„Nur eine geringe Mäßigung des Tones“

Mitte Juli hat der Petersburger Dialog erstmals seit vier Jahren wieder in Russland stattgefunden. Der Grund für die lange Pause: Vor zwei Jahren kam es zum Aufstand einer kleinen Gruppe von einflussreichen deutschen Teilnehmern. Wir haben mit einem von ihnen über den Stand der Dinge gesprochen: Stefan Melle vom Deutsch-Russischen Austausch (DRA)

Mitte Juli hat der Petersburger Dialog erstmals seit vier Jahren wieder in Russland stattgefunden. Der Dialog war bis zur Ukraine-Krise die prominenteste Veranstaltung von Deutschen und Russen jenseits der großen Politik. Dann kam es zum Aufstand einer kleinen Gruppe von einflussreichen deutschen Teilnehmern. Wir haben mit einem von ihnen über den Stand der Dinge gesprochen: Stefan Melle vom Deutsch-Russischen Austausch (DRA)

Herr Melle, Sie haben 2014 mit einigen anderen deutschen NGOs den Petersburger Dialog in Sotschi boykottiert, was zu seiner Absage führte. Warum?

Wir verweigern uns nicht grundsätzlich, sondern nur bestimmten Erscheinungen, die es bei den Dialogen vor 2014 lange gegeben hat. Zum Beispiel fehlte 2014 die Bereitschaft von russischer Seite, die Geschehnisse in der Ukraine zu besprechen. Es kann einfach nicht sein, dass das, was zur Destabilisierung Europas beiträgt, unkommentiert bleibt. Vor dem Gespräch in Potsdam 2015 gab es jedoch eine Umstrukturierung des Dialoges. Wir waren 2015 und auch jetzt wieder dabei. Sofern der Dialog weitergeführt wird und die Bereitschaft zu einem offenen Austausch besteht, werden wir auch daran teilnehmen. Ich persönlich bin sogar Mitglied geworden.

Wie haben Sie die Stimmung auf dem Petersburger Dialog empfunden?

Ich glaube, dass ein erhebliches Interesse daran besteht zu spüren, wie die andere Seite tickt. Und in einigen Arbeitsgruppen lief das auch sehr gut. In der für Zivilgesellschaft wurde diesmal offen gesprochen. Das war zwar auch früher so, jedoch bestand das Problem darin, dass die Resultate nicht weitergegeben wurden, vor allem vor 2012. Dies hat sich danach geändert. Nun ist es jedoch so, dass in den AGs mehr zustandekommt als auf den oberen Ebenen.

Was waren in diesem Jahr die Streitpunkte?

Die abschließende Diskussion zwischen den beiden Schirmherren Pofalla und Subkow hat verdeutlicht, inwiefern die Positionen auseinander liegen. Dabei ging es vor allem um die Frage, warum das Vertrauen zwischen der EU und Russland verloren ging. Und auch um den Bruch des Völkerrechts und die Frage, ob die Krim denn nun zu Russland gehöre. Ich denke, dass Subkow der russischen Delegation mit seinem Auftreten keinen Gefallen getan hat. Bereits in Potsdam 2015 hat die Art und Weise der Beiträge schon ans Schimpfen gegrenzt. Sowohl von der Tonalität, als auch von der Argumentationsweise.

Die beiden Vorsitzenden des Petersburger Dialogs, Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (l.) und Ex-Premierminister Viktor Subkow, gedenken dem 22. Juni 1941 / Petersburger Dialog

Die beiden Vorsitzenden des Petersburger Dialogs, Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (l.) und Ex-Premierminister Viktor Subkow, gedenken dem 22. Juni 1941 / Petersburger Dialog

Kann man von einer Normalisierung der Beziehungen sprechen?

Ein klares Nein, von einer Normalisierung sind wir sind noch meilenweit entfernt. Das hat zum Teil faktische Gründe. Es gibt nach wie vor keine Annäherung in Grundsatzfragen wie zur Ostukraine, der Krim, Souveränität und Propaganda. Und nur eine geringe Mäßigung des Tones im Vergleich zu Potsdam 2015, die Fronten bleiben verhärtet. Vor allem auf russischer Seite gibt es nach meinem Empfinden noch so einige Vertreter, die über vieles hinwegsehen. Vielleicht ist es aber auch beidseitig. Es gibt auf jeden Fall eine intensive Suche nach dem Weg. Dabei werden auf den Dialogen immer wieder neue Kontakte hergestellt. Die ständigen Besuche von deutschen Politkern in Moskau sind ein Zeichen dafür, dass da was versucht wird. Die Frage ist, was man selbst tun kann, ohne sich oder dem Anderen Schaden zuzufügen. Dabei ist es im Kontext der Ukraine natürlich so, dass das Land mit der Herstellung des Status quo geschädigt wurde. Da gibt es auch bis heute keine Bewegung. Es gibt von russischer Seite aber das klare Bemühen, nicht alles kaputt gehen zu lassen. Jedoch hat dies kaum Einfluss auf die oberen Entscheidungsebenen.

Gibt es denn abseits der schwierigen Themen wie Krim und Ukraine auch Anknüpfpunkte?

Natürlich. Es gibt neue Arbeitsgruppen, in denen eine Kooperation beiden Seiten durchaus zu Gute kommt. Zu nennen wären dabei vor allem Gesundheit und Ökologie, die zur Entwicklung einer stabilen und nachhaltigen Gesellschaft förderlich sind. Ich weiß auch, dass in der Medien-AG diesmal sehr offen diskutiert wurde. Beiden Seiten wurde ja eine einseitige Berichterstattung vorgeworfen. Es gibt in diesen Gruppen also Leute, die sich wirklich einsetzen, das sind positive Zeichen. Jedoch sind Grenzen durch den institutionellen Rahmen und die oberen Ebenen der Politik gesetzt. Nun macht es auch keinen Sinn zu sagen, bei uns ist alles gut, bei euch alles schlecht. Das Jahr 2014 hat auch die EU vor erhebliche Probleme gestellt, an denen gearbeitet werden muss. Man muss da die richtigen Dinge vorantreiben.

