Prognosen 2017: Ende der Talfahrt?

Zu Jahresbeginn sind sich die Experten einig: Nach fast drei Jahren Rezession soll in diesem Jahr alles anders werden. Dabei stehen die Zeichen durchweg auf Stabilisierung. Doch lässt sich dies so einfach voraussagen? Chancen und Risiken im Überblick.

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Die Skyline von Moskwa-City: Nach dem Businesszentrum Oruschejnyj am Gartenring ist der hier gelegene 255 Meter hohe Wolkenkratzer Evolution die größte Büroimmobilie der Stadt / Foto: Mikhail Serbin

Der plötzliche Ölpreis-Anstieg nach dem Wiener OPEC-Gipfel Ende November führte nicht nur zu Freudensprüngen unter den weltweit größten Ölexporteuren. Er bewies außerdem, dass der Markt seine Reaktionsschnelle nicht verloren hat. Ganze acht Jahre ist es her, seitdem das Kartell zuletzt eine Förderkürzung beschloss. Dabei dürfte der Ölpreis auch die Gemüter der russischen Wirtschaftselite beruhigt haben, als er infolge der um 1,2 Millionen Barrel (je 159 Liter) gekürzten Fördermenge um über zehn Prozent in die Höhe schoss.

Ölpreis gut, alles gut?

Wenn da mal nicht die Zentralbankvorsitzende, Elwira Nabiullina, Anfang Dezember vor den Staatsduma-Parlamentariern den Finger gehoben hätte: „Der Ölpreisanstieg nach der OPEC-Förderkürzung kann, laut unseren Berechnungen, nicht sämtliche internen Probleme unserer Wirtschaft lösen“, erklärte sie. So einfach ist es also nicht, obwohl Russlands Glück im neuen Jahr allein vom Ölpreis abzuhängen scheint. Dies beweist das Basisszenario der Zentralbank für die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten drei Jahre. Dabei gehen die Spitzenanalytiker des Landes von ohnehin schon konservativen 40 US-Dollar pro Fass aus.  Das Risikoszenario basiert gar auf 25, das optimistischste gründet auf 46 US-Dollar für das Barrel. „Der schwankende Ölpreis ist und bleibt das Hauptrisiko für die russische Wirtschaft“, wie Nabiullina erklärt. Dies begründet sie – trotz der zahlreichen Regierungsinitiativen seit Krisenbeginn 2014 – nach wie vor mit der mangelnden Diversifizierung der heimischen Wirtschaft.

Chance: Inflation auf Rekordtief

„Die Wirtschaft leidet nach wie vor unter der Krise – mit wenigen Ausnahmen wie beispielsweise in der weiterverarbeitenden Industrie sowie der Landwirtschaft“, erklärt Stanislaw Tkatschenko, Professor für Wirtschaft und Diplomatie an der Staatlichen Universität St. Petersburg. Von einer kompletten Erholung sei man zwar noch entfernt – jedoch stehe Russland an der Schwelle zur Stabilisierung. Dies bekräftigte sogar die sonst eher konservative Zentralbankchefin Nabiullina mit dem aktuellen Inflations-Rekordtief, der fallenden Dollarisierung des Staatshaushalts und den sinkenden Anteilen von Unternehmen am Bankensystem. „Der Rubel hat sich in diesem Jahr zwar als weniger volatil erwiesen als der Ölpreis – wir haben jedoch noch einen weiten Weg vor uns“, so Nabiullina.

Auch Tkatschenko ist zu Jahresende optimistisch gestimmt: „Nach drei Krisenjahren gibt es eine Vielzahl konkreter Indikatoren, etwa der Rekord an ausländischen Direktinvestitionen in den letzten Monaten, die diese Tendenz verdeutlichen.“ Im Jahr 2017 rechnet der Experte mit einem neuen Investitionsrekord, der die russische Wirtschaft endgültig aus ihrem Winterschlaf wachrütteln könnte. Dabei setzte bereits im Jahr 2016 eine allmähliche Stabilisierung ein. Lag das BIP laut Rosstat im ersten Quartal des zu Ende gehenden Jahres noch bei minus 1,2 Prozent, so waren es im zweiten Quartal nur noch etwa die Hälfte. Insgesamt rechnen Experten mit einem Minus von 0,5 bis 0,8 Prozent.

