Siegmund von Herberstein: Der Kolumbus des Ostens

Der Österreicher Siegmund von Herberstein reiste 1516 von Augsburg über Polen ins Reich der Moskowiter. Seine diplomatische Mission scheiterte. Dafür schrieb er einen Bestseller von erstaunlicher Aktualität.

Herberstein erkundete das Land mit allen Sinnen. Auf dieser Darstellung aus dem Jahr 1517 trägt er moskowitische Tracht. / Bild: Wikipedia/Public Domain

Er kam, sah und notierte. Als Siegmund von Herberstein 1516 von Augsburg über Polen ins Reich der Moskowiter aufbrach, muss er einen Kulturschock durchlebt haben. Vieles war anders als der damals 31-Jährige es aus der heimischen Steiermark oder aus Wien kannte. Der Umgang mit den Frauen zum Beispiel. Das Leben der Geistlichen. Und der Handel nach dem Prinzip Ware gegen Ware. In einer Sache war sich Herberstein jedoch schon damals sicher: Russland gehört zu Europa.

Die Welt um das Jahr 1500. Vor Kurzem erst hat Christoph Kolumbus Amerika entdeckt. Bald schon wird Martin Luther seine 95 Thesen verbreiten. Im Osten des Kontinents steigt nach langer Herrschaft der Goldenen Horde nun Moskau zum stärksten Fürstentum auf. Und Siegmund von Herberstein verlässt das Schloss der Familie in der Oststeiermark, um in Wien Recht zu studieren. Jenes Schloss, das er mehr als 400 Jahre später noch vor der Verwüstung durch die Rote Armee bewahren wird.

Ein Kenner slawischer Sprachen

Zunächst tritt Herberstein in den Dienst des Kaisers. Im Jahr 1516 beginnt er, bereits zum Ritter geschlagen, eine diplomatische Laufbahn. Er wird nach Dänemark geschickt. Anschließend soll er nach Polen und ins heutige Russland reisen. Seine Aufgabe war es, dort Verbündete für Österreich im Kampf gegen die Türken zu gewinnen, erklärt Stefan Karner. Er ist Co-Vorsitzender der Österreichisch-Russischen Historikerkommission und Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz.

Dort und in Moskau haben sich Forscher aus Russland, Deutschland und Österreich in den vergangenen beiden Monaten dreimal getroffen, um sich über Herberstein auszutauschen. Denn er habe „den Osten so umfangreich beschrieben, dass er sowohl für den Westen als auch für Russland selbst bis heute interessant ist“, meint Karner.

Herberstein sah nicht nur genau hin. Er hörte auch gut zu. Geboren in Wippach (heute Slowenien) nahe der italienischen Grenze, lernte er bei den leibeigenen Bauern das damals gebräuchliche Slowenisch („Windisch“). Deshalb konnte er sich als Reisender in Russland auch mit den Einwohnern seines Gastlandes gut verständigen. So schilderte er, was er erlebte, las und recherchierte. Und publizierte es 1549 in lateinischer Sprache in Wien als „Rerum Moscovitivarum commentarii“. Es folgten Ausgaben auf Deutsch und Italienisch, auch ins Russische und in viele andere Sprachen wurde das Werk schon bald übersetzt.

Überlegenheit der Moskauer Autokratie

Eine zentrale Aussage Herbersteins ist laut Karner, dass Russland ein Teil Europas sei. „Die Grenze Russlands, soweit er sie damals gesehen hat, ist auch die Grenze Europas, und sie liegt am Ural.“ Begründet hat er das damit, dass sich in Russland trotz der fast 300-jährigen Mongolenherrschaft die wichtigsten Gesetze und Faktoren des menschlichen Lebens nicht wesentlich von Westeuropa unterschieden. „Einiges ist völlig anders, aber die Grundlinien sind ähnlich“, so der Historiker.

Bemerkenswert ist Karner zufolge auch, was Herberstein, der 1517 zurückkehrte und 1525/26 noch einmal nach Russland reiste, über Nowgorod schrieb: „Als er sah, dass Nowgorod von den Moskowitern geplündert war, erkannte er, dass die Moskauer Autokratie stärker war als die demokratischen Zustände in Nowgorod. Demokratie gab es in Nowgorod in Ansätzen, das heißt in Form einer Versammlung, die den Herrscher wählte.

Moskau hatte das nicht. Daher waren die Moskowiter im Kriegsfall schneller in ihren Entscheidungen und somit überlegen.“ Die von Herberstein beschriebene Idee des Zaren als „guter Hausherr“, dem die anderen folgen, sieht Karner bis heute in Russland verankert.

Berechtigte Kritik an Herberstein

Über dieses und andere Kapitel könnte man noch immer streiten. Denn es gibt durchaus Punkte bei Herberstein, die besonders russischen Lesern nicht so gut gefallen: Einiges sei überzeichnet, so der Vorwurf, Herberstein greife auf Stereotype zurück. Die Kritik sei angebracht und wichtig, räumt auch Karner ein, dennoch sei der Blick in den Spiegel, den Herberstein vorhalte, interessant für russische Leser, um etwas über das Bild zu erfahren, das ein Fremder von ihnen zeichnet.

