Ein Ex-Kollege, der jetzt in Deutschland lebt und ein paar Jahre nicht mehr in Moskau war, hat die Stadt neulich bei einem Besuch kaum wiedererkannt. Das sei ein „anderes Moskau“ geworden, erzählte er, und seine Augen leuchteten. Er berichtete vom Triumphplatz, wo Fußgänger früher zwischen Autos balancierten und wo heute Schaukeln stehen, von Radwegen und verkehrsberuhigten Straßen überall in der Innenstadt. Das habe man sich früher nicht im Traum vorstellen können.
Ach, Moskau! Wer hier lebt, hat schon tausendmal gestöhnt: zu groß, zu laut, zu ungastlich. Man gewöhnt sich daran, man hält es aus, lässt sich vielleicht anstecken vom Rhythmus, bei dem man mitmuss – und flüchtet bei der ersten Gelegenheit übers Wochenende nach St. Petersburg, um durchzuatmen.
Russlands „zweite Hauptstadt“ fühlt sich entspannter, lässiger, kieziger, kurzum europäischer an. Das geschlossene Stadtbild ist als Kontrast zur Moskauer Zerrissenheit Balsam für die Augen. Wir Deutschen schwärmen gern von St. Petersburg. Es ist Russland mit einem Cappuccino.
Von Moskau spricht man oft wie von einem Staat im Staate. „Moskau ist nicht Russland“, heißt ein beliebter Allgemeinplatz, der im Übrigen falsch ist. Moskau ist in seinen Extremen, in seiner Maßlosigkeit geradezu der Inbegriff von Russland. Und jetzt, hoppla, wird es auch noch lässig. Den Anfang bildete vor ein paar Jahren der Gorki-Park, wo der gesunde Menschenverstand über den Kommerz siegte. Inzwischen ist ganz Moskau im Umbruch. Die Verbreiterung der Gehwege greift immer mehr um sich. Und haben Sie mal auf die Fassaden geachtet, auf deren Farbgebung, für die es auf einmal strenge Vorschriften gibt? Es ist kein laues Lüftchen an neuer Lebensqualität mehr, das durch Moskau bläst, sondern ein frischer Wind. Vielleicht wird es Zeit, eine Lanze für die Stadt zu brechen.
Tino Künzel