Das SoMA – Space for Modern Art in Nowosibirsk ist der einzige Ort in der sibirischen Großstadt, an dem zeitgenössische Kunst gezeigt und diskutiert wird. Geleitet wird das Projekt von einer Gruppe junger Künstler, deren Ziel es ist, die Kunstszene in ganz Sibirien zu vernetzen.
Von Sonja Vogel
„It doesn’t matter! Egal!“ ruft Christian von Borries ziemlich laut. Ein Dutzend junger Leute, die auf Klappstühlen im SoMA – Space for Modern Art sitzen, lachen schüchtern. Der deutsche Regisseur ist als Referent des vom Goethe-Institut veranstalteten Deutschen Filmfestivals zu Gast in der Stadt – nun diskutiert er mit Filminteressierten über die Produktionsweise des Kurzfilms „Following Capgras Syndrome“ von Alexej Grischtschenko.
Nowosibirsk ist das kulturelle Zentrum Sibiriens, vor allem die klassische Kultur ist hier stark: Es gibt Dutzende Theater, Opern, Museen. Das SoMA aber ist der einzige Ort in Nowosibirsk, an dem zeitgenössische Kunst gezeigt, entwickelt und diskutiert wird. Ein selbstverwalteter Ort zwischen Galerie und Projektraum. Der dunkle Keller in einem Hinterhof des Prospekt Dimitrowa im Stadtzentrum ist nicht gerade repräsentativ. Dennoch arbeiten dort eine Hand voll Künstler, einige wohnen sogar in ihren Ministudios.
Der Keller wurde einem befreundeten Künstler von der Union der Fotografen zur Verfügung gestellt, einer staatlichen Einrichtung. Für eine junge Initiative ist das nicht gerade optimal, die Abhängigkeit ist groß. Das sieht auch Philipp Krikunow so. Der junge Mann im Kapuzenpulli ist 19 Jahre alt und leitet das SoMA. „Ich bin ganz zufällig der Verantwortliche geworden“, sagt Krikunow. Mit einigen seiner Mitstreiter, jungen Künstlern um die 20, sitzt er zwischen Teilen eines auseinandergebauten Schlagzeugs mitten in seinem kleinen Arbeitsraum, der eigentlich eher ein Kabuff mit winzgem Fenster ist. An der Wand: ein Poster von Andy Warhols „Campell’s Soup Cans“ und ein Ölgemälde mit einer grünweißen Flagge mit Eiskristallen, eine abgewandelte Version des Symbols der Vereinigten Staaten von Nordasien. Krikunow grinst, als er er das sagt: „Vereinigte Staaten von Sibirien“.
Über Umwege zur Kunst
Zur Kunst kam Philipp Krikunow indes über Umwege. „Eigentlich wollte ich Musiker werden“, erzählt er. Um Geld zu verdienen, entschied er sich dann aber für ein Design-Studium. Im Sibirischen Zentrum für Zeitgenössische Kunst, das 2010 im Naturkundemuseum eröffnet hatte, schaute er sich jede Ausstellung an. Krikunow war so fasziniert, dass er einen Entschluss fasste: „Ich wollte das auch probieren.“ Krikunows weiterer Weg ist direkt mit dem Zentrum verknüpft – denn als es 2014 schloss, entstand die Idee für einen neuen Kunstraum. Der Künstler Anton Karmanow übernahm die Räume des heutigen SoMA und suchte nach einem Partner. Er fand ihn: Philipp Krikunow, der damals 17 Jahre alt war.
Am Anfang ging alles sehr schnell, junge lokale Künstler sprangen auf die offene Struktur des Projektraums an. Es habe fast wöchentlich Ausstellungen gegeben, erinnert sich Alexej Grischtschenko. Auch er war von Anfang an dabei. „Es wurde viel diskutiert und improvisiert“, sagt Grischtschenko. Zwei Jahre ist das nun her. Mittlerweile hat Karmanow das Projekt verlassen und Philipp Krikunow ist allein verantwortlich – die Ausstellungen aber organisiert er gemeinsam mit einem Team von Künstlern. „Wir machen das zusammen“, sagt er, ganz so als schäme er sich ein bisschen für die Verantwortung, die er übernommen hat, und zeigt auf drei Kollegen, die sich auf die löchrige Couch in seinem Arbeitszimmer gequetscht haben.
