„Russland ist meine Heimat“: Rilke-Ausstellung in Moskau

Obwohl der Dichter Rainer Maria Rilke nur zwei Mal Russland bereist hat, prägte ihn das Land ein Leben lang. Eine Wanderausstellung dokumentiert den wohl intensivsten Kulturkontakt zwischen Deutschland, der Schweiz und Russland.

Birken und Zitate: Die Ausstellung „Rilke und Russland“ wurde mit dem German Design Award ausgezeichnet. /Foto: Peggy Lohse.

Es war das Glockenläuten der Stadt mit den goldenen Kuppeln, das Rainer Maria Rilke im Innersten erweckte. Das Schlüsselerlebnis geschah beim Osterfest im Kreml. Er war von der Religiosität des Volkes so berührt, dass sie Eingang in seine Dichtung fand.

Insgesamt zweimal, 1899 und 1900, bereiste der Dichter mit seiner Geliebten Lou Andreas-Salomé Russland. Ihre Reise führte sie durch die Ukraine, nach Moskau und Sankt Petersburg und die Wolga hinauf. Durch Andreas-Salomé lernte Rilke Russland kennen. Die Schriftstellerin und Psychoanalytikerin stammte aus einer russisch-deutschen Familie und war mit der russischen Intelligenzija vertraut. Sie stellte den Dichter auch ihrem Lieblingsschriftsteller Lew Tolstoj vor und machte Rilke mit dem Maler Leonid Pasternak bekannt. „Dass Russland meine Heimat ist, gehört zu jenen großen und geheimnisvollen Sicherheiten, aus denen ich lebe“, schrieb Rilke nach der Pilgerfahrt.

Erstmals wird der Briefwechsel zwischen Rilke und Zwetajewa  im Original ausgestellt. /Foto: Peggy Lohse.

Doch wie kam es, dass Rilke eine innige Beziehung zu Russland hegte? Aufschluss gibt eine Wanderausstellung „Rilke und Russland“, an der das Deutsche Literaturarchiv Marbach, das Schweizerische Literaturarchiv in Bern, das Strauhof Zürich und das Staatliche Literaturmuseum in Moskau beteiligt sind. Gezeigt werden rund 280 Exponate, darunter Ikonen aus Rilkes eigenem Besitz und ein Gemälde von Leonid Pasternak, Rilkes Bücher, Notizen und Manuskripte und Fotos. Außerdem präsentiert die Ausstellung die intensive Korrespondenz, die Rilke mit russischen Persönlichkeiten wie Spiridon Droschin, Leonid und Boris Pasternak und Marina Zwetajewa führte.

Russlandbild im Wandel

In diesen Briefen kann man lesen, wie Rilke Russland zeitlebens dankbar war. „Es hat mich zu dem gemacht, was ich bin, von dort ging ich innerlich aus, alle Heimat meines Instinkts, all mein innerer Ursprung ist dort“, schrieb er 1920. Es sind vor allem Begegnungen mit Menschen, die Wolgalandschaft und die orthodoxe Kirchen, die Rilke zur dichterischen Schwärmerei führten.

Zwar bleibe Rilke der schillerndste Vertreter der Russophilie, doch sei er nicht der erste Dichter gewesen, der Russland für sich als Wahl- und Sehnsuchtsort entdeckt hatte. „Es war Paul Fleming, der im 17. Jahrhundert nach einer Russland-Reise die ersten Verse verfasst hat“, stellt Thomas Schmidt, künstlerischer Leiter der Ausstellung, fest. Das deutsche Russlandbild war schon immer ambivalent. War es im Zeitalter der Aufklärung schärfer und nuancenreicher, so wurde im 19. Jahrhundert Russland zu einem Land der Zukunft und Erwartung, sagt Schmidt.

Thomas Schmidt, künstlerischer Leiter der Ausstellung „Rilke und Russland“. Im Hintergrund zu sehen, ist Rilkes Porträt, gemalt von Leonid Pasternak. /Foto: Peggy Lohse.

Schließlich erreichte die Russlandbegeisterung um die Jahrhundertwende ihren Zenit. Russland übte auf viele Europäer eine große Anziehung, denn sie verbanden etwas Ursprüngliches mit diesem Land. Es war „ein Sehnsuchts- und Hoffnungsraum wie zur gleichen Zeit die Südsee-Inseln, wie das antike Griechenland und Italien in der Goethezeit oder das Mittelalter und Indien in der Romantik.“

Verantwortlich für die Hoffnungsprojektion sei Nietzsche gewesen. Russland, so schreibt der Philosoph, sei „die einzige Macht, die heute Dauer im Leibe hat, die warten kann, die etwas noch versprechen kann – Russland der Gegensatz-Begriff zu der erbärmlichen Kleinstaaterei und Nervosität.“ Auch Rilke hat Nietzsche gelesen, den Lou Andreas-Salomé ihm nahegebracht hat.

Rastloser Reisender

Boris Pasternak liest Rilkes Neue Gedichte. /Foto:  Literaturmuseum Moskau)

Doch die Bewunderung war gegenseitig. In Rilkes Lyrik konnten die Russen sich selbst betrachten. „Natürlich war sein Russlandbild in vielerlei Hinsicht ideal, aber nicht in dem Sinne, dass er Unzulänglichkeiten, alltäglichen Schwierigkeiten und Nöte nicht bemerkte. Rilke war in der Lage, das Wesen eines großen Landes zu sehen, seinen symbolischen semantischen Kern“, so Dmitrij Bak, Leiter des Staatlichen Literaturmuseums in Moskau.

Rilke war er ein Mann „ohne Land“, so drückte es einst Marina Zwetajewa aus, der in Europa viel reiste und an zahlreichen Orten lebte. Deshalb führt die Ausstellung erstmals Exponate aus internationalen Sammlungen zusammen und zeigt, dass trotz der Entfremdung auf der politischen Ebene auf dem Parkett der Literatur viel Einheit herrscht. „Im Kern ging es uns darum, eine in der deutschen Literaturgeschichte einzigartige Beziehung eines wichtigen Autors der Weltliteratur zu einer anderen Kultur mit ihren Folgen zu zeigen“, kommentiert Schmidt.

Zeitgenössische Perspektiven

Der intensive Kulturkontakt wird zudem aus einer modernen Perspektive betrachtet. Zu sehen und zu lesen sind ein Kurzfilm von Anastassija Alexandrowa, Fotografien der renommierten FAZ-Fotografin Barbara Klemm und des Fotojournalisten Mirko Krizanovic sowie ein Essay der schweizerischen Schriftstellerin und Übersetzerin Ilma Rakusa. Alle vier Künstler folgten auf eigene Weise den Spuren Rainer Maria Rilkes.

Die Ausstellung „Rilke und Russland“ ist bis zum 31. März im staatlichen Literaturmuseum Moskau zu sehen.

Katharina Lindt

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