„Oft verwechseln die Moskauer 1991 mit 1993“

Der Augustputsch von 1991 ist sein Leibthema: Ignaz Lozo drehte für das ZDF einen Film darüber und schrieb das gleichnamige Buch „Der Putsch gegen Gorbatschow“ (Böhlau, 2014). Im Kurz­interview rückt er Mythen und einen falschen Vergleich zurecht.

Herr Lozo, warum sind die Ereignisse im August 1991 den Russen heute so wenig bekannt?

Dr. Ignaz Lozo | Foto: Privat

In den 90ern hatten die Russen zu sehr um ihr wirtschaftliches Überleben zu kämpfen. Ihnen war nicht mehr nach großer Politik, die meisten Russen haben das Interesse an ihr verloren. Der Begriff „Demokratie“ war diskreditiert. Es gibt aber auch einen anderen, ganz banalen Grund dafür, dass der Augustputsch im Dunkeln blieb: Viele Moskauer waren damals im Urlaub. Und wer dennoch in der Stadt war, verstand häufig nicht, was überhaupt vor sich ging. Während der Arbeit an meinem Buch habe ich häufig festgestellt, dass vor allem die jüngere Generation den Putsch von 1991 mit der Belagerung des Weißen Hauses von 1993 verwechselt. Viele glauben auch, dass bereits 1991 das Parlament unter Beschuss genommen worden sei, was nicht stimmt. Das ist ein Versäumnis der Politiker, die für die Schulbildung verantwortlich sind. Es gibt auch keine ernsthafte Forschung zu diesem Thema – wohl deshalb, weil sich die Historiker nach dem Zusammenbruch der UdSSR mit Themen befassten, die zur Sowjetzeit unter Geheimhaltung standen.

Wie haben Sie die Informationen für ihr Buch gesammelt?

Ich sprach mit fast allen Beteiligten in den drei Lagern: mit den Putschisten, mit den Anhängern von Gorbatschow und von Jelzin – und mit Gorbatschow selbst. Mit den Menschen persönlich zu sprechen war äußerst wichtig, weil ihre Memoiren voller Widersprüche waren: Jeder versuchte, seine Rolle bei den Ereignissen in bestem Licht darzustellen. Oft traf ich auf die Legende, dass die Armee sich geweigert hätte, das Weiße Haus zu stürmen. 1991 war es in Mode, diesen Mythos zu verbreiten – im Sinne von „seht, wir haben uns geweigert, wir sind für die Demokratie“. In Wirklichkeit hat es niemals einen solchen Angriffsbefehl gegeben. Daher konnte es auch keine Befehlsverweigerungen geben. Heute, nach vielen Jahren, gestehen das die Beteiligten auch ein.

Auch wenn die Geschichte keinen Konjunktiv kennt: Was wäre passiert, wenn der Putsch erfolgreich gewesen wäre?

So oder so war es unmöglich, dass alle 15 früheren Teilrepubliken der Sowjetunion in einem Land zusammenbleiben. Die Balten zum Beispiel erhielten schon damals große Unterstützung vom Westen. Vielleicht wäre es zu einer Reform der UdSSR gekommen, so, wie Gorbatschow sie wollte. Das Resultat wäre eine Union im kleineren Maßstab.

Kann man den Putsch in Moskau von 1991 mit dem vor kurzem versuchten Umsturz in der Türkei vergleichen?

Auf keinen Fall, das sind zwei völlig unterschiedliche Ereignisse. In Moskau war damals fast die gesamte Regierung beteiligt: Der Chef des KGB, die Minister für Verteidigung, des Inneren, der Premierminister und so weiter. In der Türkei waren es, soweit bekannt, nur Angehörige des Militärs. Und über die Hintergründe weiß man auch sehr wenig.

Das Interview führte Anastassija Buschujewa

Lesen Sie das ausführliche Gespräch in Russisch auf der Webseite unserer russischen Ausgabe.

Hier geht es zum Buch von Ignaz Lozo

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