Moskauer Malls: Mehr ist mehr

Eine Mall ohne Superlativ? In Moskau musste es seit Jahren immer das Größte, Spektakulärste, Beste sein. Unsere Autorin geriet nichtsahnend in so ein XXL-Kaufhaus und war am Ende froh, es verlassen zu können.

Supermall

Die „Aviapark“-Mall wartet mit einem gigantischen Aquarium auf / Tino Künzel

Eigentlich war ich nur auf der Suche nach einer neuen Jogginghose. Im GUM am Roten Platz wurde ich nicht fündig. Wer will schon eine dreistellige Eurosumme für ein Kleidungsstück ausgeben, das man von der Couch zum Kühlschrank und zurück trägt? Also entschloss ich mich kurzerhand, mein Glück in einer der neumodischen Malls zu versuchen, deren Dichte in Moskau rekordverdächtig sein dürfte. Und nun stehe ich da, inmitten von Menschenmassen, Lärm und grellen Lichtern im „Jewropejskij“ am Kiewer Bahnhof. Der sechs Stockwerke hohe Innenhof ist mit großflächigen digitalen Werbetafeln ausgekleidet, die im Abstand weniger Sekunden zur nächsten Reklame umschalten. Die Rolltreppen, die Aufzüge – alles strahlt in Neonfarben. Dazu mischt sich die Musik aus den Geschäften zu einem einzigen Geräuschbrei. Ich weiß nicht, was ich mehr bin: fasziniert oder überfordert von diesem Frontangriff auf die Sinne.

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Das „Jewropejskij“-Kaufhaus am Kiewer Bahnhof. / Tino Künzel

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Das „Jewropejskij“ innen: ziemlich bunt. / Tino Künzel

Dabei ist das „Jewropejskij“ in seinen Dimensionen noch ein eher durchschnittlicher Vertreter seiner Zunft. Von den zehn größten Einkaufszentren in Europa befinden sich alleine vier in der russischen Hauptstadt. Die Mall „Aviapark“, im Herbst 2014 eröffnet, gilt mit 390.000 Quadratmeter Gesamtfläche, über 500 Geschäften, 80 gastronomischen Anbietern und 17  Kinosälen mit insgesamt 4.000  Plätzen als absoluter Spitzenreiter auf dem europäischen Kontinent. Viele Konsumtempel setzen auf Unterhaltung, so besticht etwa die „Vegas Mall“ mit einem Vergnügungspark, zu dem ein 18  Meter hohes Riesenrad, ein Bungee-Turm und eine Eislaufbahn gehören. Maßvoll passt scheinbar nicht zur Metropole Moskau. Das kennt man schon von etlichen Paraden, Festen und sogar von den Metrostationen. Mehr ist mehr, heißt die Devise, und so wird auch bei den Einkaufszentren geprotzt, was das Zeug hält. Der Größenwahn nahm seinen Anfang, als 2002 im Moskauer Umland drei „Mega“-Malls errichtet wurden – mit IKEA-Einrichtungshäusern als wichtigstem Mieter. Seitdem sind die Ideen immer ausgefallener geworden.

Nun ist es nicht so, dass ich früher keine Malls von innen gesehen hätte. Ich bin durchaus schon viel in der Welt herumgekommen. Auch in meiner Heimatstadt Wien gibt es natürlich Einkaufszentren, darunter mit der „Shopping City  Süd“ eines, das die Nummer vier in Europa sein soll. Aber so viel Extravaganz und Exzentrik wie in Moskau ist mir im Westen nie begegnet. Die dortigen Malls scheinen im Gegenteil um Harmonie bemüht, sie wollen mit einem Wohlfühlfaktor punkten.

Vielleicht habe ich deshalb von der Reizüberflutung im „Jewropejskij“ schnell genug. Die Taschen vollgepackt mit Dingen, die ich gar nicht kaufen wollte und auch nicht unbedingt brauche, mache ich mich auf zur Metro – und finde den Weg nicht. Eine gefühlte Ewigkeit laufe ich im Kreis, lande auf wechselnden Etagen, verliere völlig die Orien­tierung. Um diesem Irrgarten zu entrinnen, nehme ich schließlich den erstbesten Ausgang und atme auf. Nun muss ich nur noch das Gebäude umrunden, um zur Metro zu gelangen.

Eine Jogginghose habe ich übrigens immer noch nicht. Vielleicht sollte ich das nächste Mal lieber auf einem traditionellen russischen Markt einkaufen gehen.

Jana Weber

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