Schwule, sagen Sie? Bei uns doch nicht!

Mit zwei Enthüllungsreports, die eine Gewaltwelle gegen Homosexuelle in Tschetschenien belegen sollen, hat die „Nowaja Gaseta“ Anfang April das In- und Ausland aufgeschreckt. Wie Vertreter der Kaukasusrepublik lautstark zu diesem Tabuthema schweigen, lässt tief blicken. Ein Zusammenstellung der Reaktionen in Auszügen, aber ungefiltert.

Tschetschenien

Das Bergdorf Chimoj in Tschetschenien, eine Autostunde von Grosnyj entfernt. / Tino Künzel

Am 1. April berichtete die „Nowaja Gaseta“ unter dem Titel „Ehrenmord“ von Razzien gegen homosexuelle Männer in Tschetschenien, von Folter, sogar von Todesopfern: www.novayagazeta.ru/articles/2017/04/01/71983-ubiystvo-chesti Am 4. April legte die Zeitung nach, schrieb über „geheime Gefängnisse“, zitierte Augenzeugen: www.novayagazeta.ru/articles/2017/04/04/72027-raspravy-nad-chechenskimi-geyami-publikuem-svidetelstvageheimen Die Stichhaltigkeit der Informationen unter Verweis auf anonyme Quellen ist schwer zu beurteilen, manches klingt durchaus spekulativ-suggestiv. Doch die eigentliche Offenbarung sind die Dementis aus Tschetschenien: Sie scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen. Die vielsagendsten geben wir an dieser Stelle wieder.

„Ein Übel, das jeder Tschetschene bekämpfen wird“

Cheda Saratowa, Journalistin, Mitglied im Rat für die Förderung der Zivilgesellschaft und für Menschenrechte in Tschetsche­nien. Aus einem Interview mit dem Radiosender „Goworit Moskwa“.

Die Grenzen kann ich nicht ziehen, eines aber sagen: Selbst wenn im Umgang mit diesen Leuten (Anm. d. Red.: gemeint sind Schwule) zum Äußersten gegriffen wird, stößt das in der Gesellschaft, in der wir leben, nicht auf Widerstand. Ich denke, wenn so eine Person von den eigenen Angehörigen umgebracht wird, dann werden die alles tun, damit das nicht nach außen dringt. Und das gesamte Justizsystem, die Behörden werden Verständnis dafür zeigen, was in dieser Familie geschehen ist. Sie werden sich nicht sonderlich ins Zeug legen, um diesen Menschen zu beschützen. An mich hat sich in diesem Zusammenhang noch niemand gewandt, ich würde aber einer solchen Erklärung auch keine Aufmerksamkeit schenken.

Ich bin Tschetschenin, ich lebe in dieser Gesellschaft, und was Sie sagen, das ist schlimmer als Krieg. Wenn wir heute die Augen davor verschließen, dann bin ich überzeugt, dass unsere Gesellschaft zerfallen wird, und das dürfen wir auf keinen Fall zulassen. Ich kann Ihnen versichern, dass jeder Tschetschene, der etwas auf sich, auf unsere Traditionen und Bräuche hält, von sich aus aktiv werden wird, damit es solche Leute in unserer Gesellschaft nicht gibt. Das ist ein Übel, das jeder Tschetschene bekämpfen wird.

„Man kann niemanden verhaften, den es überhaupt nicht gibt“

Alwi Karimow, Pressesprecher des tschetschenischen Regierungschefs Ramsan Kadyrow, gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax.

Diese Veröffentlichung ist eine absolute Lüge. Man kann keine Leute verhaften und unterdrücken, die es in der Republik überhaupt nicht gibt. Der Artikel ist der Versuch, die Tschetschenische Republik in den Schmutz zu ziehen. Ich erkläre offiziell, dass dieser Zeitungsbeitrag Lüge und Desinformation darstellt.

Gäbe es solche Personen in Tschetschenien, dann wären sie nicht die Sorge der Rechtsorgane. Ihre eigenen Verwandten würden sie dahin schicken, von wo man nicht zurückkehrt.

„Die Vergeltung des Allmächtigen ist ihnen absolut sicher“

Salach-hadschi Meschijew, Mufti von Tschetschenien, auf „Goworit Moskwa“.

