Starregisseur Serebrennikow und der Sommernachtsalptraum

Weil er staatliche Gelder veruntreut haben soll, steht Kirill Serebrennikow unter Hausarrest. Künstler in Deutschland glauben an seine Unschuld.

Serebrennikow

Serebrennikow bei der Anhörung am 23. August in Moskau/ Foto: RIA Nowosti

Angela Merkel und Wladimir Putin werden demnächst Post bekommen. „Wir protestieren gegen die Verhaftung von Kirill Serebrennikow“, wird es in dem Brief heißen. Verfasst haben ihn Thomas Ostermeier und Marius von Mayenburg von der Berliner Schaubühne, künstlerischer Leiter und Regisseur der eine, Hausautor und Dramaturg der andere. Unterzeichnet haben namhafte Kollegen wie Maren Aden, Cate Blanchett, Elfriede Jelinek und Nina Hoss, sowie mittlerweile mehr als 8600 Unterstützer, die glauben: „Die Vorwürfe gegen Serebrennikow sind unhaltbar und lassen erkennen, dass hier ein international renommierter Regisseur mundtot gemacht werden soll.“ Adressaten der Petition sind zudem Vertreter der russischen Staatsanwaltschaft.

Angst vor Fluchtgefahr

Letztere hat Serebrennikow in der Nacht zum Dienstag vergangener Woche in St. Petersburg festnehmen lassen. Der Künstler wird beschuldigt, in den Jahren 2011 bis 2014 staatliche Gelder in Höhe von 68 Millionen Rubel veruntreut zu haben, umgerechnet knapp eine Million Euro. Deswegen hatten Ermittler bereits im Mai das Gogol-Theater, das Serebrennikow leitet, und die Wohnung des Regisseurs durchsucht. Unter anderem soll er Geld für eine Inszenierung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ erhalten, das Werk aber nie auf die Bühne gebracht haben. Serebrennikow dagegen sagt, das Stück sei mehrmals in Moskau sowie in Paris und Riga gezeigt worden, das würden Videoaufnahmen und Rezensionen belegen. Er bekenne sich nicht schuldig, erklärte er bei der Anhörung.

Die Behörden ließen ihn zwar danach gehen, allerdings verhängte die Haftrichterin Hausarrest wegen angeblicher Fluchtgefahr. Auch darf er laut Medienberichten kein Internet nutzen und keine Post versenden. Das soll zunächst bis 19. Oktober gelten. Seiner Arbeit kann er so lange nicht nachkommen.

Kritik aus Stuttgart

Davon ist unter anderem die Oper Stuttgart betroffen, die sich gerade auf die Premiere von Serebrennikows Inszenierung der Humperdinck-Oper „Hänsel und Gretel“ vorbereitet. Diese soll wie geplant am 22. Oktober stattfinden, heißt es in einer Stellungnahme der Oper. Der Hausarrest wird darin als eine „unverhältnismäßig strenge Maßnahme“ kritisiert.

Auf Unverständnis stößt der Umgang mit Serebrennikow aber auch in Russland. Der Schriftsteller Boris Akunin zum Beispiel erklärte, wenn international angesehene Persönlichkeiten festgenommen werden, geschehe das „bei uns nur mit dem Segen oder gar auf direkten Befehl des obersten Chefs“. Der Autor und Literaturprofessor Dmitri Bykow sieht in dem Fall auch ein Signal nach außen: Während Serebrennikow im Westen demonstrativ mit Theaterpreisen ausgezeichnet werde, würde er in Russland ebenso demonstrativ erniedrigt.

Brisanter Brief

Der Schauspieler und Dramatiker Iwan Wyrypajew nimmt den Fall zum Anlass für einen Rundumschlag gegen die Machthaber. In einem offenen Brief kritisierte er aber auch die Kulturschaffenden, die nun gegen den Hausarrest protestieren, während sie weiterhin staatliche Gelder für ihre eigene Arbeit bekommen. Man dürfe sich überhaupt nicht mehr auf das System einlassen, fordert er.

