbreitet waren als Facebook, würden „vom KGB/FSB kontrolliert“. Und weiter: „Mein Volk kann auch ohne sie leben.“

Kritik an der Entscheidung hagelte es von vielen Seiten. Interessant, dass westliche Stimmen die Ukraine vor allem wegen der Verletzung der Meinungsfreiheit ermahnen zu müssen meinten. Dabei war dieser Kahlschlag vor allem der nächste Versuch, Kontakte zwischen Ukrainern und Russen maximal und nachhaltig zu erschweren.

Russland und die Ukraine sind nicht einfach nur Nachbarn wie Deutschland und die Niederlande oder Frankreich und Spanien. Beide Länder teilen eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte, einen gemeinsamen kulturellen, sozialen und sprachlichen Raum – ob nun in einem Staat oder entlang von Grenzen. Auf einer persönlichen Ebene manifestiert sich das heute nicht zuletzt in familiären Bindungen: Millionen Menschen haben Verwandte auf der einen oder anderen Seite. Eine Bresche zwischen sie schlagen zu wollen, die gar nicht groß genug sein kann, und einen Schlussstrich nach dem anderen unter das Kapitel zu ziehen, ist selbst dann noch eine Torheit, wenn man Russland der Annexion der Krim und der Aggression im Donbass beschuldigt. Sich zu europäischen Werten zu bekennen und einen Westkurs einschlagen zu wollen, bedeutet noch lange nicht, möglichst alle bisherigen Brücken abzubrechen. Gerade von uns Deutschen sollte es dafür keinen Beifall geben.

Wer die DDR noch erlebt hat, dem muss die Rhetorik der Kiewer Führung nämlich vertraut vorkommen. Auch Honecker und Genossen war es ein Graus, wenn jemand die beiden deutschen Staaten als zwei Teile eines Ganzen begriff. Sie inszenierten ihr Land als das andere, das bessere Deutschland, das aus der Geschichte die richtigen Lehren gezogen hat, ein Vorposten der neuen Welt an der Nahtstelle zur alten, Zukunft statt Vergangenheit, Fortschritt statt Finsternis, Friedfertigkeit statt Kriegstreiberei. Nach innen wurde eine Wagenburgmentalität gefördert, weil der Feind vor der Tür stand, nach außen suchte die DDR noch in Vietnam und Angola nach Freunden, nur um den „Brüdern und Schwestern“ aus Westdeutschland zu entkommen. Selbst als man in Moskau längst dabei war, den Eisernen Vorhang niederzureißen, Öffnung und ein „gemeinsames Haus Europa“ zu predigen, wähnte man sich in Ostberlin noch auf seiner eigenen Umlaufbahn.

Wie die Ukraine heute, so glaubte auch die DDR, das Volk vor der Hetze von „drüben“ in Schutz nehmen zu müssen. Besonders Westberlin als Brückenkopf der Imperialisten war ihr ein ständiger Dorn im Auge. Es soll im Übrigen nicht wenige gegeben haben, die den Mauerbau von 1961 begrüßten: Endlich konnte man sich in Ruhe entwickeln, ohne Störfeuer von außen.

Auch die Ukraine baut an einer Mauer zu Russland, sie heißt sogar so. Alternativ hat man sie in der typischen Sprachfolklore der letzten Jahre auf den Namen „Europäischer Wall“ getauft – der „Antifaschistische Schutzwall“ lässt grüßen. Gleichzeitig werden viele andere Mauern errichtet, was ungefähr so europäisch ist, wie die Deutsche Demokratische Republik demokratisch war. Seit 2015 ist der Luftverkehr zwischen beiden Ländern gegroundet, nachdem Russland auf eine entsprechende ukrainische Initiative in analoger Weise reagierte. Der Kiewer Infrastrukturminister Wladimir Omeljan sagte dieser Tage, damals hätte man am besten auch gleich die Zugverbindungen kappen sollen. Der Güterverkehr ist bereits vorige Woche einstellt worden – auch russische Bahnunternehmen sind von den Sanktionen betroffen und mussten ihre Waggons abziehen.

Der stellvertretende ukrainische Wirtschaftsminister Maxim Nefedow sprach sich neulich wieder einmal für einen radikalen Schnitt aus: „Umso weniger uns mit dem Osten verbindet, desto schneller integrieren wir uns in den Westen.“ Bereits in den zurückliegenden Jahren waren weitreichende Verbote für den Buch-, Film- und Fernsehmarkt erlassen worden. Zuletzt wurde auch das Tragen des Georgsbands unter Strafe gestellt. In der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, diskutiert man wieder über die Einführung der Visapflicht mit Russland und hat davon bisher nur deshalb abgesehen, weil viele Ukrainer im Nachbarland arbeiten und befürchtet wird, dass die Visapflicht dann auch in der Gegenrichtung verhängt würde. Aber der Fantasie der Abgeordneten scheinen in dieser Hinsicht keine Grenzen gesetzt. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Zwangsumtausch?

 

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