Für mich sind diese Leute (Anm. d. Red:: die Autoren der „Nowaja Gaseta“) gar keine Menschen. Dieses Wesen wird nach den Buchstaben des Gesetzes zur Verantwortung gezogen. Was die Vergeltung angeht, so ist ihnen die Vergeltung des Allmächtigen absolut sicher.

„Die Ehre der tschetschenischen Männer angegriffen“

Resolution einer Sondersitzung islamischer Theologen und Vertreter der Öffentlichkeit in der Zentralmoschee von Grosnyj.

Die Publikation im Medium „Nowaja Gaseta“ ist eine absolute Lüge und Verleumdung, die Ehre und Würde der Muslime, der Einwohner Tschetscheniens und der Bürger der Russischen Föderation verletzt. Da die jahrhundertelangen Fundamente der tschetschenischen Gesellschaft und die Ehre der tschetschenischen Männer angegriffen wurden, versprechen wir, dass die Vergeltung die wahren Anstifter ereilen wird, wo und wer sie auch immer sein mögen.

Weiterhin rufen wir, die Hohe Versammlung, die Einwohner Tschetscheniens und alle anständigen Menschen auf, keine verleumderischen und provokativen Informationen weiterzuverbreiten, das ist eine schreckliche Sünde im Islam und in anderen Religionen, es bringt zudem Leid und Schmerzen über viele Menschen. Möge der Allmächtige uns Ruhe, Frieden und Gerechtigkeit schenken!

„Eine niederträchtige Provokation Ihrer Knechte gegen uns“

Dschambulat Umarow, Tschetscheniens Minister für nationale Politik, in einem offenen Brief an den Dmitrij Muratow, den Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“, auf Instagram.

Herr Muratow! Als Funktionär, der mit den Medien unmittelbar zu tun hat, ist mir klar, weshalb Sie sich an den Mufti Tschetscheniens Salach-hadschi Meschijew gewandt haben. Nämlich die Sorge um Ihre Journalisten. Dafür gibt es keinen Grund, Tschetschenen vergreifen sich nicht an wehrlosen Menschen, selbst wenn diese Menschen Schufte sind. Das beweist ein weiteres Mal, wie wenig Sie über unsere jahrhundertealten Traditionen wissen. Verachtung – ja, aber sonst …

Auch ich mache mir Sorgen. Skandale, Streitigkeiten und erst recht grundlose Vorwürfe können wir nicht gebrauchen. Von Drohungen zu schreiben und sich dabei auf das Wort „Vergeltung“ zu kaprizieren, niedergeschrieben von empörten Geistlichen, die sehr oft selbst Opfer von Terroristen werden, hätten Sie sich sparen können.

Es ist eine niederträchtige Provokation, die Ihre Knechte gegen unser Volk im Vorfeld der wichtigsten Wahlen des Landes angezettelt haben. Solange Tschetschenien von Ramsan Kadyrow angeführt wird, einem treuen und charismatischen Mitstreiter von W.W. Putin, geben Sie keine Ruhe. Doch wenn wir auch Opponenten sind, so verstehen sowohl Sie als auch wir, dass Gewalt in jedweder Form  unakzeptabel ist. Also müssen sofort jegliche Provokationen, von wem auch immer, unterbleiben. Um den Konflikt zwischen uns ein für alle Mal zu beenden, sind lediglich drei Bedingungen zu erfüllen. Die erste ist eine Entschuldigung vor dem tschetschenischen Volk für den widerwärtigen Unsinn, den Sie in den Medien verbreitet haben, die sozialen Netzwerke eingeschlossen. Zweitens, gesetzt den Fall, dass solch eine Entschuldigung erfolgt, bitten wir in aller Form darum, dass sich Ihre Kollegen zumindest oberflächlich mit der mentalen Besonderheit der Region vertraut machen und sich auf echte (!) Quellen berufen. Drittens, unterlassen Sie doch endlich die Hysterie um fiktive „Bedrohungen“, damit das um Gottes Willen nicht von Leuten ausgenutzt wird, die Ihre Zeitung noch viel mehr satt haben als wir.

„Wenn dich Allah als Mann geschaffen hat, dann sei ein Mann“

Ramsan Kadyrow, Oberhaupt von Tschetschenien, gegenüber einem Korrespondenten von RBK. Das Video ist auf YouTube verfügbar.

