Schweizer Hardcover

Deutsche werden bei russischer Literatur ganz weich, meint ein noch junger Verlag aus Zürich und übersetzt eifrig immer neue Werke. Verlagsgründerin Sabine Dörlemann erklärt im Gespräch, warum.

Reichlich Lesestoff: die Schweizer Verlegerin Sabine Dörlemann / Foto: Barbara Dietl

Reichlich Lesestoff: Auf den Seiten zwischen dem Karton des Schweizer Verlages von Sabine Dörlemann / Foto: Barbara Dietl

Russische Literatur ist seit einiger Zeit in Deutschland sehr gefragt. Am meisten Aufmerksamkeit erzielen russischstämmige Autorinnen – es sind überwiegend Frauen –, die auf Deutsch schreiben. Sie werden vom Lesepublikum gleichermaßen geschätzt wie von der Kritik. So gewann Olga Martynowa 2012 den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis, und junge Autorinnen wie Lena Gorelik, Marjana Gaponenko oder Olga Grjasnowa werden in den Feuilletons herumgereicht und von den Lesern verschlungen. Eine Erklärung für ihren Erfolg könnte sein, dass sie ihre russische Herkunftswelt facettenreich in die deutsche Lebenswelt einbeziehen und damit eine interessante Spannung aufbauen zwischen einem fremden und einem vertrauten Blick auf die Gegenwart.

Auch die Romane von zeitgenössischen Russen werden hierzulande übersetzt, wie etwa Vladimir Sorokin, Boris Akunin oder Ljudmila Ulizkaja. Die Deutschen wollen mehr von Russland erfahren, dem geheimnisvollen Land mit den Bärenmützen und einer politischen Führung, die man nicht richtig versteht.

Es gibt aber auch ein wachsendes Interesse an den russischen Klassikern. Wer hätte gedacht, dass Iwan Bunins „Ein unbekannter Freund“ auf dem deutschen Buchmarkt eine so starke Resonanz findet? Der Literaturnobelpreisträger von 1933 war bis vor einiger Zeit nur Spezialisten bekannt, heute ist er einer der meistverkauften Titel seines Verlags. Bunins Erfolg ist das Verdienst des kleinen, aber feinen Züricher Dörlemann Verlags, der sich seit 2003 darauf spezialisiert, auch unbekannte Werke großer Autoren auf den Buchmarkt zu bringen, darunter viele Russen. „Die Hauptwerke gibt es oft in zigfachen Übersetzungen“, begründet Verlegerin Sabine Dörlemann ihr  Faible fürs Durchforsten der Klassiker nach weiteren Kostbarkeiten. Bei Bunin war Glück im Spiel, denn dass der Verlag vor 13 Jahren überhaupt an den Start ging, hatte auch damit zu tun, dass Swetlana Geier, die „Grande Dame“ der russisch-deutschen Kulturvermittlung, Dörlemann zum Einstand die Übersetzung Bunins ins Deutsche schenkte. Der zweite Glücksfall war, dass die bekannte Literaturkritikerin Elke Heidenreich von Bunin in ihrer TV-Sendung „Lesen!“ in höchsten Tönen schwärmte, was die Verkaufszahlen in ungeahnte Höhen trieb. Ein gleichsam dreifaches Glück: Für den Dörlemann Verlag, für Bunin als Romancier und für die russischen Klassiker, denn „Ein unbekannter Freund“ war nur der Anfang. Bei Dörlemann folgten „Verfluchte Tage, Ein Revolutionstagebuch“, „Der Sonnentempel“, „Am Ursprung der Tage“ und die beiden Erzählungen „Das Dorf“ und „Suchodol“. „Bunin ist einfach ein großartiger Autor und mit jedem Band unserer Werkausgabe gewinnen wir mehr Leser für ihn“, betont die Verlegerin. Leise Töne und Einfühlsamkeit begegnen uns in Bunins Werken genauso wie treffende, meist kurzgehaltene Beschreibungen und poetische Reisereportagen, mit Einblicken in andere Kulturen und Landschaften. Als „russischer Proust“ wird er hier bewundert, als „Meister der Stimmungen“ verehrt.

In der Folge hat Dörlemann Tolstois „Familienglück“ und „Hadschi Murat“, Iwan Turgenews Novellen „Faust“ und „Klara Milic“, Dostojewskijs „Aufzeichnungen aus dem Abseits“, Valentin Katajews „Kubik“ und Sigismund Krzyzanowskis „Der Club der Buchstabenmörder“ in ihr Programm aufgenommen. Acht bis zehn Titel im Jahr stemmt der kleine Verlag. Seinen Schwerpunkt hat er allerdings in der englischsprachigen Literatur, aber immer ist eine Neuentdeckung, ein wieder gefundener Klassiker, eine literarische Übersetzung aus dem Russischen, Französischen oder Englischen dabei. Wie Martha Gellhorn oder Louise de Vilmorin, Alice Munro oder Lydia Tschukowskajas „Untertauchen“, ein Buch über den Terror der Stalinzeit, das durch Sensibilität und Poesie besticht.

Auch bei der Gestaltung ihrer Bücher liebt Sabine Dörlemann das Klassisch-zeitlose: Hardcover, Leineneinband, Lesebändchen. Das Innere wird vom Äußeren ergänzt. Ob das in Zeiten von digitalen Büchern noch eine Zukunft hat? „Durchaus“, meint die Verlegerin, „gerade in Zeiten des E-Books ist das Haptische sehr wichtig.“

Von den russischstämmigen Autoren, die auf Deutsch schreiben, ist Sabine Dörlemann begeistert, sie seien „einfach wunderbare Autorinnen“. Sie hat aber nicht vor, sie in ihr Programm aufzunehmen. Auch für die jungen russischen Stimmen gibt es im Augenblick noch keine Pläne, „aber wer weiß, was die Zukunft bringt“. Geplant sind jedenfalls weitere Bände der Bunin-Ausgabe, und weitere Werke Krzyzanowskis könnte sie sich in ihrem Verlag gut vorstellen. Ganz ohne Folgen bleiben die aktuellen politischen Spannungen zwischen der EU und Russland nicht. Die Verlegerin hat den Eindruck, „dass es russische Autoren dadurch etwas schwerer haben“. Umgekehrt bedauert sie, dass das Lizenzgeschäft mit Russland nicht funktioniert: Kein deutsches Buch aus ihrem Verlag hat den Weg in die russischen Buchhandlungen gefunden. Dabei wäre zum Beispiel Jens Steiner, der 2011 mit seinem Roman „Hasenleben“ auf der Long­list für den Deutschen Buchpreis stand, ein guter Kandidat.

Die „russische Entdeckung“ des Verlags in diesem Jahr heißt Evgenij Vodolazkin, ein Literaturwissenschaftler aus St. Petersburg, der mehrere Jahre in Deutschland verbrachte. Sein Buch „Laurus“ (siehe hier unsere Rezension), mittlerweile in 17 Ländern erschienen, beschreibt das mittelalterliche Russland und den Weg eines Mannes, der nach Vergebung sucht und dabei mehrere Prüfungen bestehen muss. „Besonders die Aufhebung der Zeiten und die Beschreibung einer großen Reise“, haben die Verlegerin fasziniert und sie dazu bewegt, das Buch von Olga Radetzkaja übersetzen zu lassen. Es bleibt dem Verlag zu wünschen, die Leser weiterhin mit interessanten Entdeckungen zu überraschen.

Irina Kilimnik

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