Eine Deutsche auf Tuchfühlung in Sibirien

Sibirien - einst Verbannungs-, ist heute Sehnsuchtsort für Freiwillige aus Deutschland. In den Weiten des Landes setzen sie sich für Umwelt und Soziales ein. Elisabeth Redler ist eine von ihnen.

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Elisabeth Redler (rechts im Bild) beim Wegebau-Projekt am Baikalsee / Privat.

Jenseits des Urals, wo sich lichte Birkenwälder erstrecken, liegt in der Kolchose Rodnaja Dolina das verschlafene Dörfchen Rodnoe Pole. Früher gab es in Rodnoe Pole 130 Häuser. Übriggeblieben sind nur noch zehn. Viele Russlanddeutsche kehrten in den 90er Jahren nach Deutschland zurück. Manche Familien blieben jedoch. In einer von ihnen war Elisabeth Redler drei Wochen als Freiwillige zu Gast.

Die 67-Jährige bezeichnet sich selbst als Pionierin. Ihr Einsatz in dem sibirischen Dorf, wo auch heute noch Russlanddeutsche leben, ist der erste seiner Art. Wie kommt eine Deutsche dazu, Freiwilligendienst in Sibirien zu leisten? Den Entschluss fasste Elisabeth Redler als sie in Rente ging. „Ich habe mir vorgenommen pro Jahr drei Monate in einem Land zu leben und tätig zu werden, dessen Sprache ich mal gelernt habe“, so die 67-Jährige. Nach England war nun Russland an der Reihe.

„Mein Traum war Altai“, erzählt sie mit glänzenden Augen. Der Altai – ein Sehnsuchtsort, der dort beginnt, wo Russland mit der Mongolei verschmilzt – wurde es zwar nicht, doch in Rodnoe Pole wurde sie dennoch glücklich. „Es war für mich sehr reichhaltig“, sagt sie. Hier konnte sie die Kultur der Russlanddeutschen besser kennenlernen. Man wisse in Deutschland über Russlanddeutsche zu wenig, so Redler.

Zwar kam die sie nicht unvorbereitet nach Sibirien. Doch lernte sie das Meiste bei den Baumbachs. „Es ist die angesehenste Familie in Rodnoe Pole“, erzählt Redler voller Stolz. „Sie sind sehr kundige und offene Menschen, die mich mit einem Stapel Literatur über die Russlanddeutschen versorgt haben.“ Der Aufenthalt bei den Russlanddeutschen war eines von drei Abenteuern, die Elisabeth Redler in den Weiten Sibiriens erlebte. Am Baikalsee arbeitete sie mit vielen internationalen und russischen Freiwilligen am Wegebau-Projekt „Great Baikal Trail“. Danach tauschte Redler die Kulisse des größten und ältesten Sees der Welt gegen ein Ökogästehaus in einem Dorf bei Nowosibirsk. „Ein Aussteigerparadies, wo sich viele Ausländern tummeln“, schmunzelt sie.

Genau wie Elisabeth Redler, absolvieren Dutzende Deutsche jährlich einen Freiwilligendienst in Russland. Wenn es nach Ottmar Steffan ginge, dann könnten es mehr Entsandte sein. Der Fachreferent für Mittel- und Osteuropa bei Caritas berichtet, dass das Interesse da sei. „Russland ist attraktiv bei den jungen Menschen.“ Nur gäbe es einen Hacken. Ein Visum für drei Monate oder ein ganzes Jahr zu bekommen sei nicht einfach.Jeder Freiwilligeneinsatz ist auf seine Arte besonders. „In Rodnoe Pole war ich noch enger in der Familie integriert als am Baikal“, erzählt Redler. Sie habe das russlanddeutsche Dorf als lebendigen Mikrokosmos erlebt, wo dauernd was los sei. Ein sibirisches Dorf ist eben nicht gleich ein sibirisches Dorf, resümiert die Ehrenamtlerin. Hier folgt das Dorf seinem eigenen Lebensrhythmus. Morgens bestellt man den Acker, melkt die Kühe und später arbeitet man im Garten.

Den Draht zu Russland hat Elisabeth Redler schon seit ihrem Studium. Damals studierte sie Politikwissenschaften, Soziologie und Russisch in Marburg und Berlin. Eine exotische Kombination in Westdeutschland. „Ich wollte eben etwas Besonderes studieren“, lacht sie.

In der Dorfgemeinschaft erlebte sie keinerlei Vorbehalte gegenüber Deutschen. „Da habe ich in England ganz andere Erfahrungen gemacht“, berichtet Redler. Die Reise nach Sibirien wurde für die 67-Jährige zu einer Auseinandersetzung darüber, was Deutschsein im Kern bedeutet. Die Deutschen hätten in Sibirien für ihre Identität kämpfen müssten. „Ich musste es nie,“ sagt Redler. „Das zu lernen, war ein Ergebnis meiner Reise.“

Katharina Lindt

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