Sie können sich nicht entscheiden
Alexej Grischtschenko ist einer von ihnen. Ein junger Künstler in Handwerkerhose, der zwischen den Genres hin und her springt – Film, Sound, Skulpturen, Fotografie. „Ich kann nicht anders, mich interessiert das alles“, sagt er und lacht. Neben dem Kurzfilm hat er gerade ein Projekt abgeschlossen, in dem er die Geräusche, die in der photoakustischen Spektroskopie, einer Untersuchungsmethode zur Enddeckung von Krebs, beim Beschießen des Gewebes entstehen, hörbar gemacht hat. Nun arbeitet er an einer minimalistischen Kamera, die rudimentäre Bilder macht: 30 mal 32 Pixel.
Alle diese jungen Leute sind Multitasker. Vielleicht haben sie ihren Stil noch nicht gefunden? Vielleicht funktioniert aber auch das offene Konzept so gut, dass sie sich nicht festlegen müssen, dass sie mit den Genres spielen. Die Gruppe ist stolz darauf, mit allen Formaten zu arbeiteen und darum auch ein Projektraum für alle zu sein. „Mein Ziel ist es, eine neue Generation von Künstlern sichtbar zu machen“, sagt Krikunow. Trotz der schwierigen Ausgangslage scheint das ganz gut zu klappen: Die Gruppe vernetzt Künstler in ganz Sibirien. Denn was weiß schon ein Fotograf in Omsk von den Kunsträumen in Nowosibirsk? Und noch etwas wurmt die Szene: Nach außen nämlich ist ihre Sichtbarkeit gleich Null. „Auf der sibirischen Landkarte der zeitgenössischen Kunst gibt es bisher nur die ‚Blauen Nasen‘“, sagt Krikunow. Das weltweit bekannte Kunsttrio hat auch im SoMA Spuren hinterlassen: Im Galerieraum hängen dadaistische Autoporträts von Konstantin Skotnikow, einem Mitglied der Blauen Nasen. Er ist mit dem Kunstraum eng verbunden.
Eine Lücke in der zeitgenössischen Kunst
Es scheint nicht die Zeit für experimentierfreudige Kunstinitiativen zu sein. Wie in vielen postsozialistischen Regionen klafft auch in der drittgrößten russischen Stadt eine Lücke in der zeitgenössischen Kunst. In Nowosibirsk ist sie über die Jahrzehnte noch sogar noch größereworden – weder in den Museen ist sie zu sehen, noch ist sie Teil der Ausbildung, moderne Techniken werden kaum gelehrt. „Das Wissen über die moderne Kunst der 1910er und 20er Jahre ist verloren gegangen,“ sagt Stefanie Peter, die das Goethe-Institut in Nowosibirsk leitet und sich für die zeitgenössische Kunst einsetzt. „Nowosibirsk ist keine Kunststadt.“ Neben der kaum vorhandenen Infrastruktur verhindert der eklatante Mangel an Geld die Entwicklung einer Kunstszene – während in Moskau ein paar Dutzend hochkarätige private Galerien existieren, gibt es in Nowosibirsk keine einzige. „Es gibt einfach keinen Ort, an dem Künstler sich austauschen und miteinander arbeiten können“, sagt Alexej Grischtschenko.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass das SoMA auch mal aneckt. Mit der Ausstellung „Artistic Porno“ etwa bekam das Kollektiv viel Öffentlichkeit – obwohl der Titel wohl das provokanteste an an der Ausstellung gewesen war. Vom Vermieter, der Fotografenunion, wurden sie daraufhin gebeten, doch etwas leiser zu sein. „Wir wollen unabhängig von Staat und Stadt werden, sowohl finanziell als auch räumlich“, sagt Philipp Krikunow. Der Plan für die Zukunft ist deshalb eine kommerzielle Galerie, die helfen soll, einen Kunstmarkt in Sibirien zu etablieren, einen Markt von und für lokale Künstler.
In Omsk hat das SoMA zu diesem Zweck bereits ein Kollaborationsprojekt angestoßen: eine Galerie, die bald eröffnen wird. Potential jedenfalls gebe es in Sibirien genug, meint Philipp Krikunow mit bübischem Lächeln – nur an der Infrastruktur mangele es eben bisher. Und bis es diese neuen Orte aufgebaut sind, entwickelt die SoMA-Gruppe eine alternative Kunstakademie, die Künstlern in der Ausbildung das experimentelle Arbeiten näher bringen soll.