Die hellsten Sterne am russischen Blogger-Himmel

Ob Beauty-Tipps, Politik-Kritik oder Kinderprogramm: Die MDZ-Redaktion stellt Ihnen die beliebtesten Video-Blogger und Video-Bloggerinnen in Russland vor.

Peggy Lohse

Peggy Lohse

Sasha Spilberg 

5 Mio. Abonnenten 

Ein seltenes Bild: Da steht ein neunzehnjähriges Mädchen am Pult der russischen Staatsduma und liest eine kurze Rede, aber prägnante Rede von ihrem Smartphone ab. Sasha Spilberg, im richtigen Leben Alexandra Balkowskaja, ist Video-Bloggerin. Ihr russischer YouTube-Kanal hat bereits über fünf Millionen Follower und einen englischsprachigen gibt es auch schon. Laut einem Ranking des russischen Forbes-Magazins gehört sie damit zur Top 10 der russischen Clip-Bloggerszene.

Ihre Hauptzielgruppe sind Jugendliche: Sie gibt sich mal hip in bunten Kleidchen, mal hop in lockeren Freizeitpullis. Sie spricht flapsig und macht ganz nebenbei ganz cool Werbung für allerlei Kosmetik und modische Accessoires. Aber was hat diese junge Dame vor dem Parlament verloren? Sie sagt, dass sie sich nicht mit Politik auskenne und Jugendpolitik nie selbst „gespürt“ habe. Dann aber gibt sie den Politikern vor sich Tipps: Ihre Follower seien ja auch wie Wähler und jedes Video eine Art Mini-Wahl. Politiker sollten auch so „transparent“ werden, wie sie es seit sechs Jahren ist: „Drehen Sie ein Video, stellen Sie es bei YouTube online“. Ihre Stärke sei es, dass sie ungefiltert täglich im Leben ihres Publikums präsent sei. Dasselbe empfiehlt sie den Politikern.

Im Kreml twittert ́s wohl

Und diese scheinen das Potential der virtuellen Stars erkannt zu haben: Jedenfalls ist auch schon ein gewollt witziges und augenscheinlich unbearbeitetes Video von Sascha mit Kulturminister Wladimir Medinskij online, wo sie ihm unter anderem die Kamerafunktionen erklärt. Außerdem „erfahren“ wir hier gleich zu Beginn, dass Medinskij nur manchmal Twitter verfolgt, seinen Kindern aber regelmäßig mitteilen muss, wie viele Follower er bei VKontakte hat.


Tino Künzel

Tino Künzel

Anatolij Scharij

1,1 Mio. Abonnenten

In den YouTube-Trends ist Anatolij Scharij mit seinen Videos zuverlässig weit oben vertreten – irgendwo zwischen „Tiere, die Menschen retten“ und „10 gruselige Trickfilme aus Sowjetzeiten“. Nicht schlecht für einen Politblogger.

Und Scharij verlangt seinen Zuschauern einiges ab. Alles, was die zu sehen bekommen, ist der Blogger selbst, wie er vor einer Wand sitzt und Einspielszenen kommentiert – meist Ausschnitte aus dem ukrainischen Fernsehen, manchmal auch aus dem russischen oder aus anderen Videos. Keine Musik, keine Effekthascherei. Sein Publikum hat er trotzdem gefunden. In den drei Jahren, die der Blog existiert, wurden die Videos – meist mehrere am Tag – fast 1,5 Milliarden Mal angeklickt.

Scharij, 38, ist ein ukrainischer Journalist. Weil in der Ukraine zwei Strafverfahren gegen ihn laufen, flüchtete er 2012 und bekam Asyl. Er lebt nach eigener Aussage „in einem europäischen Land“, ohne es zu nennen. Zuletzt filmte er sich in Paris.

Thema der Videos ist Journalismus, der Gesinnung über Professionalität stellt und sich damit jämmerlich blamiert, wenn man nur genau hinhört. Thema ist auch die Politik mit ihren großen und kleinen Lügen im Dienste der „richtigen Sache“. Spöttisch im Tonfall und kernig in der Wortwahl, nimmt Scharij aufs Korn, was speziell das ukrainische Fernsehen an Dummenfang versendet, zieht aber auch russische Propaganda durch den Kakao.

Und selbst Kremlkritiker Alexej Nawalnyj wird nicht verschont: theatralisch, manipulativ, unglaubwürdig – nur Halbwüchsige könnten so etwas so kritiklos schlucken, so Scharij. Nawalnyj keilte unreflektiert zurück: „Der arbeitet zweifellos für den Kreml.“ Aber das hat den ukrainischen Blogger aus Europa nur noch interessanter gemacht.

Alexej Nawalnyj vor Gericht: Worum geht es diesmal?


Corinna Anton

Corinna Anton

Miss Katy und Mister Max

zusammen 8,7 Mio. Abonnenten

Spielzeug, Süßigkeiten, Zahnlücken und den Kopf voller Flausen – damit haben Miss Katy und Mister Max ein Millionenpublikum erobert, bevor sie wussten, wie man Blogger oder sonst irgendwas überhaupt schreibt. Die russisch-sprachigen Geschwister aus Odessa, beziehungsweise deren Eltern, begannen ihre YouTube-Karriere im Jahr 2014. Man kann Katy und Max, beide im Vorschulalter, dabei zusehen, wie sie Schokolade und Gummibärchen kaufen, durch die Spielwarenabteilung eines Einkaufszentrums laufen oder sich gelben Schleim in die Nase stopfen. Sie feiern Geburtstag in einem Zimmer voller Luftballons und besuchen Disneyland.