Eine gesunde Lebensweise, das heißt: Allah hat dich als Mann geschaffen, dann sei ein Mann. Als Frau, dann sei eine Frau. Ich schaue dich an und weiß nicht, ob du ein Mann oder eine Frau bist. (Die Umstehenden lachen zustimmend.) Stell mir doch nicht solche Fragen, ich fühle mich nicht wohl, darauf zu antworten. Der Allmächtige hat Männer, Frauen, Tiere geschaffen. Wieso soll ein Mann eine Katze heiraten oder der Katze sein Erbe vermachen? Wir werden so etwas nie verstehen.

Ihr Journalisten solltet dafür sorgen, dass diese käuflichen Schaitane (Anm. d. Red.: böse Geister, gemeint sind die Autoren der „Nowaja Gaseta“) das tschetschenische Volk um Verzeihung bitten, dass sie auf die Knie fallen, weil sie uns beleidigt, herabgewürdigt und beschuldigt haben.

Sie wollen Krieg in Russland, sie wollen dasselbe, was in der Ukraine, in Ossetien, in Ägypten, in Libyen passiert ist. Man muss sie fortjagen von unserem Territorium, damit das russische Volk frei und in Ruhe leben kann.

„Die Propaganda anderer Launen ist schädlich“

Rustam Tapajew, Vorsitzender des Tschetschenischen Jugendverbandes, auf „Goworit Moskwa“.

In der jetzigen Situation glaube ich der „Nowaja Gaseta“ nicht im Mindesten. Unsere Gesellschaft in Tschetschenien und überhaupt im Kaukasus ist relativ traditionell und religiös eingestellt. Deshalb ist das Verhältnis zu dieser Erscheinung (Anm. d. Red.: zur Homosexualität) einerseits eindeutig negativ, andererseits habe ich aber auch von Unterdrückung und Verfolgung noch nie etwas gehört.

Wir sind Anhänger traditioneller familiärer Werte, deshalb propagieren wir familiäre Wert und finden, dass die Propaganda anderer Launen schädlich ist. Sowohl in Tschetschenien wie auch in Russland.

„Nicht schwul, sondern der Beihilfe zum Terrorismus verdächtig“

Cheda Saratowa gegenüber RBK.

Die Verleumdung besteht in der Unterstellung, dass es in Tschetschenien Menschen von nichttraditioneller sexueller Orientierung gibt. In Wahrheit sind die Leute, über die in der „Nowaja Gaseta“ geschrieben steht, keine Schwulen, sondern wurden im Dezember unter dem Verdacht der Beihilfe zum Terrorismus verhaftet. Inwieweit sie schuldig sind, werden die weiteren Ermittlungen ergeben müssen.

„LGBDT – ich weiß gar nicht, wofür das steht“

Alwi Karimow gegenüber dem Fernsehsender „Doschd“ in einer Antwort auf eine Aussage des britischen Vizeaußenministers Alan Duncan, der die in der „Nowaja Gaseta“ beschriebenen Zustände „barbarisch“ nannte. 

Ich war ehrlich gesagt verblüfft, dass ein so altes und geschätztes Parlament die Zeit gefunden hat, den stellvertretenden Minister anzuhören, der ausschließlich mit Gerüchten operiert hat. In Tschetschenien gibt es keine LGBDT (Anm. d. Red.: so wurde die Bezeichnung von Karimow benutzt), ich weiß nicht einmal, wofür das eigentlich steht. Ich weiß nur, dass es nichts Gutes ist. So eine Gruppe existiert in der Tschetschenischen Republik nicht.

Zusammengestellt von Tino Künzel.

 

„Wie der IS“

Der Chefredakteur des liberalen Moskauer Radiosenders „Echo Moskwy“, Alexej Wenediktow, hat die Kollegen von der „Nowaja Gaseta“ in seinem Blog der Solidarität der Redaktion versichert und die Drohungen an die Adresse der Zeitung mit denen des Islamischen Staates verglichen. „Das klingt so ähnlich, dass man die Autoren dieser Drohungen verwechseln könnte.“

Wenediktow forderte die russischen Behörden auf, sofort Ermittlungen aufzunehmen. „Worauf warten Sie noch? Während unsere Extremismuszentren Jugendlichen in Turnschuhen hinterherjagen, ist nebenan eine unverschämte, unkontrollierte, dem Staat feindselig gegenüberstehende Kraft herangewachsen, die es wagt, den Bürgern Russlands zu drohen.“

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