Neue Wege übers Land: Russische Megaprojekte im Verkehr

Bei der bevorstehenden Fußball-WM will sich Russland von seiner besten Seite zeigen. Vor allem die Spielorte werden derzeit regelrecht runderneuert. Aber das ist nur eine von vielen Infrastrukturmaßnahmen, die sich das Land leistet und die anders als früher nicht an Großveranstaltungen gebunden sind. Die MDZ wirft einen Blick auf einige der Megaprojekte im Verkehrswesen.

So sah der zentrale Teil der Krim-Brücke im Dezember 2017 aus. Jetzt soll bald Übergabe sein. © RIA Novosti

Fast wären es die Deutschen gewesen, die eine Brücke über die Straße von Kertsch gebaut hätten, und zwar schon vor 75 Jahren. Mitten im Krieg sollten so von der deutsch besetzten Krim Waffen gen Kaukasus transportiert werden. Doch nachdem mit dem Bau bereits begonnen worden war, ging die Initiative an der Ostfront vollständig auf die Rote Armee über, und eine angefangene Brücke war fortan das geringste Problem einer Armee auf dem Rückzug.

Ein Jahr später, im Herbst 1944, war der Brückenschlag über die Meerenge, die Schwarzes und Asowsches Meer miteinander verbindet, dann doch vollbracht, diesmal von sowjetischen Ingenieuren. Doch lange hatte die neue Eisenbahnverbindung nicht Bestand. Im Frühjahr 1945 von Treibeis beschädigt, wurde sie vorsorglich demontiert und anschließend nicht wieder aufgebaut. Stattdessen öffnete 1954 eine Fährverbindung, die noch heute existiert und seit dem Krim-Anschluss an Russland 2014 so einige Belastungsproben auszuhalten hatte.

Krim-Brücke der Superlative

Seit 2016 wird nun nebenan verwirklicht, wozu sich die Ukraine und Russland in postsowjetischer Zeit trotz diverser Gedankenspiele nicht durchringen konnten, als man noch gutnachbarliche Beziehungen unterhielt eine kombinierte Auto- und Eisenbahnbrücke. Sie soll den Reise- und Güterverkehr mit der Krim intensivieren, für steigende Urlauberzahlen und sinkende Warenpreise auf der Halbinsel sorgen. Mit 19 Kilometern Gesamtlänge  markiert die Brücke einen neuen Europarekord, den bisher die Ponte Vasco da Gama über den Tejo in Portugal hält (17,2 Kilometer). Eröffnung sollte Ende dieses Jahres sein. Doch als Mitte März Wladimir Putin die Baustelle inspizierte und sinnierte, es wäre doch schön, wenn man schon zur Sommersaison von einer Seite auf die andere rollen könnte, wurde als neuer Termin der Mai ins Auge gefasst. Und da im Selbstverständnis der Russen solche Ereignisse mit einem symbolträchtigen Datum verbunden sein müssen, ist davon auszugehen, dass an den 9. Mai gedacht ist, den Tag, an dem Russland das Ende des Zweiten Weltkriegs begeht. Tausende Arbeiter werden also noch mal eine Schippe drauflegen müssen. Wobei: Freigegeben wird die Brücke zunächst nur für Pkw und Busse. Lkw sollen sie ab Herbst passieren können, Züge ab 2019.

Aus ukrainischer Sicht stellt das ganze Vorhaben eine Grenzverletzung dar, weil Kiew die Krim weiterhin als sein Staatsgebiet betrachtet. Alle beteiligten Baufirmen wurden bereits 2016 mit US-Sanktionen belegt. Die haben jedoch zumindest diesen Bau nicht aufhalten können. Auf der Krim-Seite schließt sich daran sogar ein weiteres Großprojekt an: Die neue Schnellstraße „Tawrida“ soll bereits in diesem Jahr auf 250 Kilometern einmal durch die gesamte Krim führen – von Kertsch über Simferopol bis nach Sewastopol. Etwa die Hälfte der Strecke wird komplett neu gebaut, die andere Hälfte rekonstruiert. Die Fertigstellung ist für Ende 2018 geplant.

Gleichzeitig entsteht auf der russischen Festlandseite ein neuer Hafen namens Taman. Zusammen mit seinen Straßen- und Schienenanschlüssen lässt ihn sich Russland stolze 200 Milliarden Rubel kosten, umgerechnet rund 2,5 Milliarden Euro, was in etwa den Kosten der Krim-Brücke entspricht. Ein Viertel der Summe soll aus dem Staatshaushalt kommen.

Flughafen-Upgrade nicht nur zur WM

Das mit Abstand grandioseste zusammenhängende Infrastrukturprojekt sind derzeit natürlich die Baumaßnahmen im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft. Damit knüpft Russland an frühere Groß­ereignisse an, die in Wladiwostok (APEC-Gipfel 2012), Kasan (Weltstudentenspiele 2013) und vor allem in Sotschi (Olympische Winterspiele 2014) einen Stadtentwicklungsschub sondergleichen bewirkt haben.

Für die Fußball-WM wurden nun allein sechs neue Stadien aus dem Boden gestampft und weitere drei aufwändig umgebaut. In den elf Ausrichterstädten bekamen die Flughäfen neue Terminals – mit Ausnahme des bereits vor Olympia grundlegend um- und ausgebauten Flughafens von Sotschi. In der WM-Stadt Rostow am Don wurde sogar erstmals seit Sowjet­zeiten wieder ein Flughafen von Null angelegt. Er heißt Platow und ist als wichtiges Drehkreuz in Südrussland gedacht.

