Mit vier Pfoten im Schnee: Wo sich Moskaus Straßentiere verstecken

Was tun Sie, wenn an einem späten Winterabend - auf der Straße sind minus 20 Grad - plötzlich ein großer, abgemagerter, alter Straßenköter mit eingeklemmtem Schwanz und gesenktem Kopf still vor Ihrer Haustür steht? Russland hat noch kein umfassendes Gesetz zum Schutz herrenloser Tiere. Solange sind die Vierbeiner auf den guten Willen der Menschen angewiesen. Auch und vor allem im Winter.

74916 19.01.2001 Бродячая собака на улице Москвы. Валерий Шустов/РИА Новости

Moskau hat noch keine Lösung für seine Straßentiere. / Ria Nowosti

In dunklen Ecken der Metro-Stationen und im Untergeschoss älterer Wohnhäuser verbergen sich in den kalten Wintermonaten nicht nur obdachlose Menschen, sondern auch Zehntausende Vierbeiner. In über 20 Moskauer Tierheimen, städtischen wie privaten, leben mehr als 15 000 Tiere, ebenso viele werden jährlich eingefangen, aber nur bis zu ein Prozent von ihnen in Familien vermittelt. Die Dunkelziffer der echten Straßenstreuner ist mindestens genauso hoch, unterschiedlichen Statistiken zufolge aber eher sogar noch höher.

Keine Zufluchtsorte

Bei Frost droht den Vierbeinern, außer unliebsame Einwohner und sogenannte Hundejäger, die es sich zum Ziel setzen, alle Straßenhunde auszurotten, auch noch der Wintertod. Dabei sterben sie nicht durch Kälte oder fehlendes Fressen, das ist in einer Großstadt das geringere Problem. Die meisten Tiere versterben aus Schwäche, weil sie im Winter nirgendwo schlafen, ihre Kräfte nicht auftanken können.

Aufwärmen in Geschäftsräumen? Das kommt natürlich nicht in Frage, da das der Chef entscheiden müsste, der im fraglichen Moment nicht anwesend ist, und die Kunden geschützt werden müssen. Das hat die Zeitung „Moskowskij Komsomolez” gerade zu Jahresbeginn getestet und berichtet. Lebensmittelläden können Tiere schon aus Hygienegründen nicht einlassen.

Letzte Chance: Keller

Solche Schlupflöcher sind vor allem für Katzen gedacht. / pl

Solche Schlupflöcher sind vor allem für Katzen gedacht. / pl

Eine Chance für die Tiere sind die Untergeschosse der Wohnblocks, wo die Rohrleitungen verlaufen. Dort ist es warm und menschenleer. Und auch Hausbesitzer und Bewohner haben etwas davon: Die Straßenkatzen befreien die Gebäude von Ratten, Mäusen und anderem Getier. Eine Win-Win- Situation sozusagen. Und trotzdem begannen ab 2009 viele Besitzer, die kleinen Kellerfenster, die meist gerade einmal für Katzen oder kleine Hunde reichen, fleißig zu verdrahten, verriegeln und verrammeln. Dadurch wiederum seien jährlich Tausende Tiere verletzt worden oder gar ums Leben gekommen, haben von der Moskauer Gesellschaftskammer beauftragte Experten herausgefunden.

Diese städtische Institution engagiert sich gemeinsam mit interessierten Bürgern und Tierschutzorganisationen dafür, dass es wenigstens in jedem Haus ein offenes Fensterchen im Untergeschoss geben soll, damit herrenlose Tiere sich aufwärmen können, ohne die Bewohner zu stören.

Warten aufs Gesetz

Einen ersten solchen Vorschlag hatte es bereits 2009 gegeben, Ende 2016 hat die zuständige Arbeitsgruppe eine Empfehlung an die Staatsduma, die Moskauer Departements für Wohn- und Kommunalhaushalt sowie Städtebau, und damit auch einen Appell an die Bürger selbst vorgelegt: Wichtigstes Anliegen ist dabei ein einheitliches Gesetz zur Sterilisierung und Unterbringung von Straßentieren in Heimen. Aber das dauert noch.

Mit den seit Herbst medial besonders präsenten Fällen von Tierquälerei in Chabarowsk, als jugendliche Mädchen Hunde und Katzen bestialisch töteten, dies filmten und im Internet veröffentlichten, hat das Thema an Dringlichkeit allgemein gewonnen. Dumapolitiker unterstützen Tierschutz-Petitionen und selbst Präsident Wladimir Putin kommentierte die Fälle mehrmals. Im Frühjahr 2017 soll ein erster Gesetzesvorschlag vorgelegt werden.

„Das Problem ist aber noch nicht gelöst”, erläutert Alexandr Koslow, Vorsitzender der Kommission für Wohnungs- und Kommunalwirtschaft der Gesellschaftskammer Moskau. Darum müssten wenigstens die allgemeinen Bedingungen verbessert werden.

Die Hoffnung friert zuletzt

„Dazu gehört auch die Öffnung der Kellerräume für herrenlose Tiere. Kontrollieren können die Lage in der Stadt dann Tierschützer und nicht gleichgültige Menschen.” Die Empfehlung der Kammer und die dazu veranstalteten Rund-Tisch-Gespräche sollen auch möglicherweise auftretenden Konflikten zwischen Anwohnern, Gebäudewirtschaft bzw. Hausbesitzern sowie einem humanen Verhältnis gegenüber den Tieren zuvorkommen.

„Es gibt in jedem Hausaufgang wenigstens eine Person, der das Schicksal der Tiere nicht egal ist, die Katzen und Hunde im Hof füttert und auf sie aufpasst”, sagt Koslow optimistisch. „Solange es kein richtiges Gesetz zum Schutz der Straßentiere gibt, müssen Übergangsmaßnahmen greifen.“

von Peggy Lohse

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