Problematischer sei es, wenn Stereotype missbraucht werden, wie im Nationalsozialismus geschehen. „Damals wurde das, was Herberstein über die Tataren geschrieben hatte, herausgegriffen, um die sowjetische Armee zu charakterisieren, um die Rotarmisten als wilde Tiere darzustellen, um Feindbilder zu erzeugen“, erläutert Karner.

Der Retter des Schlosses

Dagegen steht heute ausgerechnet eine mit dem Namen Herberstein verbundene Anekdote als Paradebeispiel für Menschlichkeit und Belesenheit in der Roten Armee: Als diese im Frühjahr 1945 in Österreich einmarschierte, so wird in der Steiermark erzählt, stießen die Soldaten auf Schloss Herberstein. Der Kommandant jedoch kannte den Namen des Diplomaten und Schriftstellers, schätzte ihn offenbar und beschloss, den Sitz der Familie nicht zu zerstören, sondern zu beschützen.

Diese Geschichte kennt auch Emil Brix, aktueller österreichischer Botschafter in Moskau und somit ein Nachfolger Herbersteins. „Er gehört in Österreich zu den kulturellen Hidden Champions“, sagt Brix. Bekannt sei er natürlich Experten, aber auch der breiten Öffentlichkeit in der Steiermark, wo die Familie bis heute lebt.

Nicht immer ganz diplomatisch

Dass Herberstein mit seinen Gastgebern in seinen Schriften nicht zimperlich war, stört Brix nicht. „Er schreibt in seiner Autobiografie, dass man als Diplomat nicht immer diplomatisch sein darf. Denn man hat den Auftrag, seinem Dienstgeber offen zu sagen, wie die Situation dort ist, wo man tätig ist.“

Darin sieht der Botschafter eine „schöne Verbindung zur Gegenwart“, in der Diplomaten auch „nicht nur für das schöne Wetter zuständig“ seien. „Man muss öfter ganz offen sagen, worum es geht“, meint Brix und gesteht: „Ich könnte mir als Botschafter hier wenig bessere Vorbilder denken.“ Schließlich sei Herberstein auch der einzige österreichische Botschafter in Russland, für den es sogar ein Denkmal gibt – eine Büste, die neben steinernen Köpfen und Körpern anderer Literaten vor der Allrussischen Bibliothek für fremdsprachige Literatur in Moskau steht.

In Moskau erinnert eine Büste vor der Allrussischen Bibliothek für fremdsprachige Literatur an Herberstein. /Foto: Corinna Anton

Was Wissenschaftler über Herberstein sagen und was sie gerne von ihm lesen

Gerhard Pferschy, Historische Landeskommission für Steiermark, Graz: 

„Lernen kann man von Siegmund von Herberstein noch heute, dass auch bei schwierigen Situationen Kenntnis des Verhandlungspartners, Respekt, Beharrlichkeit und Geduld Erfolge bringen können. 

Mein Lieblingszitat stammt aus dem Familienbuch, dort meint er sinngemäß: Es ist nicht genug, von bedeutenden Vorfahren abzustammen, „sonder ain yeglicher sol sich selbst durch sein wolthuen mit tugenden edel machen“. 

Andreas Kappeler, Universität Wien, Institut für osteuropäische Geschichte:

 „Siegmund von Herberstein legte vor 500 Jahren die Basis für das westliche Russlandbild, das seitdem immer, wie schon bei Herberstein, zwischen Respekt und scharfer Kritik schwankte. Konkret zeigt sein Beispiel, dass es notwendig ist, im Gespräch zu bleiben, bei allen Gegensätzen und unvereinbaren Meinungen, und ohne den eigenen Standpunkt preiszugeben. 

Mein Lieblingszitat lautet: „Die moskowitischen Angelegenheiten aber habe ich mir vorgenommen, die weit versteckter und der Kenntnis der Mitlebenden nicht so zugänglich sind. Indem ich mich unterfange, sie zu beschreiben, verlasse ich mich vor allem auf zweierlei, auf meinen Eifer im Forschen und meine Kenntnis der slawischen Sprache. Beides ist mir bei dieser Schrift von großem Vorteil gewesen.“ 

Christine Harrauer, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Kulturgeschichte der Antike:

 „Vorbildlich ist die Offenheit, mit der Herberstein einer ihm (und dem gesamten Westen) weitgehend unbekannten Kultur und Lebensweise entgegengetreten ist, sowie die größtmögliche Objektivität, mit der er das Gesehene, Gehörte und Erforschte seinen Zeitgenossen mitteilen wollte.“

Mein Lieblingszitat steht im Vorwort zu seiner deutschen Ausgabe der „Moscovia“ von 1557:„Zu solcher erkhündigung haben mich die Lateinisch und Windisch sprachn vasst geholffen / und mich deß ergetzt / des ich in meiner Jugent derhalben beschwaert bin worden / wann umb der Windischen sprach willen / Von unerfarnen vill bekhuemerliche wort hoeren muessen / wie mich dan etlich auch der Latein halben dergleichen jrs vermainens spoetlichen ain Doctor genent / des ich mir doch für ain Ehr angenomen / wan ich mich des wirdig erkent hette / und mit vil andern spizigen wortn / die mich aber von den sprachen nie abgetzogen / sonder wo ich ursach gefunden / dieselben zureden mich nit geschichen / oder geschaembt / weil ich es ainem andern für Ehr und wolstand geachtet.“

Corinna Anton

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