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Risiko: die Gefahr externer Schocks

Die Prognose der Zentralbank variiert hingegen mit 0,5 bis 1,0 Prozent Wachstum. Im Vergleich zu den 1,2 Prozent der Sberbank und den 1,5 Prozent der Weltbank wirkt sie geradezu pessimistisch (siehe Tabelle). Doch kann man den  ganzen Prognosen überhaupt trauen? „Die Entwicklung der russischen Wirtschaft ist nur schwer vorhersehbar. Das liegt teilweise an der Korruption, die nach wie vor ein Problem ist. Aber auch an externen Schocks, wie zum Beispiel durch die seit fast drei Jahren anhaltende Sanktionsspirale“, so Tkatschenko. Dazu gehöre auch ein Szenario wie 2008, als die in den USA geplatzte Immobilienblase die Weltwirtschaft in eine Krise stürzte, wie der Experte erklärt. „Es besteht immer das Risiko eines externen Schocks. Das liegt auch daran, dass der Ölpreis aufgrund von mangelnder Diversifizierung nach wie vor den Takt angibt.“ 

Auf die Sanktionen habe sich die Regierung nach fast drei Jahren hingegen eingestellt. Ihre Politik der Importsubstitution ermögliche ihr laut dem Experten nicht nur das Überleben, sondern gar eine Entwicklung. Für Russland sei aktuell die Eurasische Wirtschaftsunion das wichtigste Element der Außen- und Sicherheitspolitik, auf globaler Ebene spielen die BRICS eine übergeordnete Rolle. Jedoch ist man – trotz fast dreijähriger Sanktionsperiode – nach wie vor an einer engen Zusammenarbeit mit der EU interessiert.

Chance: Schwenk nach Asien

Nach der Krise begann man sich sogar noch intensiver um neue Handelspartner in Asien zu bemühen – in diesem Sinne kann die Zeit nach der ersten Sanktionsrunde als Schwenk nach Asien charakterisiert werden. Gerade in diesem Monat erst wurden mit Japan neue Deals unterzeichnet. Doch auch die verstärkte Kooperation mit China seit 2014 ist zu erwähnen. Seit Oktober besteht zudem eine Freihandelszone zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und Vietnam. Laut Tkatschenko sei außerdem damit rechnen, dass die russische Regierung nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2017 verstärkt mit Südkorea kooperieren wird, was sich bereits in Wladiwostok andeutete. Es bestehen historisch gute Beziehungen Russlands zu Südkorea.

Rosneft-Privatisierung: böse Korruption?

Laut Tkatschenko kehre die russische Regierung nach über zehn Jahren zu einer verstärkten Privatisierungspolitik zurück, was er durchaus positiv sehe. So werde die Effektivität der Wirtschaft insgesamt erhöht. Die Regierung verkaufe dabei „genau die Unternehmen, die aufgrund von Korruption oder mangelnder Erfahrung ineffektiv seien.“ Trotz schwerwiegender Korruptionsfälle um den ehemaligen Chef der Antikorruptionsbehörde, Dmitrij Sachartschenko, und den ehemaligen Wirtschaftsminister, Alexej Uljukajew, betreibe die russische Regierung eine insgesamt erfolgreiche Antikorruptionspolitik in Moskau, den Regionen sowie auf Unternehmensebene. Dies werde die Attraktivität der russischen Wirtschaft für Investoren in den kommenden Jahren noch weiter erhöhen, so Tkatschenko.

Von Christopher Braemer

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