Seitenwechsel: Als russischer Journalist in Deutschland

Ausländischer Agent und Putin-Erklärer aus Russland: MDZ-Autor Alexander Tschernischew war bei der Mitteldeutschen Zeitung in Halle als Praktikant nicht nur mit lustigen Spitznamen konfrontiert. Er lernte auch den Alltag einer Lokalredaktion kennen.

In Halle entdeckte Alexander Tschernischew sein Herz fürs Lokale. /Foto: DSK

„Kalaschnikow entladen, wir gehen jetzt mal essen!“, so lud mich mein Chefredakteur bei der Mitteldeutschen Zeitung in Halle zur Mittagspause ein. Manchmal war ich auch der ausländische Agent. Solche Witze gehören eben dazu, wenn man als Russe ein Praktikum in einer deutschen Redaktion absolviert. Aber auch ich fühlte meinen deutschen Kollegen auf den Zahn und stellte provokante Fragen und erhielt viele Meinungen.

Mein Weg nach Halle war lang. Erst einmal muss die Bewerbung für das Journalistenpraktikum des Deutsch-Russischen Forums erfolgreich eingereicht werden, dann folgt eine schriftliche Prüfung und zum Schluss ein Auswahlgespräch. Als ich die Zusage bekam, mussten sich alle an der Bushaltestelle unweigerlich mit mir freuen – ich schrie auf vor Glück.

Vorbereitung auf das Praktikum

Dann saß ich endlich mit 13 weiteren Stipendiatinnen und einem Stipendiaten im Flieger Richtung Deutschland. Unser Ziel: Badische Zeitung, brand eins, Deutsche Welle, Stern und RBB. Keiner wusste, was ihn erwarten würde. Sechs Wochen hatten wir Zeit, um genau das herauszufinden: Wie arbeitet es sich in einer deutschen Redaktion?

Bei einem Seminar in Berlin stimmten sich die Stipendiaten ein. /Foto: Privat.

Doch bevor man ins kalte Wasser geworfen wurde, verbrachten wir vier Tage in Berlin, um einander kennenzulernen und mit der deutschen Sprache warm zu werden. Für mich war das eine Kampfansage: Ich studierte erst ein Jahr Journalismus mit dem Schwerpunkt Deutsch im Master am Staatlichen Moskauer Institut für internationale Beziehungen.

Durch das Einführungsseminar gestärkt, konnte das journalistische Abenteuer in Halle endlich beginnen. Die Arbeitsstelle selbst war gemütlich und nicht viel anders als in Russland: Tische, Stühle, Telefone, Computer und natürlich eine Kaffeemaschine. Die Lokalredaktion der MZ bestand aus fünf Redakteuren, drei freien Journalisten, einer deutschen Praktikantin und einer Sekretärin.

Auf der Suche nach Lokalthemen

Bereits an meinem ersten Tag wurde mir klar: Ich muss mich durchbeißen. Alle Mitarbeiter sind sehr beschäftigt, denn jeden Tag geht die Zeitung abends in den Druck. Meine russischen Kollegen hatten dasselbe Problem – niemand bemerkte sie. Deshalb sucht jeder Praktikant seine eigene Strategie, nützlich zu sein. Ich fragte meinen Chefredakteur jeden Tag, ob ihm meine Themen über Russland gefallen. Er war mit allem einverstanden, aber nicht alles wurde veröffentlicht, schließlich waren sie an Lokalthemen interessiert. Als einmal auf der Politikseite ein großformatiges Foto von Putin mit nacktem Oberkörper zu sehen war, wollten dafür plötzlich alle wissen, was ich von der Freizügigkeit unseres Präsidenten halte.

Das Beste, was ich zu Beginn anbieten konnte, war mein Blick auf Halle. Das war auch mein Glücksfall. Denn nachdem mein Artikel erschien, erhielt ich einen Leserbrief: Ich solle den Leser besuchen, weil er ein interessantes Thema für mich hätte. Ich war sehr neugierig. Der Mann stellte sich als Künstler heraus, dessen Frau vor Kurzem verstorben ist. Als Zeichen seiner Liebe fertigte er 194 Rosen aus Keramik an, die er rund um die Welt verschicken will. Dafür suchte er Freiwillige. Ich kam seinem Wunsch gerne nach und nahm eine Rose mit nach Russland.

Deutsche Journalisten fühlen sich sicher

Während meines Praktikums lernte ich, wie Journalismus in Deutschland funktioniert. Anders als in Russland fühlt sich der Journalist in Deutschland sicherer und weiß, dass er Druck auf Behörden und Regierung ausüben kann. Die MZ führte einen echten Kampf mit dem Bürgermeister. Ohne einen triftigen Grund veranlasste er den Verweis einiger Kinder aus dem städtischen Kindergarten, deren Eltern ihn kritisierten. Nach mehreren Veröffentlichungen wurde eingelenkt. Ein solch positives Ende wäre in Russland kaum vorstellbar.

Darüber habe ich für das russische Online-Magazin „Europulse“ berichtet: Wie eine Regionalzeitung gegen die Willkür der Behörden und Unternehmen kämpft, indem sie Missstände aufdeckt.

So erging es anderen Stipendiaten

Alexander Bykowskij, brand eins

Ich nenne sie nur die „Traumredaktion“. Alles ist dort so organisiert, dass die Kreativität der Journalisten erhöht wird: ungewöhnliche Beleuchtung und Ausstattung, Kaffee, Tee, Kuchen, Sandwiches und das Wichtigste – alle nehmen an jedem Produktionsschritt teil. Nach dem gigantischen, täglich erscheinenden Kommersant, bei dem ich seit fast einem Jahr mein Volontariat mache, erschien mir brand eins anfangs etwas klein und langwieriger in seinen Prozessen, aber ich habe dort sehr viel gelernt.

Alexandra Jewtuschenko, Nordwest-Zeitung

Mein Hauptanliegen war es, meine Deutschkenntnisse zu verbessern. Dies sollte mir aber am Anfang so gar nicht gelingen, denn durch mich fand die Lokalredaktion einen guten Anlass, mehr über Russen in Oldenburg zu schreiben. Natürlich sprach ich dabei nur Russisch. Dann schlug ich ein Thema über die Erforschung von Zugvögeln vor. Weil mein Gesprächspartner Englisch bevorzugte, erhielt ich den Auftrag. Endlich veröffentlichte ich einen Artikel. Und endlich auf Deutsch.

Lisa Wafina, Tagesspiegel

Alle Journalisten sahen in mir eine Spezialistin für Russlandthemen. So schrieb ich eine Imbisskolumne über russischen Borschtsch und Bliny für die Sonntagsausgabe, berichtete über zwei russische Bloggerinnen in Berlin für die Rubrik Stadtleben und sammelte Meinungen von russischen Sportlern für die Sportseite. Fehler wurden mir erklärt, gemeinsam korrigiert und meine Texte veröffentlicht. Dadurch bin ich viel selbstbewusster geworden – und das hilft sehr bei der Arbeit.

Nachwuchsjournalisten aus Russland können sich für das Journalistenstipendium des DRF noch bis zum 28. Februar bewerben.

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