Welche Erwartungen haben Sie an den nächsten Petersburger Dialog im Frühjahr 2017 in Berlin?

In so einer aufgeheizten Situation ist es schwer vorauszusehen, was 2017 geschehen könnte, wenn man nicht weiß, was im laufenden Jahr noch kommt. Das, was in der AG Politik stattgefunden hat, kann man keinen Dialog nennen. Es gibt jedoch Dinge, die wir immer erwarten. Zu denen gehören ein offener Dialog, dass man also auch über Fehler spricht und bereit ist, Kritik anzunehmen. Ebenso erwarten wir, dass keine bestimmten Gruppen bevorzugt werden. Es muss eine gleichberechtige Beteiligung auf allen Ebenen geben. Einen wichtigen Punkt von deutscher Seite sehe ich in der Unabhängigkeit des Sekretariates des Dialogs, die nach wie vor nicht gegeben ist. Von russischer Seite erwarte ich vor allem, dass eine pluralistische Zusammensetzung der Arbeitsgruppen gewährleistet wird. Es hat sich bereits einiges verändert, jedoch muss noch mehr geschehen.

Die Fragen stellte Christopher Braemer

 

Weitere Stimmen: Ist jetzt wieder alles in Ordnung?

Wir haben weitere Teilnehmer des Petersburger Dialogs nach ihren Eindrücken gefragt. Kann man vielleicht doch wieder von einer Art Normalität zwischen Deutschland und Russland sprechen?

Während beide Seiten vor 2014 unnachgiebig ihren Standpunkt verteidigt hätten, sei nach Wladislaw Below, dem Leiter des Zentrums für Deutschlandstudien am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften, „vor allem zu betonen, dass es diesmal in Bezug auf die Grundsatzdebatten um Ukraine und Krim einen weniger konfrontativen Ton gab“. Eines der schwierigsten Themen bleibe nach wie vor die Rolle der ausländischen NGOs in Russland. Mit der Veranstaltung sei gerade nach der beiderseitigen Verlängerung der Sanktionen vor etwa einem Monat ein „wichtiges Zeichen“ für die Zusammenarbeit gesetzt worden.
Positiv hebt Below das gemeinsame Gedenken vor der Konferenz an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion vor 75 Jahren hervor: „In russischen Medien wurde scharf kritisiert, dass der Bundestag dem 22. Juni nicht gedachte. Der gemeinsame Besuch des Friedhofs Piskarjowskoje hat dies abgefedert“, lobt der Deutschland­experte. Auch wenn die Beziehungen auf höchster politischer Ebene weiterhin eingefroren blieben, hätten sich die Beziehungen in den Bereichen Kultur und Wissenschaft in den letzten Jahren als konstant erwiesen, so Below. Man sei nun auf einem „langsamen Pfad der Normalisierung“. „Wenn die Lage in der Ostukraine stabil bleibt, dann könnte es 2017 durchaus einen Umbruch geben. Die letzten beiden Dialoge haben bereits einen Schritt vorwärts bedeutet“, resümiert Below.
Alexander Rahr ist dagegen weniger optimistisch. Laut dem Russlandspezialisten gebe es aber eine „Gewöhnung an die Konfliktsituation, wobei der starke Wille besteht, sich weiter auszutauschen“. Dabei ginge es heute viel kritischer zu als vor der Ukrainekrise. „Bis 2012 galt der Dialog als Versöhnungsplattform. Dagegen werden die Probleme der NGOs heute durchaus kritisch angesprochen“, meint Rahr. Er glaube, eine Normalisierung werde noch „sehr lange“ dauern. In Russland habe man sich auf die westliche Seite eingestellt. Man habe aus der Konfliktsituation gelernt und wolle sich nicht mehr belehren lassen. Mit der deutschen Flüchtlingspolitik und der EU-Krise gebe es auch Fläche für Kritik. Es bestehe jedoch kein Zweifel an einer Weiterführung des Dialoges, der vor allem eine Plattform für NGOs biete. Denn ohne diese gäbe es kaum noch Möglichkeiten einer Zusammenarbeit. „Es ist vor allem wichtig, das Vertrauen zu Russland wiederherzustellen, sonst rutschen wir zurück in den Kalten Krieg. Junge Generationen wissen nicht, was das bedeutet. Das ist genau, was wir vermeiden wollen“, warnt Rahr.
Es bestehe nun der starke Wunsch, „einander wieder näher zu kommen“, so auch Claudia Crawford, Leiterin des Moskau-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dabei werde „Vertrauen jedoch leider wesentlich schneller zerstört als wiederhergestellt“. So schnell könne man nicht wieder dort sein, wo man im Dezember 2013 auseinandergegangen war. „Ich selbst war beim Dialog in Kassel dabei – bereits damals war die Stimmung nicht sehr gut. Wir werden wohl noch einen weiten Weg gehen müssen, um wieder von einer Normalisierung zwischen beiden Ländern sprechen zu können.“ Vor dem nächsten Petersburger Dialog im Frühjahr 2017 in Berlin ist Crawford jedoch zuversichtlich gestimmt: „Ich hoffe, dass sich der positive Trend aus den Arbeitsgruppen in Berlin noch weiter verstärkt.“

Christopher Braemer
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