Der Journalist Viktor Marachowski dagegen fragt in einer Analyse für die staatliche Nachrichtenagentur RIA Nowosti: „Warum können Brandschutzinspektoren, Polizisten, Generälen oder Gouverneuren Wirtschaftsverbrechen angelastet werden, ohne dass jemand vermutet, Putin stopfe den Nichteinverstandenen persönlich die Mäuler? Aber ein Künstler und Intendant, dem Veruntreuung angelastet wird, für den gilt die Vermutung, er würde verfolgt?“

Ähnlich äußerte sich der Regisseur Andrej Kontschalowski:  „Hier haben die Ermittler und Staatsorgane offensichtlich etwas gefunden. (…) Zu sagen, was für ein talentierter Regisseur oder Künstler Serebrennikow ist, tut hier nichts zur Sache.“Inzwischen hat auch der Kreml reagiert. Der Sprecher des Präsidenten Dmitri Peskow erklärte, es gehe in dem Fall nicht um Zensur. Der Staat sei verpflichtet, zu kontrollieren, wofür öffentliche Gelder ausgegeben werden.

Corinna Anton


Was einem Kenner der Theater-Szene zur Verhaftung Serebrennikows durch den Kopf geht

Zunächst einmal ist der Hausarrest für Serebrennikow als gutes Zeichen zu werten, denn eine Untersuchungshaft bedeutet in Russland in den meisten Fällen eine folgende Gefängnisstrafe. Der Hausarrest hingegen deutet darauf hin, dass sich die Ermittler nicht sicher sind, ob genügend Beweise für einen Schuldspruch vorliegen.

Serebrennikows Theater ist lange nicht die bedeutendste politische Theaterplattform Moskaus und er selbst nicht der radikalste Regisseur im Land. Er arbeitet anders als seine Kollegen von „Teatr.doc“ mit ihren klaren politischen Botschaften oder der inhaftierte Filmregisseur und Aktivist Oleg Sentsow.

Mehr als politischer Protest

Serebrennikow ist ein Regisseur, der durch alle Erzählungen, ob modern oder klassisch, mit seinem Publikum über das Hier und Jetzt spricht. Es wäre ein Fehler, ihn nur als einen Oppositionellen abzustempeln, geht es in seiner Arbeit doch um mehr als politischen Protest. Mit seinen Inszenierungen befördert er unabhängiges und kritisches Denken und diskutiert die Natur der Macht.

Das macht ihn so gefährlich für die russischen Machthaber, die auf billige Popkultur gemischt mit geistlich-patriotischem Wahnsinn setzen. Und die Tatsache, dass er seine Arbeit auf einer kommunalen Bühne zeigt, reizt sie noch mehr.

Zu seiner Verhaftung kursieren diverse Hypothesen: Einmal wird Serebrennikow als Marionette im Krieg der Eliten dargestellt, seine Anstellung als künstlerischer Leiter des Gogol Center wird auf die Freundschaften zum engen Kreis des Premiers Dimitri Medwedew zurückgeführt. Diese sogenannten „Liberalen“ sind mit den „Silowiki“, den Vertretern des Sicherheitsapparats, verfeindet. Die wiederum bilden den engen Kreis um Präsident Wladimir Putin. Es ist gut möglich, argumentieren die Anhänger dieser These, dass die „Silowiki“ den „Liberalen“ so ihre Macht beweisen.

„Stark, autonom und freidenkend“

In einer anderen Version wird das Kulturministerium und das bekannteste Theater des Landes, das Moskauer Kunsttheater, ins Spiel gebracht. Dessen Intendant Oleg Tabakow ist schwer krank und Serebrennikow gilt als eine Person, die als Nachfolger besonders qualifiziert ist. Allerdings braucht das ultrakonservative Kulturministerium auf diesem Posten niemanden wie Serebrennikow, der stark, autonom und freidenkend ist. Gegen diese Version spricht, dass Kulturminister Wladimir Medinsky wohl nicht auf eigene Faust handelt, er spielt eher einen Erfüllungsgehilfen.

„Was haben Sie vor?“, fragte ich Serebrennikow auf Facebook, nachdem im Sommer bereits einige seiner Kollegen wegen Verdacht auf Veruntreuung verhaftet worden sind. „Was passiert mit Ihnen?“ „Wir sind wie Gras“, antwortete er. „Wenn der Wind weht, geben wir nach. Und wenn der Wind nachgibt, stehen wir in voller Lebensgröße wieder auf.“

Juri Friedman (n-ost)
Der Autor ist ein Moskauer Theaterjournalist und unabhängiger Theaterproduzent. Juri Friedman ist sein Pseudonym.

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