„Bloß keine Matrjoschkas!“

Im September findet die wichtigste Textilmesse der Welt, die „Première Vision“, statt. Als einziger Aussteller aus Russland nimmt das Unternehmen „Solstudio“ teil. Dessen Textilprints sind so begehrt, dass sie es in die Kollektionen der führenden Modehäuser Europas geschafft haben.

Ein gutes Gespür  für Farbe und Technik: Das Design von „Solstudio“ ist auf der ganzen Welt gefragt. /Foto: Solstudio.

Die Eigentümerin des Textilimperiums „Solstudio“ ist eine schlanke Blondine, die weiß, was sie will. Gleich nach dem Studium gründete Alexandra Kaloschina eine Werbeagentur. Später heiratete sie einen Italiener und entschied sich fortan, Geschäfte in zwei Ländern zu machen: Russland und Italien. Am zukunftsträchtigsten erschien ihr der Handel mit Textilien zu sein. Ein unternehmerischer Riecher, denn in den 90er Jahren herrschte in Russland Aufholbedarf in Sachen Mode. Also wurde sie Leiterin der italienischen Gruppe Ratti, die Textilien für Dior und Yves Saint Laurent herstellt, und des belgischen Unternehmens Scabal in Russland.

Von Erfolg war die Unternehmung nicht gekrönt, denn die Geschäfte im Luxussegment liefen schlecht. Doch Kaloschina ließ sich nicht beirren und machte weiter. „Ich habe von Modeschöpfern oft gehört, dass das Design auf Textilien entweder misslungen positioniert oder nicht für Schnittmuster geeignet sei. Also entschied ich mich, das zu ändern“, erzählt die Mitvierzigerin heute. Dazu wählte sie einen radikalen Schritt. Sie gründete ihr eigenes Studio für Textildesign. Und das ganz ohne Fremdkapital.

„Ein Journalist verwandelt Bilder in Worte, ein Designer visualisiert Bilder.“

Heute verkauft „Solstudio“ seine Ideen in 30 Ländern. Doch wie kommt es, dass eine Frau mit einer journalistischen Ausbildung gelernt hat, sich in Design-Dingen auszukennen? Verblüffend sei das nicht, meint Kaloschina. „Ein Journalist verwandelt Bilder in Worte, ein Designer visualisiert Bilder.“ Beides sei eine schöpferische Arbeit. „Aber der Erfolg in diesem Bereich besteht nur zu 30 Prozent aus Intuition, zu 70 Prozent dagegen aus Analyse dessen, was in der Welt passiert“, verrät die Unternehmerin. Dafür verbringt sie fast jede Nacht vor dem Laptop und schaut sich Auktionskataloge, Ausstellungen zeitgenössischer Künstler und die ganz gewöhnliche Werbung von Autos bis Zigaretten an. „Es ist wichtig, zu wissen, was den Konsumenten gefällt und was sie kaufen möchten.“

 

Alexandra Kaloschina (Mitte) und ihr kreatives Team. Foto: Solstudio.

Was den Kunden gefällt, zeigt das Studio regelmäßig auf internationalen Messen, wo es ein gern gesehener Gast ist. Vor solchen wichtigen Ereignissen schließt das Büro für zwei Wochen, nimmt keine Bestellungen mehr auf, und beginnt mit dem Brainstorming. Für die wichtigste Textilmesse, die Première Vision, müssen an die 400 Zeichnungen entworfen werden. Sie zeigen das, was in der nächsten Saison Trend sein wird. Bei der Herbst- und Winterkollektion 2018/2019 setzt Kaloschina auf Lifestyle-Geschichten, die in den sozialen Netzwerken wie Instagram millionenfach in Posts erzählt werden.

Solstudio – ein Labor des Textidesigns

Hinter den originellen Ideen steht ein Team aus jungen Künstlern, die nicht nur gut zeichnen können, sondern sich auch perfekt in Textilkunde und moderner Technik auskennen. Ausgerüstet mit Pinsel und Farbe werden auf ein weißes Blatt Papier kühn Ideen projiziert. Danach wird das Design digitalisiert, besprochen und verändert, bis das Resultat steht. „Ich bitte meine Mädels, vor dem Computer Fotografien ihrer Freundinnen und Verwandten aufzustellen, damit sie sich ihre Ideen plastisch vorstellen können. Wer wird ein Kleid mit diesem Tuchmuster tragen, für wen kreieren wir es?“, erklärt die Chefin.

Die fertige Idee sieht am Ende recht unspektakulär aus. Es ist eine Computerdatei, die an den Auftraggeber geschickt wird. Der Käufer kann damit anstellen, was er möchte: die Farbe verändern, die Größe und die Anzahl der Elemente.
Die Prints, die eine Auszeichnung erhalten haben, behält Kaloschina jedoch für ihr zweites Projekt, das „Radical Chic“ heißt – eine Marke für Accessoires. Den Namen hat sie von der italienischen Modebewegung der 70er Jahre entliehen. Damals sorgte die Jugend in Rom und Mailand für Furore, als sie teure Dior-Kostüme mit abgewetzten Turnschuhen kombinierte.

Maschinen diktieren Mode

Kein Folklore-Kitsch: Die Kopftücher der Marke „Radical Chic“ stehen für das moderne Russland. / Foto: Solstudio

Dieses Spiel mit der Ironie findet sich auf den Kopftüchern wieder: Ölraffinerien, die ins bunte Farbspiel überlaufen oder Balletttänzerinnen, die in den Kosmos entschwinden. „Wir beziehen uns auf unsere nationalen Wurzeln. Aber bloß keine Matrjoschkas! Wir bilden das moderne Russland ab“, macht Kaloschina deutlich. Das Design ihrer Tücher habe mit der Folklore traditioneller Kopftücher aus Pawloposad, die jeder Tourist kennt, wenn er Moskau besucht, nichts gemein.

Selbst das Material kommt nicht aus den eigenen Gefilden, sondern aus Italien, wo die edlen Stoffe bedruckt werden. Bereits zwei Boutiquen hat die Unternehmerin in Moskau eröffnet. Zudem beliefert sie die zentralen Einkaufhäuser der Hauptstadt, GUM und ZUM. „In Russland beginnt das Textildesign sich erst zu entwickeln. Und wir versuchen, diesen Prozess qualitativ zu begleiten“, sagt Koloschina. Denn was heute Trend sei, diktieren nicht Modehäuser, sondern Maschinen, die die Mode herstellen. „Es hängt von den Möglichkeiten der Technik ab, was wir heute kreieren können.“

Ljubawa Winokurowa

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