Der Vater macht den größten Quatsch meistens mit, eine Handlung gibt es in den etwa zehn bis 15 Minuten langen Filmchen kaum. Dafür jede Menge Ideen für Lausbubenstreiche. Die einzelnen Videos werden drei bis 30 Millionen Mal, manche über 60 Millionen Mal aufgerufen. Über vier Millionen Menschen haben den Kanal von Mister Max abonniert. Fünf- bis sechsstellige Dollarbeträge sollen die Kinder durch Werbeeinnahmen damit angeblich im Monat verdienen.

Hier fährt die ganze Familie beispielsweise mit dem Zug von Amsterdam nach Deutschland:

Und das Erfolgsgeheimnis? Technisch sind die Videos nicht besonders aufwendig gemacht. „Masse statt Klasse“ trifft es wohl eher: Bis zu zwei kurze Filme pro Tag werden hochgeladen. Und die Zielgruppe kennen Max und Katy offenbar auch ziemlich gut. Denn was wollen Kinder lieber sehen als Spielzeug, Süßigkeiten und jede Menge Quatsch zum Nachmachen?


Katharina Lindt

Katharina Lindt

Sergej Druschko

2,8 Mio. Abonnenten

Man nennt ihn den König des Meme in Russland: Sergej Druschko. Er ist Schauspieler, Fernseh-Moderator und jetzt auch noch YouTube- Blogger mit über zwei Millionen Abonnenten. Zwischen 2005 und 2008 führte er die Kultsendung „Nicht zu erklären, aber Fakt!“ (Ne objasnimo, no fakt!), die von Ufos, Außerirdischen und allerlei anderen obstrusen Verschwörungstheorien handelte.

Doch die Sendung ist nicht in Vergessenheit geraten. Die Sprüche haben überlebt. Sie frönen ihr Dasein als Meme im World Wide Web. Dieses allgegenwärtige Wort, das virale Internetphänomene bezeichnet, entstand zu einem Zeitpunkt, da war das Internet im herkömmlichen Sinne noch nicht einmal erfunden. Es geht auf den Evolutionsbiologen Richard Dawkins zurück, der 1976 die Wortschöpfung „Mem“ als Gegenstück zum biologischen Gen kreiert hat. Es bezeichnet einen kulturellen Gegenstand, der in der Kommunikation von Mensch zu Mensch verbreitet wird. Dabei griff Dawkins auf das altgriechische Wort „mime- ma“ zurück, das imitieren bedeutet.

Imitiert und parodiert wird heute alles, was Relevanz hat. Wie im Westen werden auch in Russland Memes als politische und gesellschaftliche Satire verwendet. Im digitalen Zeitalter verbreiten sich Internet-Witze rasant. Was heute in ist, kann morgen schon veraltet sein. Einer, der es wissen sollte, ist eben Druschko. In seiner TV- Show gibt es unter anderem die Rubrik „Meme-Börse“, bei der ein Co-Moderator Anlegern den hei- ßen Tipp gibt, auf welche Memes man am besten setzen sollte. Die „Druzhko Show!“ ist nicht nur ein witziger Zeitvertreib. Sie ist eine Metasendung schlechthin. Sie reflektiert auf ironische Weise die zeitgenössische Internetkultur.

Krise der Printmedien: Man sieht sich im Internet


Anastassija Buschujewa

Anastassija Buschujewa

Nastja Iwlejewa

4,1 Mio. Follower

Diese Blogger-Dame ist mit Mini- Videos berühmt geworden, den sogenannten Vines: Sie stellt witzige Clips mit einer Länge von etwa einer Minute bei Instagram online. Im Unterschied zu langen YouTube-Beiträgen bringen diese Clips blitzschnell ihre Idee an den Zuschauer. Sie richten sich an diejenigen, die gerade einmal vierzig Sekunden frei haben und nur ein bisschen lachen wollen.

Iwlejewa nimmt alltägliche Stereotype aufs Korn: Mädchen beim Shoppen, beim ersten Date, der ersten Trennung oder auch Jungs in der Disco. In literaturwissenschaftlichen Fachbegriffen wäre das wohl Verallgemeinerung und Typisierung. Das Publikum erkennt sich selbst wieder – ob in Szenen mit der Mutter oder dem Englisch-Lehrer, beim Diäthalten oder Bewerbungsgespräch. Bekannte können in den Kommentaren markiert werden. Und so gehen die Clips wie ein Lauffeuer um die Welt. Mittlerweile hat das „Agentgirl“ schon eine eigene TV-Sendung.

Aber was ist so toll daran? Die übertriebene und teils harte Ironie mit sich selbst und der Umgebung. Sehen Sie selbst:

Fall 1: Jedes Mädchen braucht eine „hässliche Freundin“ fürs erste Date:

https://www.instagram.com/p/BTG8ZgJjQb2/?taken-by=_agentgirl_

Fall 2: Wie werde ich eine gute Video-Bloggerin?

https://www.instagram.com/p/BUHe-IOjHoZ/?taken-by=_agentgirl_


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