Der nagelneue Flughafen Platow in Rostow am Don. © Flughafen Platow bei VKontakte

Das heißt allerdings nicht, dass sich nicht auch auf anderen Flughäfen an der Peripherie des Fußballrummels und losgelöst von Großveranstaltungen viel getan hätte. Zu besichtigen ist das unter anderem in Krasnojarsk, Perm, Krasnodar und Anapa. Zuletzt wurde am 16. April in Simferopol auf der Krim ein modernes Flughafenterminal eingeweiht, nach nur 22 Monaten Bauzeit und dem Vernehmen nach ohne Subventionen aus Moskau. Die Fassade ist vom Wellengang im Schwarzen Meer inspiriert und innen eine der Wände großflächig von grünen Pflanzen bedeckt. Auch Bereiche für die Abfertigung von Auslandsflügen sind vorgesehen, bisher aber noch verwaist: In Simferopol starten und landen ausschließlich Maschinen aus Russland.

Wie Ende vorigen Jahres die „Iswestija“ berichtete, hat die russische Regierung die Antimonopolbehörde aufgefordert, dem Flughafen nach seiner Runderneuerung Tariferhöhungen für die Fluggesellschaften in einer Größenordnung zu gestatten, die es den Investoren erlauben, ihre Kosten innerhalb von nur vier Jahren wieder einzuspielen. Die Internetzeitung „EurAsia Daily“ bezeichnet Simferopol wegen der drastisch gestiegenen Gebühren als aus Sicht der Fluggesellschaften russlandweit teuersten Flughafen und äußert die Befürchtung, dass sich das auf die Ticketpreise auswirken werde. Zumindest im Moment bewegen die sich noch auf günstigen Niveau und beginnen bei zwei Wochen Vorlauf für die Zeit rund um den 9. Mai bei ca. 50 Euro für den Flug von Moskau auf die Krim (2,5 Stunden).

Bahn arbeitet an Zukunftsfähigkeit

Von gewaltigen Dimensionen ist die 2014 begonnene Rekonstruktion von Russlands berühmtesten Eisenbahnstrecken: der Baikal-Amur-Magistrale und der Transsibirischen Eisenbahn. Umgerechnet etwa sieben Milliarden Euro fließen unter anderem in 500 Kilometer Zweitgleis, 350 Kilometer Oberleitung,  90 Bahnstationen und 85 Brücken. Ein Kernstück des Projekts ist der Bau eines zweiten, 6682 Meter langen Bahntunnels durch das Baikalgebirge, parallel zum ersten, 1985 eröffneten Tunnel, der sich zunehmend als Nadelöhr auf der BAM erwiesen hat. Der Durchstich des neuen Tunnels erfolgte Anfang März. Im kommenden Jahr sollen dort die ersten Züge rollen.

Noch im Stadium von Gutachten und Genehmigungen befindet sich das ehrgeizige Projekt für Russlands erste Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke von Moskau nach Kasan (770 Kilometer). Zuletzt war es darum relativ ruhig geworden, Experten wie der namhafte Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew legten sich sogar darauf fest, sie werde überhaupt nicht gebaut. In anderen Verlautbarungen hieß es, statt bis nach Kasan werde die Strecke aus Kostengründen zunächst nur bis Wladimir für den Hochgeschwindigkeitsverkehr aufgerüstet (eine Stunde Fahrzeit statt heute mindestens 1:40 Stunden) – dann werde man weitersehen. Doch die entsprechenden Behörden versichern periodisch: Nächstes Jahr erfolgt der erste Spatenstich. Von einem verkürzten Streckenverlauf ist zumindest explizit und definitiv keine Rede.

Ambitioniert sind auch zahlreiche langfristig angelegte Straßenbauprojekte in ganz Russland, darunter in bisher schwer zugänglichen Regionen im Norden. So soll Anadyr, die Hauptstadt von Tschukotka im äußersten Nord­osten Russland, mit einer 1880 Kilometer langen Trasse ans innerrussische Straßennetz angeschlossen werden. Andere bemerkenswerte Vorhaben sind die geplante Straße Syktywkar  – Narjan-Mar (1400 Kilometer) und Sibiriens erste Schnellstraße zwischen Kemerowo und Nowokusnezk. Die neue Mautautobahn M-11 von Moskau nach St. Petersburg soll noch dieses Jahr fertig werden, allerdings nicht wie ursprünglich geplant bis zur Fußball-WM im Sommer, sondern erst im Spätherbst. Derweil nimmt rund um Moskau bereits die nächste breite Schneise Konturen an: Sie gehört zur sogenannten Zentralen Ringautobahn, einer 520 Kilometer langen Umgehungsstraße weit vor den Toren der Stadt. Ein erstes Teilstück von 50 Kilometern soll bis Ende des Jahres in Betrieb genommen werden.

Apropos Moskau: Hier setzen das Programm „Meine Straße“ und der Ausbau der Metro ihre eigenen Maßstäbe. Ende 2017 wurde zudem beschlossen, mehrere S-Bahn-Linien quer durch die Stadt zu verlegen und so bestimmte Vororte schneller zu verlinken,ohne dass man in Moskau umsteigen und den Bahnhof wechseln müsste. Geschätzte Kosten: rund 750 Millionen Euro.

Tino Künzel

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